Europa absurd

Von Wojtek Mroz und Klaus Börner · 02.10.2005
Die ungarische Familie Lizak musste in den letzten 100 Jahren sechs Mal ihre Staatsangehörigkeit ändern, ohne auch nur einmal das Heimatdorf zu verlassen. In den 20er Jahren gehörte Slemence zur Tschechoslowakei, 1940 zu Ungarn, 1944 zog Stalin die Grenze neu, ein Teil wurde der CSSR, der andere der UdSSR zugeschlagen. Die Grenzlinie ging quer durch Dorf und Felder.
Einige Monate nach Kriegsende konnten sich die Bewohner noch frei bewegen. 1946 fiel von heute auf morgen der Eiserne Vorhang. Mit vielfältigen Tricks blieben die Slemencer über all die Jahre trotzdem in Verbindung. Derzeit wird ihr Dorf durch die slowakisch-ukrainische Grenze in EU und Nicht-EU geteilt. Alle notwendigen Wege zusammengenommen, Konsulat, Grenzübergang usw., ergibt sich eine Strecke von rund 500 Kilometern, um ein Haus zu erreichen, das 400 Meter entfernt liegt. Europa absurd.

Wojtek Mroz: Geboren 1953 in Gubin. Pädagogikstudium in Posen und Grünberg. 1979. Abenteuerliche Ausreise aus Polen über Wien nach Berlin (West). Korrespondent der polnischen Sektion der BBC und freier Mitarbeiter bei RIAS 2. Featureautor.
Klaus Börner: Geboren 1942 in Berlin, Studium der Volkswirtschaft, Publizistik, Geschichte und Politologie Lateinamerikas. Jobs in Industrie, Banken, Handel, u. a. auch als Hilfssteward beim Norddeutschen Lloyd. 1972 journalistische Arbeit für den US-Information-Service. Seit 1973 bei RIAS Berlin, zunächst im Monitordienst, später als außenpolitischer Redakteur. Seit 1994 im DeutschlandRadio Berlin, jetzt Deutschlandradio Kultur, Produktionsredakteur in der Abteilung Reportage und Feature.


Audio-Ausschnitt: Europa absurd
Grenzsteine in Slemence
Grenzsteine in Slemence© Wojtek Mroz und Klaus Börner