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Neuer Bundestag
"Für Hass und Hetze darf niemals Platz sein"

Die AfD sei demokratisch gewählt in den Deutschen Bundestag eingerückt, sagte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach im Dlf. Man solle nicht versuchen, sie durch Tricks der Geschäftsordnung hinters Licht zu führen. Gleichzeitig sollte auch deutlich gemacht werden, wo die Grenzen in einem demokratischen Parlament liegen.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Martin Zagatta | 24.10.2017
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach - auf eigenen Wunsch nun nicht mehr im Bundestag (pa/dpa/Wolf)
    Martin Zagatta: 92 AfD-Abgeordnete sind mit dabei. Der neue Bundestag hat vor einer Stunde seine konstituierende Sitzung begonnen. Wolfgang Schäuble ist auch deshalb für den Bundestagspräsidenten ausgesucht worden, um den Rechtspopulisten Einhalt zu gebieten. Deshalb die Frage an den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, der dem Parlament ja lange angehört hat: Ist diese ganze Aufregung um die AfD, die wir eben ja auch wieder gehört haben, ist die nicht übertrieben? Ist das nicht ein bisschen viel?
    Wolfgang Bosbach: Ich verstehe sie teilweise aufgrund der bitteren Erfahrungen, die die Parlamente in den Ländern gemacht haben. Denn überall dort, wo die AfD bereits in den Landtag eingezogen ist, ist sie ja weniger auffällig geworden durch gute seriöse Sacharbeit als durch zum Teil jedenfalls provozierende Beiträge. Aber dennoch: Sie ist demokratisch gewählt in den Deutschen Bundestag eingerückt und man sollte sie nicht versuchen, durch Geschäftsordnungstricks auszugrenzen.
    Regeländerung beim Rederecht
    Zagatta: Sie meinen jetzt den Alterspräsidenten?
    Bosbach: Das wäre ja kein Geschäftsordnungstrick. Der muss ja gewählt werden mit der Mehrheit des Parlaments. Aber man sollte die AfD korrekt behandeln, aber auch gleichzeitig deutlich machen, wo die Grenzen liegen in einem demokratischen Parlament. Für Hass und Hetze darf dort niemals Platz sein.
    Zagatta: Aber hat man die AfD mit dem Stichwort Alterspräsident nicht schon ausgetrickst? Da hat man doch die Spielregeln eigens für die AfD vor wenigen Monaten geändert.
    Bosbach: Ja, obwohl das macht auch in der Sache Sinn. Es hat gar keinen Zweck, darum herumzureden: Natürlich hat man zu diesem Zeitpunkt die Änderung der Geschäftsordnung vorgenommen, um zu verhindern, dass ein Abgeordneter der AfD die allererste Rede hält im neu gewählten Deutschen Bundestag. Aber dass man jetzt nicht mehr nach dem Lebensalter geht, sondern nach der Dauer der Parlamentszugehörigkeit, ist eigentlich vernünftig.
    Zagatta: Wie beurteilen Sie jetzt, dass es gleich heute bei der ersten Sitzung den Versuch gibt, den AfD-Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten im Bundestag, Albrecht Glaser, dass man den unbedingt verhindern will?
    Bosbach: Das ist nicht das erste Mal. Da muss sich die AfD an den gleichen Maßstäben messen lassen wie die Linkspartei auch. Die Linkspartei hat sich auch schon vergeblich darum bemüht, den von ihr nominierten Kandidaten durchzubringen. Es ist dann eine andere Kandidatin gewählt worden. Jeder, der sich im Deutschen Bundestag zur Wahl stellt, braucht die Mehrheit des Parlaments. Ob er sie bekommt, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch ungewiss.
    "Versuch, dem Islam die Religionsfähigkeit abzusprechen"
    Zagatta: Aber es ist doch eigentlich guter Usus, dass man den dann auch nimmt, den eine Partei vorschlägt.
    Bosbach: Da haben Sie grundsätzlich recht. Guter Usus ist es allerdings auch, dass man in herausragende Funktionen des Parlaments diejenigen wählt, die über ein Vertrauen genießen, was über Parteigrenzen hinweg gilt.
    Zagatta: Das genießt er nicht - zumindest sagen das die anderen Parteien - wegen Äußerungen. Da wird er kritisiert und er hat klargestellt und seine Partei, die AfD hat klargestellt, Glaser habe ja nur gesagt, er wolle die Religionsfreiheit nicht für einen orthodoxen Islam gelten lassen, der auf die Übernahme des Staates abzielt und unsere Rechtsordnung infrage stellt. Ist das denn so falsch?
    Bosbach: Es ist jedenfalls der Versuch, dem Islam die Religionsfähigkeit abzusprechen oder einem Teil des Islams. Dort, wo wir es mit Strukturen zu tun haben, in denen die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft wird, gilt auch jetzt schon nach geltender Rechtslage nicht Religionsfreiheit, denn sie bedeutet keine Narrenfreiheit. Etwa die Hälfte der Vereinsverbote der letzten Jahre bezog sich entweder auf rechtsradikale Organisationen/Vereine, oder auf Organisationen, Vereine aus dem islamistischen Spektrum.
    Zagatta: Hat Glaser da sehr viel anderes gesagt?
    Bosbach: Entschuldigung! Es sind zwei verschiedene Sachverhalte. Das eine ist die Freiheit der Religionsausübung; das andere ist das Vereinsgesetz, das dort greift, wenn unter religiös motivierter Überzeugung die freiheitlich-demokratische Grundordnung angegriffen wird. Wir kennen ein Verbot von Religionen in Deutschland nicht. Wir kennen ein Vereinsverbot. Dann richtet sich das Verbot gegen eine Strukturform, gegen eine organisierte Form mit sich daraus ergebenden Konsequenzen, dass man auch Nachfolgeorganisationen verbietet, das Vermögen beschlagnahmt und so weiter. Das Verbot einer Religion kennt unsere Rechtsordnung nicht.
    "Irgendwo muss die AfD sitzen"
    Zagatta: Und da würden Sie Glaser auch nicht zugutehalten, dass er sich vielleicht etwas unglücklich ausgedrückt hat, dass er das anders gemeint hat?
    Bosbach: Dann hätte er ja jetzt schon hundertfach Gelegenheit gehabt, das zu korrigieren.
    Zagatta: Dass niemand neben der AfD im Parlament sitzen will, ist das Kindergarten, oder ist das Mobbing?
    Bosbach: Das kann ich irgendwie verstehen, dass man sich da in der Nachbarschaft unwohl fühlt. Aber sie sind demokratisch gewählt in den Deutschen Bundestag. Ich habe es vorhin schon gesagt. Dann gilt für sie das, was für alle anderen Fraktionen auch gilt. Irgendwo muss die AfD sitzen. Ich glaube, sie fühlt sich jetzt auch am rechten Rand ganz wohl. Und irgendeine Fraktion muss danebensitzen. Bis jetzt hat die FDP immer auf der rechten Seite des Plenarsaals platzgenommen. Jetzt sitzt sie noch halb rechts. Es ist gut, dass die FDP sich jetzt damit abgefunden hat, neben der AfD sitzen zu müssen. Ob man sich da wohlfühlt oder nicht, ist reichlich irrelevant.
    Zagatta: Sie haben es vorhin ja kurz angedeutet mit der Wahl des Bundestagsvizepräsidenten. Erinnert Sie das nicht ganz generell an den Umgang mit der PDS oder auch mit den Grünen? Als die in den Bundestag eingezogen sind, da gab es doch auch diesen riesigen Unwillen, und dann hat man sich sehr schnell an die neuen Leute gewöhnt.
    Bosbach: Da haben Sie völlig recht. Das hängt natürlich ganz extrem von deren Verhalten ab. Das System hat die Grünen mehr verändert als die Grünen das System. Ich kann mich noch gut erinnern. Als die Grünen angetreten sind, hieß es: Wir machen Rotationsprinzip, das wird alles mal gewechselt. Die Grünen haben so gut wie alles aufgegeben, mit dem sie einmal angetreten sind. Wenn Sie so wollen, haben sich die Grünen an den Parlamentsbetrieb angepasst, soweit es ihnen möglich ist, von politisch-inhaltlichen Unterschieden abgesehen. Und Joschka Fischer ist ja berühmt geworden, weil er mal Turnschuhe getragen hat bei der Vereidigung als Minister in Hessen. Das waren noch Zeiten.
    Zagatta: Und in der Union hat man damals über einen Krawattenzwang diskutiert, ob man den nicht einführen sollte für die Grünen.
    Bosbach: Genau richtig. Das ist auch alles von gestern. Das ist alles Parlamentsgeschichte, obwohl immer noch die angemessene Kleidung im Parlament erwartet wird. Das halte ich im Übrigen auch für richtig. Man muss da nicht mit Hawaiihemd und getönter Sonnenbrille auflaufen oder in Shorts. Angemessene Kleidung ist schon in Ordnung.
    "Abschied mit gemischten Gefühlen"
    Zagatta: Ist bei der AfD jetzt wahrscheinlich auch nicht zu erwarten. – Gehen Sie davon aus, dass sich das auch jetzt mit der AfD einspielen wird, oder wird es dieses schwierige Verhältnis geben?
    Bosbach: Ja, ich weiß, was Sie meinen. Das ist eine spannende Frage. Was den Habitus angeht, was das Verhalten angeht, glaube ich schon. Da erwarte ich keine besonderen Auffälligkeiten. Die hat es ja bei der Linkspartei noch in der letzten Wahlperiode gegeben mit T-Shirts, mit Transparenten, dass man immer wieder versucht hat, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Mich interessiert eher, mit welchen politischen Inhalten die AfD antreten wird - insbesondere ob die Tonlage des Wahlkampfes sich nahtlos im Parlament fortsetzt.
    Zagatta: Wie schwer fällt es Ihnen heute, nicht mehr dabei zu sein im Bundestag?
    Bosbach: Ich nehme heute mit gemischten Gefühlen Abschied. Auf der einen Seite war das ja meine freiwillige Entscheidung. Ich gehöre ja nicht zu denjenigen, die abgewählt worden sind, sondern ich habe mich ja freiwillig entschieden, nicht mehr für den Deutschen Bundestag zu kandidieren. Ich erwarte im Übrigen eine sehr turbulente, sehr lebhafte Wahlperiode mit zum Teil auch sehr kontroversen Parlamentsdebatten aus den eingangs erwähnten Gründen. Aber die politisch-inhaltliche Auseinandersetzung, die hätte ich schon gerne geführt, auch mit der AfD, zur Beantwortung der Frage, wodurch unterscheidet sich eigentlich der Nationalismus der AfD vom Patriotismus der Union. Das wäre nur ein Thema gewesen, über das man im Parlament einmal leidenschaftlich hätte diskutieren können. Die antieuropäische Haltung der AfD mit dem wichtigen Vertrauen der europäischen Nachbarn in die Bundesrepublik Deutschland. Ohne dieses Vertrauen hätten wir die Wiedervereinigung vor 27 Jahren in dieser Form, in diesem Tempo gar nicht erreichen können. Die Debatte, da wäre ich schon noch einmal gerne dabei.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.