EU-Länder im Streit

Menschen auf der Flucht, nein danke!

Mann hinter Jalousie
Knapp ein Drittel der EU-Länder sperren sich gegen eine feste Aufnahmequote © dpa/picture-alliance/ Nicolas Armer
Von Karin Bensch · 22.06.2015
Knapp ein Drittel der 28 EU-Länder und sperren sich gegen eine feste Aufnahmequote für Flüchtlinge. Aber noch ist die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit möglich - es hängt an den Unentschiedenen.
Spanien, Portugal, Ungarn, Polen, Tschechien, Estland, Lettland, und Litauen: Wenn man auf einer digitalen Europakarte, die Länder wegklickt, die gegen die Verteilung von Flüchtlingen mit einer verbindlichen Quote sind, schrumpft die EU ziemlich zusammen.
Lettland fühlt sich nicht bereit, Flüchtlinge aufzunehmen
Die Gründe der Gegner sind unterschiedlich. Portugal und Spanien zum Beispiel verweisen auf ihre hohe Arbeitslosenquote. Lettland fühlt sich noch nicht bereit. Bislang hat das baltische Land nur etwa einhundert Asylbewerber anerkannt, mit der geplanten Quote kämen fünf Mal so viele.
"Wenn wird zurück in unsere Geschichte schauen, haben wir schon sehr viele Migranten aus sowjetischer Zeit bei uns. Deshalb ist das ein sensibles Thema in Lettland."
So der lettische Innenminister Koslovskis. In Lettland haben rund 30 Prozent der Einwohner russische Wurzeln, denn Lettland wurde im Zweiten Weltkrieg von Russland überfallen und eingenommen.
Auch Polen war anfangs gegen den Vorschlag der EU-Kommission, Flüchtlinge mithilfe einer festen Quote in der EU zu verteilen.
Zunächst soll es nur um 40.000 Menschen vor allem aus Syrien und Eritrea gehen, die bereits in Griechenland und Italien sind. Aber die Quote soll ein Zukunftsmodell werden. Sie rechnet ein, wie groß und reich ein Land ist, wie viele Menschen dort arbeitslos sind und wie viele Flüchtlinge das Land schon aufgenommen hat. Polen zum Beispiel hat im vergangenen Jahr gerade einmal 115 Syrer als Flüchtlinge anerkannt. Mit der neuen Quote bekäme das Land deutlich mehr Menschen zugeteilt.
"Polen hat es sehr eindeutig gesagt, und steht damit keineswegs allein in der EU, dass solche Quoten für uns unannehmbar wären."
So die polnische Regierungschefin Ewa Kopacz. In Polen finden im Herbst Parlamentswahlen statt. Mehr Flüchtlinge aufnehmen? Das käme bei vielen Wählern wohl nicht besonders gut an.
Polen mausert sich zum Befürworter der Quote
Und dennoch habe Polen seine Haltung geändert, sagen Diplomaten. Das Land schwenke über zu den Befürwortern der Quote. Zu denen gehören vor allem Italien, Schweden, Frankreich und Deutschland. Länder, die bereits viele Flüchtlinge aufgenommen haben und auf Entlastung hoffen.
"Angesichts der Flüchtlingskatastrophe in Afrika, in Syrien, im Irak, mit all dem, was auch im Mittelmeer geschehen ist, wenn man das alles betrachtet, dann ist es ganz wichtig, dass wir darauf eine gemeinsame europäische Antwort finden."
So Bundesinnenminister de Maizière. Eine gemeinsame europäische Lösung, die es bislang noch nicht gibt.
90 Prozent der Flüchtlinge kommen in nur acht EU-Ländern unter
90 Prozent der Flüchtlinge kommen in nur acht EU-Länder unter. Und dass, obwohl immer mehr Menschen nach Europa fliehen, durch Krieg, Krisen und Armut. Ska Keller, Europaabgeordnete der Grünen, findet es eine Katastrophe, wie unsolidarisch derzeit über die Verteilung von Flüchtlingen in der EU diskutiert wird.
"Es ist wirklich unsagbar, dass sich jetzt einige Mitgliedsstaaten hinstellen und diesem Plan sich verweigern wollen."
Großbritannien, Irland und Dänemark haben Sonderrechte in der Asylpolitik und können sich rausziehen. Es bleiben 25 EU-Länder. Ein Drittel von ihnen ist derzeit gegen eine feste Aufnahmequote. Ein weiteres Drittel ist unentschieden. Die Befürworter bekommen also noch keine Zwei-Drittel-Mehrheit zusammen. Die wäre aber notwendig.
"Die Entscheidung darüber, ob wir voran kommen, die wird zwar in Brüssel gefällt, aber nur geographisch."
So EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Das heißt: Ob die Quote kommt, und wie fest oder lose sie sein wird, wird in den europäischen Hauptstädten entschieden. Zum Beispiel in Madrid, Lissabon, in Prag und Riga.
Mehr zum Thema