EU-Wahl in Portugal

Nachhilfe für Europas Sozialdemokraten

22:58 Minuten
Der portugiesische Ministerpräsident Antonio Costa bei einer Ansprache anlässlich der Parlamentsdebatte des portugiesischen Finanzausschusses in Lissabon am 22.02.2016.
António Costa regiert Portugal erfolgreich mit einer Minderheitsregierung unter Tolerierung von radikalen Parteien wie der Kommunisten. © picture alliance / Tiago Petinga
Von Tilo Wagner · 18.04.2019
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António Costa gehört zu den wenigen verbliebenen Sozialdemokraten an der Regierungsspitze eines EU-Landes. Der Ex-Bürgermeister von Lissabon übernahm 2015 das Amt des Premierministers in Portugal und überzeugte mit Reformen.
António Costa ist ein gern gesehener Gast bei der sozialdemokratischen Fraktion des EU-Parlaments. Seit 2015 regiert er erfolgreich eine sozialistische Minderheitsregierung, die sich zum ersten Mal in der portugiesischen Geschichte auf radikale Linksparteien wie den "Bloco Esquerda" und die Kommunisten stützt. Unter seinen Genossen in Europa genieße Costa deshalb großen Respekt, sagt der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann:
"Sozialdemokraten werden immer dann belohnt, wenn sie mutig sind und wenn sie die Zukunft anpacken, die entscheidenden Fragen angehen im besten Sinne der Menschen. Ich glaube, dass es ein Fehler ist, abstrakt über Bündnisse zu reden und nicht über die Menschen und ihre Zukunft. Und das ist das, was Costa anders gemacht hat. Er hat sich nicht verzettelt in einer Frage, mit wem er koalieren will, sondern er hat entschieden, was er machen will und sich dafür Mehrheiten gesucht – ich halte das für den richtigen Weg."

Linksbündnis auf Sparkurs

Das ungewöhnliche Linksbündnis in Portugal ist aber auch ein Kind der europäischen Staatsschuldenkrise. Zwischen 2011 und 2014 hatte Portugal von der Troika ein 78 Milliarden Euro schweres Rettungspaket erhalten. Im Gegenzug wollten EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds aber von der portugiesischen Regierung strenge Haushaltskürzungen. So stieg die Arbeitslosigkeit auf knapp 18 Prozent, etwa 500.000 Portugiesen wanderten aus, die Bevölkerung litt unter empfindlichen Gehaltskürzungen und Steuererhöhungen.


Die Sozialisten versprachen deshalb im Wahlkampf 2015 ein Ende des Sparkurses. Doch diese Botschaft kam beim Wähler nur teilweise an, weil die Wirtschaft bereits wieder in Schwung kam und Portugal erfolgreich auf die internationalen Finanzmärkte zurückkehrte. Costas Sozialdemokraten wurden mit 32 Prozent der Stimmen knapp zweite Kraft und mussten nun kleinere Linksparteien überzeugen, die alten ideologischen Grabenkämpfe zu vergessen und eine sozialistische Minderheitsregierung zu unterstützen. Dieser Plan ging auf, sagt André Alves, Politikwissenschaftler an der Katholischen Universität in Lissabon:
Eine Demonstration gegen die Arbeitslosigkeit am 5. Oktober 2012 in der portugiesischen Stadt Braga. Menschen schwenken Fahnen und halten Transparente. 
Eine Demonstration gegen die Arbeitslosigkeit am 5. Oktober 2012 in der portugiesischen Stadt Braga.© imago/Pedro Benavente
"António Costa war bei den Verhandlungen mit den Linksparteien erfolgreich. Und er baute ein Bündnis, das trotz der allgemeinen Skepsis jetzt schon fast eine ganze Legislaturperiode hält. Damit hat er gleichzeitig das Wachstumspotenzial der radikaleren Linksparteien gestoppt – und deshalb gibt es in Portugal auch keine linkspopulistische Partei wie in Spanien Podemos. Und er konnte die Sozialisten weiterhin als die Partei der Mitte definieren, die das portugiesische Parteiensystem prägt."

Forderungen der Linksparteien wurden verwirklicht

In der laufenden Legislaturperiode hat die sozialistische Regierung zentrale Forderungen der kleineren Linksparteien verwirklicht: Die Rücknahme der Gehalts- und Rentenkürzungen, ein deutlicher Anstieg des Mindestlohnes und die Einführung der 35-Stunden-Woche.
Doch in finanz- und außenpolitischen Fragen orientiert sich António Costa nicht an den linken eurokritischen Partnern in Lissabon, sondern an der Brüsseler Politik: Deshalb setzt sein Finanzminister Mário Centeno, der mittlerweile zum Euro-Gruppenchef gewählt wurde, auch weiterhin auf Haushaltsdisziplin. So sank im vergangenen Jahr das portugiesische Haushaltsdefizit auf 0,5 Prozent. Die Staatsschuldenquote sank auf rund 122 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das schafft Vertrauen auf den Finanzmärkten und lockt ausländische Investoren an. Befeuert von einem Tourismusboom wuchs die portugiesische Wirtschaft über dem EU-Durchschnitt. Die Arbeitslosigkeit liegt nun bei sechs Prozent – das ist der niedrigste Wert seit 2002.

"Europa kann von Portugal lernen"

Europa könne von Portugal lernen, sagt Pedro Marques, Spitzenkandidat der portugiesischen Sozialisten bei den Europawahlen:
"In Europa schien es lange Zeit keine politische Alternative zur Sparpolitik und zu einer sehr liberalen Wirtschaftspolitik zu geben. Wir haben in Portugal gezeigt, dass es möglich ist, Arbeitsplätze zu schaffen, Armut und soziale Ungleichheit zu reduzieren, sowie Investitionen und Wirtschaftswachstum zu fördern, und gleichzeitig die öffentlichen Ausgaben zu kontrollieren. Diesen neuen Sozialvertrag verteidigen wir auch in der Sozialdemokratischen Partei Europas."
Eine Mehrheit der Portugiesen erkennt den Erfolg an und würde laut jüngsten Umfragen das informelle Bündnis der Linksparteien erneut an die Macht wählen. Das habe aber auch mit einer anderen aktuellen Entwicklung zu tun, sagt der Politologe Alves:
"Die größte Oppositionskraft, die Mitte-Rechts-Partei PSD, schneidet in den Umfragen so schlecht ab wie noch nie; aber das ist eher ein Zeichen für die tiefe interne Krise des konservativen Lagers in Portugal. Es gibt zudem keine rechtspopulistische Partei, und zwar aus zwei Gründen. Erstens hat es in Portugal keine terroristischen Anschläge gegeben, die von Rechtspopulisten politisch ausgeschlachtet werden können. Und zweitens leben nur verhältnismäßig wenige Migranten in Portugal, und diejenigen, die hier leben, kommen entweder aus portugiesischsprachigen Ländern oder aus Osteuropa und sind hier recht gut integriert."
Krankenschwestern und  Pfleger stehen vor dem Santa Maria Krankenhaus in Lissabon im Streik und halten Plakate hoch - am 8. Februar 2019
Ein Streik der Krankenschwestern und Pfleger am Santa Krankenhaus in Lissabon am 8. Februar 2019.© AFP/Patricia de Melo Moreira
Dennoch stößt auch das ungewöhnliche Linksbündnis in Portugal an seine Grenzen. In jüngster Zeit haben Streiks und Arbeitskämpfe deutlich zugenommen, weil insbesondere die öffentlichen Bediensteten von dem Aufschwung profitieren wollen. Sie fordern deutliche Gehaltserhöhungen und stellen die strikte Haushaltsdisziplin der Sozialisten in Frage. Am Pranger steht auch die öffentliche Investitionspolitik: Die Sozialisten haben die staatlichen Zuschüsse für Infrastrukturprojekte auf ein historisches Minimum reduziert. Umso wichtiger sind deshalb die Gelder aus den Europäischen Investitions- und Strukturfonds, die zurzeit 80 Prozent der öffentlichen Investitionen in Portugal ausmachen.

In der Krise gab es EU-Hilfen

Ein Obstladen in Lardosa – rund 50 km westlich der portugiesisch-spanischen Grenze. Hier verkauft Francisco Chasqueira Trockenbohnen, Olivenöl, natürlich Pfirsiche, Kirschen und Melonen. Alles aus eigener Produktion – von seiner 92 Hektar großen Plantage. Der Bauer ist froh über die EU-Mitgliedschaft. Beim Beitritt 1986 galt Portugal als ärmstes Land der Europäischen Gemeinschaften.
"Dank der Hilfen aus der EU hat sich das Land stark weiterentwickelt. Vor allem im Verkehrsbereich, im Kommunikationswesen und in der Produktivität. Das hat uns Unternehmern viele Tore geöffnet. Vor allem die Verbindung zu anderen EU-Staaten spielt für uns eine große Rolle. Ohne die EU-Hilfen hätten wir ganz sicher nicht mal die Hälfte der Autobahnen, die wir jetzt haben."
Obstbauer Chasqueira hat in unmittelbarer Nähe zur Autobahn brach liegendes Weideland aufgekauft und seine Pfirsich- und Kirschbäume gepflanzt. Insgesamt hat er über eine Millionen Euro aus den Töpfen in Lissabon und Brüssel erhalten und konnte so seine Anbaufläche verdoppeln sowie die Produktionsabläufe modernisieren. Mittlerweile beschäftigt er neun feste Mitarbeiter, im Sommer stellt er weitere 50 bis 60 Erntehelfer ein. Gerade in der Krise seien die EU-Hilfen wichtig gewesen, um in den strukturschwachen Regionen Perspektiven zu öffnen, sagt Chasqueira:
"Mit dem Geld aus Brüssel konnte ich mein Projekt viel schneller umsetzen. Und dadurch habe ich mehr Kapital zur Verfügung gehabt, um etwa den Laden mit den regionalen Produkten aufzubauen."


Wie Francisco Chasqueira denken viele im Land. Ihnen ist klar, wie wichtig die EU-Fördermittel sind, um in Portugal eine moderne Wirtschaftsstruktur aufzubauen. Das bekräftigt der ehemalige Wirtschaftsminister Augusto Mateus, der in mehreren Studien den Prozess der europäischen Integration in Portugal ausgewertet hat:
Arbeiter und Arbeiterinnen sortieren Sardinen in Portugal.
Auch der Sardinenfang ist wieder ein lukratives Geschäft in Portugal geworden.© imago/GlobalImagens/Leonelxde Castro
"Die Portugiesen sind ganz klar proeuropäisch. Sie wissen, dass Europa eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt hat. Aber natürlich sind sie, so wie viele andere Europäer, enttäuscht, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Die Portugiesen mögen Europa, aber sie mögen kein Europa, das sich in Schwierigkeiten befindet."

Soziale Fragen versus Wettbewerbspolitik

Zwischen 2014 und 2020 erhält Portugal rund 25 Milliarden Euro aus den Europäischen Investitions- und Strukturfonds. Doch bereits im kommenden EU-Haushalt muss Lissabon mit rund sieben Prozent weniger Fördermittel auskommen. Das sei im Prinzip kein Problem, sagt Wirtschaftsexperte Mateus, sofern nicht die gleichen Fehler begangen werden wie in der Vergangenheit.
Mateus teilt den Integrationsprozess in Portugal in zwei Phasen ein: Zwischen 1986 und 2000 habe Portugal eine relativ einfache Aufgabe gehabt, denn es sei hauptsächlich darum gegangen, große Infrastrukturprojekte wie den Autobahnbau zu verwirklichen, um den Anschluss an das westliche Europa zu garantieren. Leider, so der Wirtschaftsexperte, habe das Land zu spät verstanden, dass die Investitionen später nicht mehr in die Infrastruktur, sondern in die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit hätten fließen sollen. Mateus ist deshalb skeptisch, ob gerade die Sozialisten jetzt den Hebel rechtszeitig umlegen können:
"Eines der Hauptprobleme der sozialistischen Regierung ist, dass sie ein Gleichgewicht zwischen Sozialpolitik und Wettbewerbspolitik schaffen muss. Es ist sehr leicht in einem relativ armen Land wie Portugal vom Weg abzukommen und sich nur noch um die sozialen Fragen zu kümmern. Aber wenn ich vorher nicht die Grundlage für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft gelegt habe, dann werde ich mich an der sozialen Frage verheben."
Die Europawahl ist in Portugal deshalb auch ein Testlauf für die sozialistische Minderheitsregierung. Vor dem Hintergrund einer sich abkühlenden Weltwirtschaft, stößt die portugiesische Exportindustrie an ihre Grenzen. Finanzminister Centeno musste jüngst die Wachstumsprognosen nach unten korrigieren. Ob unter diesen Vorzeichen das Erfolgsmodell der portugiesischen Sozialisten weiter Bestand haben wird, bleibt fraglich.
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