"Eulentypen sind von dieser Zeitumstellung besonders betroffen"

Horst-Werner Korf im Gespräch mit Britta Bürger · 25.03.2010
Die Umstellung auf die Sommerzeit belastet den biologischen Rhythmus der Menschen ganz unterschiedlich. Vor allem nachtaktive Menschen seien davon betroffen, meint Horst-Werner Korf vom Chronomedizinischen Institut der Universität in Frankfurt am Main.
Britta Bürger: In der Nacht von Sonnabend auf Sonntag werden die Uhren wieder auf die Sommerzeit umgestellt, und wie in jedem Jahr geht erst mal die große Fragerei los: Stellen wir die Uhr vor oder zurück, wie war das noch mal? Das stellen wir erst mal klar: Um zwei Uhr werden die Uhren auf drei Uhr vorgestellt, was bedeutet, dass die Nacht, wie es immer so schön heißt, eine Stunde kürzer ist. Welche Auswirkungen das auf unser Wohlbefinden hat, ist einer von vielen Aspekten, die Ärzte am neu gegründeten Chronomedizinischen Institut der Universität in Frankfurt am Main untersuchen. Und den Institutsleiter, Horst-Werner Korf, begrüße ich jetzt am Telefon. Was bedeutet das, Herr Korf, für unseren Biorhythmus, wenn wir plötzlich eine Stunde weniger Schlaf haben?

Horst-Werner Korf: Wir müssen unterscheiden, was bedeutet es für den Biorhythmus, und was bedeutet das Schlafdefizit. Wir haben eine Stunde Schlafdefizit, das führt zunächst mal zu Konzentrationsschwierigkeiten, zu vegetativen Störungen bei einem bestimmten Typ von Menschen. Und Sie hatten ja vorhin schon Lerchen- und Eulentypen erwähnt - die Eulentypen sind von dieser Zeitumstellung besonders betroffen.

Bürger: Die Spätaufsteher also, die Langschläfer?

Korf: Ja.

Bürger: Die sind davon besonders betroffen?

Korf: Also wenn Sie im Arbeitsleben sind, müssen Sie sich ja an den Rhythmus der Gesellschaft anpassen, und der Rhythmus der Gesellschaft ist eine Lerchen-Gesellschaft. Und wenn die Lerche jetzt noch früher aufsteht, wie es nach dieser Zeitumstellung ja passiert, dann ist das für die Eule doppelt schwierig.

Bürger: Gibt es Tipps und Tricks, wie man das Schlafdefizit aufholen und ausgleichen kann?

Korf: Wichtig ist sicherlich, dass man nicht nur zu Zeiten der Zeitumstellung, sondern auch an allen anderen Tagen des Lebens sich möglichst viel körperlich bewegt und das eben nicht in einem Fitnessstudio unter künstlichen Lichtbedingungen, sondern möglichst in freier Natur. Und das gilt natürlich für diesen Übergang ganz besonders.

Bürger: Sie beschäftigen sich ja, Herr Korf, seit vielen Jahren mit der inneren Uhr des Menschen, kann man diese innere Uhr lokalisieren? Wo sitzt die im Körper?

Korf: Man muss unterscheiden zwischen einer Hauptuhr und vielen Nebenuhren. Die Hauptuhr sitzt im Gehirn, in einem kleinen Kerngebiet oberhalb der Sehnervenkreuzung, das ist der suprachiasmatischen Kern. Die Nebenuhren sind überall im Körper verteilt, in allen Organen, in der Leber, im Herzen, in der Niere.

Bürger: Und können Sie noch ein bisschen genauer beschreiben, wie die dort arbeiten, worauf reagieren die?

Korf: Die Hauptuhr vermittelt ihre Signale an die Nebenuhr über verschiedene Wege. Das sind zum einen Hormone, Cortisol als Aktivitätshormon und das Melatonin, was in der Zwirbeldrüse gebildet wird als Hormon für die Dunkelheit.

Und neben diesem Hormonweg gibt es Nervenbahnen, über die die Zentraluhr, die Hauptuhr, ihre Informationen, ihre Signale an den Körper vermittelt, das ist das vegetative Nervensystem. Und wir unterscheiden hier zwei Schenkel: den Sympathikus, das ist ein aktivierender Schenkel, und den Parasympathikus, das ist ein dämpfender Schenkel.

Bürger: Das klingt jetzt so, als sei das Licht gar nicht der ausschlaggebende Faktor, ist es doch aber?

Korf: Die Hormone und auch die Aktivität von Sympathikus und Parasympathikus werden durch die innere Uhr rhythmisch, und das ist zunächst einmal ohne jeglichen Umweltreiz. Also wenn Sie ein Versuchstier oder einen Menschen von den täglichen Hell-Dunkel-Schwankungen abkoppeln, also Sie verbringen ihn in einen Bunker, auch dann existiert der Rhythmus. Und die Lichtreize sind nur notwendig, um diese innere Uhr und die Innenzeit an die Außenzeit anzupassen.

Bürger: Die Chronomedizin, das haben Sie angedeutet, die unterscheidet eben diese zwei Extreme der Lerchentypen und der Eulentypen, der Frühaufsteher und der Nachtmenschen. Ist das eigentlich angeboren?

Korf: Der Chronotyp ändert sich während der Pubertät. Die meisten Kinder – das wissen wir ja alle aus eigener Erfahrung – sind Lerchen, sehr zum Ärger der Euleneltern, und dann kann es, in der Pubertät kommt es praktisch zu einer Aufteilung: Die einen bleiben der Lerchentyp, und die anderen ändern sich in den extremen Eulentyp.

Bürger: Und wer in der Pubertät ein Nachtmensch wird, der bleibt es?

Korf: Ja.

Bürger: Sehr interessant. Nun können aber die meisten Menschen gar nicht so leben, wie es ihre innere Uhr gerne hätte. Was passiert im Körper, wenn man den eigenen Biorhythmus ständig unterbricht und verändert, weil es die Lebensumstände verlangen? Welche Folgen hat diese Anpassungsleistung für unsere Gesundheit?

Korf: Die ganzen Stoffwechselprozesse sind ja getaktet. Also wenn wir jetzt den Stoffwechselprozess in der Leber zum Beispiel annehmen, dann läuft es so ab, dass die Leber dann aktiviert wird, wenn wir Nahrung aufnehmen, auch die Entgiftungsproteine der Leber werden dann aktiv, wenn sie gebraucht werden.

Und wenn wir jetzt unseren Rhythmus täglich verschieben, das bedeutet ja auch, dass unsere Nahrungsaufnahme sich verändert, also wenn wir um 6 Uhr aufstehen müssen, würden wir ja um 6 Uhr 30 frühstücken, der Eulentyp würde, wenn er könnte, wie er wollte, vielleicht um 11 Uhr aufstecken und würde dann um 11 Uhr 30 einen Brunch zu sich nehmen.

Das heißt also, wir haben praktisch eine permanente Desynchronisation, einen permanenten Shift, einen permanenten Wechsel, und das führt zu Funktionsstörungen, und die Leber braucht relativ lange, um sich an eine neue Zeit anzupassen. Unser Gehirn ist wesentlich schneller, das braucht auch eine gewisse Zeit, um sich anzupassen, aber die Leber, der Stoffwechsel der Leber braucht an einem Jetlag, an eine Zeitverschiebung zwischen sechs und sieben Tagen, das Gehirn, ablesbar am Schlaf-Wach-Rhythmus, braucht zwei oder drei Tage.

Bürger: Die Sommerzeit naht, am kommenden Wochenende werden die Uhren wieder eine Stunde vorgestellt. Über die Auswirkungen des Schlafrhythmus auf unsere Gesundheit sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Chronomediziner Horst-Werner Korf. Er leitet das neue Chronomedizinische Institut an der Universität in Frankfurt am Main.

Herr Korf, an welchen Beispielen lässt sich denn bereits zeigen, dass es einen Zusammenhang von Schlafrhythmen und auch Erkrankungen gibt? Sie haben die Leber jetzt als ein wichtiges Organ angesprochen, aber welche Erkrankungen folgen daraus?

Korf: Also ein ganz konkretes Beispiel kann ich Ihnen aus einer laufenden Untersuchung hier geben: Bei Parkinson-Patienten ist ein wichtiges Symptom die Schlafstörung, und die Patienten leiden unter dieser Schlafstörung fast genauso stark wie unter ihrer Bewegungseinschränkung. Und wir haben an Mausmodellen, also an einem tierischen Krankheitsmodell, festgestellt, dass diese Schlafstörungen, die es auch bei den Mäusen gibt, dass diese Schlafstörungen durchaus durch einen schlechten Lichteingang in die innere Uhr bedingt sein können.

Also das System, was die Lichtreize in die innere Uhr füttert, ist bei diesen Mäusen gestört, und wir können die Mäuse mit hellem Licht behandeln, dann können wir bei den Mäusen die Schlafstörung beheben. Und wir machen im Moment eine Untersuchung und haben eine Serie laufen, wo diese Patienten für zwei Stunden am Tag außerhalb des normalen Tageslichtes mit hellem, energiereichem Licht behandelt werden, und wir hoffen natürlich sehr, dass wir dort einen ähnlichen Effekt haben wie bei den Mäusen, nämlich dass sich die Schlafstörungen bessern. Also das wäre jetzt ein ganz aktuelles Beispiel aus unserer Forschung.

Bürger: Das heißt, aus Ihrer Forschung folgen dann tatsächlich völlig neue Behandlungsmethoden?

Korf: Das wollen wir hoffen, und deshalb machen wir das auch.

Bürger: In der neuen Forschung, das habe ich lesen können, werden zum Beispiel auch Tumorpatienten nach ihren Schlafgewohnheiten befragt. Gibt es da schon Hinweise, dass es einen Zusammenhang geben könnte?

Korf: Auf der molekularen Ebene gibt es sehr, sehr deutliche wissenschaftliche Befunde in den letzten zwei, drei Jahren, dass das molekulare Uhrwerk einen Einfluss hat auf die Zellteilung, dass das molekulare Uhrwerk durchaus auch die Zellteilung, also das Wachstum von Geweben steuern kann. Und insofern ist es naheliegend anzunehmen, dass das molekulare Uhrwerk auch eine vermehrte Zellteilung, so wie sie ja bei der Tumorentstehung eben uns vor Augen tritt, beteiligt ist.

Bürger: Tickt die innere Uhr von Männern und Frauen eigentlich anders?

Korf: Also Sie haben ja sowohl unter Frauen als auch unter Männern Lerchentypen und Eulentypen, und wenn Sie bei der Frau den Chronotyp Lerche haben und beim Mann den Chronotyp, dann tickt die innere Uhr unterschiedlich bei Mann und Frau, aber wenn sie beide die gleichen Typen haben, Frau ist Eule und Mann ist Eule, dann tickt die innere Uhr gleich.

Bürger: Das heißt, Partnerschaften zwischen einer Lerche und einer Eule sind nicht so einfach?

Korf: Oder gerade besonders gut, weil die zeitliche Überschneidung nicht so groß ist.

Bürger: Na ja, ob das zeitversetzte Nebeneinanderher-Leben glücklich macht, das wage ich dann doch zu bezweifeln, ich plädiere doch eher für das Modell Lerche zu Lerche und Eule zu Eule. Der Biorhythmus hat Einfluss auf unsere Gesundheit, und erforscht wird dieser Zusammenhang am in Deutschland einmaligen Chronomedizinischen Institut der Uni Frankfurt am Main. Dessen Leiter Horst-Werner Korf danke ich fürs Gespräch.