Sonntag, 07. April 2024

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Leopold Kozlowski-Kleinmann
Der letzte Klezmer

In wenigen Wochen wird der letzte Klezmer des alten jüdischen Galiziens, Leopold Kozlowski-Kleinmann aus dem polnischen Krakau, beim Achava-Festival in Erfurt erwartet. Die Musik, sagt der 97-Jährige, sei sein Leben. Und seine fröhliche Klezmermusik habe ihn mehrfach vor den nationalsozialistischen Besatzern gerettet.

Von Blanka Weber | 19.07.2016
    Blick auf die alte Synagoge in dem ehemaligen jüdischen Viertel Kazimierz in Krakau, in der heute ein Museum untergebracht ist.
    Mittelpunkt des alten Krakauer Ghettos: die alte Synagoge (dpa / pa)
    Musik "Memento Moritz"
    Das Lied ist die Geschichte eines Schuhmachers, eines fleißigen Mannes, der im jüdischen Viertel von Krakau seine Werkstatt hatte. Am Klang der Schuhe - draußen auf der Straße - erkannte er, wer vorbei lief, erzählt der 97-jährige Musiker Leopold Kozlowski-Kleinmann:
    "Und der Rabi geht von der Synagoge. 'Ach, das ist der Rabi, das ist sein Schuh'. Wenn die Milchhandel, was handelt mit Milch - 'ach das ist die Rifka'."
    Es ist die Welt des alten Galiziens, die 1939 ein jähes Ende fand. Auch beim alten Schuhmacher in Kazimierz, dem jüdischen Viertel von Krakau.
    "Ein Tag hot er gehert eine andere Klappe. Das waren nicht seine Schuhe, die Schuhe haben ihn tot gemacht. Das war die Gestapo."
    Es war der Tag, an dem sich damals auch für den jungen Leopold die Welt änderte. Der heute 97-Jährige ist der einzige Überlebende seiner jüdischen Familie, geboren und aufgewachsen nahe Lemberg. Die Musik hat ihm mehrfach das Leben gerettet und ist bis heute sein Inhalt geblieben. Er gilt als der letzte Klezmer.
    Lebensretter Harmonika
    Noch heute steht Leopold Kozlowski-Kleinmann hochbetagt - hin und wieder - vor großem Publikum, so wie kürzlich in der Synagoge Tempel im heutigen Kazimierz. Er sitzt am Klavier und spielt jiddische Lieder. Die Melodien übernahm er einst von seinem Vater und Großvater. Es ist heute seine Art zu reden und aus der Vergangenheit zu erzählen:
    "Ich hab gespielt für Lebendige und für Tote und für jene, was sterbt. Darum meine Harmonika, was ich hab' zuhaus, ist wie ein Museum. Mein Harmonika hat mir gerettet mein Leben und hat - die haben gestorben....mit..."
    Manches kann man nicht in Worte fassen, auch nach den vielen Jahrzehnten später. Sein Leben begann in bescheidener Idylle. Als Junge war er mit der kleinen Kapelle seines Vaters in Dörfern unterwegs. Sie spielten zu Hochzeiten und Festen, wann immer die Klezmer gerufen wurden. Und sie spielten gut, so gut, dass sie eines Tages live ein Konzert im "Radio Lemberg" gaben.
    Das Dorf von Leopold Kozlowski-Kleinmann wurde mit dem Einzug der Nazis zum Ghetto, seine Familie war ständig auf der Flucht. Der Vater wurde als Erster erschossen, später - trotz Hoffen und Bangen und eines guten Versteckes - die Mutter. Der jüngere Bruder verlor grausam auf bestialische Art das Leben. Kurz zuvor hatten sich die beiden Brüder Partisanen angeschlossen und lebten monatelang im Wald, überlebten in Erdgruben, immer in Angst, in Kälte und auf der Flucht. Das Akkordeon war immer dabei.
    Musik im Herzen tragen
    "Du musst die Musik im Herzen tragen, Noten gibt es nicht."
    Sagt Leopold Kozlowski-Kleinmann noch heute:
    "Ein Klezmer, ein echter Klezmer, spielt nicht, er redet mit Gott. Der Klezmer spielt nicht, der betet."
    Der Mann mit den liebevollen, warmen, dunklen Augen ist wie ein Geschichtsbuch: Er war Sanitäter, Soldat und Musiker im Ghetto, wurde drangsaliert und wäre fast vor Hunger gestorben. Immer wieder sollte er zu Exekutionen und Arbeitsmärschen der Häftlinge, aber auch zu Trinkorgien seiner Peiniger fröhliche Musik spielen. Das altes Akkordeon hängt nun zuhause. Er habe es nie wieder benutzt, sagt Leopold, um darauf zu spielen. Nur ein einziges Mal, als er nach dem Krieg in das jüdisches Kazimierz in Krakau zurück kam:
    "Als ich gekommen bin, war da kein Mensch, und ich hob gespielt "mei jiddische Mame". Und ich hab gefühlt, dass die Steine wollen das, sie wollen leben und ich war der Erste, der Jiddisch gespielt hat auf Kazimierz. Und schauen Sie jetzt auf Kazimierz. Es lebt, spielt, - Menschen von der ganzen Welt kommen hier."
    "Klezmerhojs": Treffpunkt für Touristen, Musiker und Gäste aus aller Welt. Am Rande des zentralen Platzes im jüdischen Viertel, nahe der Miodowa-Straße, ist das kleine gemütliche "Klezmerhojs" zu finden. Tagsüber gehört der schönste Platz im Gastraum mit Blick zur Tür, zur Theke und zur Musiksammlung - Leopold Kozlowski-Kleinmann.
    Zusammenarbeit mit Stephen Spielberg
    Hier trifft er Menschen aus aller Welt. Musiker kommen zu ihm und manchmal gibt er auch spontan ein Konzert an seinem Klavier. Es ist, sagt er, mein Wohnzimmer.
    Mit Steven Spielberg arbeitete er zusammen und erstellte die Musik für "Schindlers Liste", mit Hollywood-Größen wie Ben Kingsley ist er auf Bildern zu sehen, mit Prinz Charles und manch einem großen Musiker.
    Was hat ihm - dem letzten Klezmer - all die Jahre den unerschütterlichen Optimismus gegeben?
    "Ich habe von Gott bekommen eine Aufgabe, du musst leben und spielen deine Musik. Denn deine Musik lebt."
    Und noch etwas - fügt er an - sei wichtig:
    "Leben und lieben das Leben."
    Musik