EU-Flüchtlingspolitik

Bitte keine Schweigeminuten mehr!

Ein Boot mit Dutzenden Flüchtlingen aus Afrika auf offener See.
Die Triton-Vorgängermission Mare Nostrum rettete Flüchtlinge wie diese aus dem Mittelmeer. © picture alliance / dpa / Giuseppe Lami
Von Klaus Remme · 21.04.2015
Ein tödlicher Fehler war es, das Programm "Mare Nostrum" auslaufen zu lassen, meint Klaus Remme. Eine Europäische Union, die sich nicht als kaltherzige Festung versteht, müsse Rettungsringe werfen und Flüchtlinge in Sicherheit bringen.
Am Donnerstag treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs. Ein Sondergipfel wird es werden, mit nur einer Frage: Was tun gegen die oftmals tödliche Massenflucht von verzweifelten Menschen über das Mittelmeer. Sondergipfel signalisieren Dringlichkeit. Sie garantieren leider keine Ergebnisse.
Die Bilder der Särge nach dem Desaster vor Lampedusa im Oktober 2013 sind noch in guter Erinnerung. Auch damals war die öffentliche Betroffenheit groß, die Italiener sorgten mit "Mare Nostrum" für konkrete Hilfe, sie schufen ein Seenotrettungsprogramm mit Substanz. Unumstritten war es nie, man schaffe neue Fluchtanreize, ja man unterstütze damit das Handwerk der Schlepperbanden, so argumentierte unter anderem Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Man kann diese Einwände nicht völlig von der Hand weisen und dennoch war es ein tödlicher Fehler, das italienische "Mare Nostrum" im vergangenen Oktober auslaufen zu lassen und durch das Grenzsicherungsprogramm Triton zu ersetzen.
Eine Europäische Union, die sich nicht als kaltherzige, reiche Festung versteht, die den Friedensnobelpreis mit Stolz akzeptiert hat, die hohen moralischen Ansprüchen genügen will, hätte anders handeln müssen. Wenn man nicht in der Lage ist, die politische, soziale und wirtschaftliche Lage der Menschen in den Herkunftsländern erträglich zu gestalten, und wenn man nicht in der Lage ist, den Schlepperbanden das Handwerk zu legen, dann muss man zunächst und unmittelbar auf dem Wasser helfen. Das immerhin kann man tun: Rettungsringe werfen, Menschen ins Boot holen, sie in Sicherheit bringen.
Hohle Worte und Betroffenheitslyrik
Es muss etwas geschehen, hieß es gestern, am Tag nach der Katastrophe, so hieß es nach Lampedusa 2013, so heißt es immer nach Bildern und Schlagzeilen, denen kein Politiker ausweichen kann. Diese Worte klingen am Tag nach einer Katastrophe hohl. Wenn syrische Flüchtlinge nach lebensgefährlicher Überfahrt Dankbarkeit gegenüber ihren Schleusern empfinden, dann ahnt man, wie beschädigt die europäische Flüchtlingspolitik ist.
Sondertreffen und Zehn-Punkte-Pläne sind nichts wert, wenn der politische Wille fehlt. Solange sich dieser Wille nicht in konkretem Handeln äußert, darf sich keiner beschweren, wenn die offiziellen Erklärungen tiefer Bestürzung als Betroffenheitslyrik wahrgenommen werden. Und deshalb: Bitte nicht noch mehr Schweigeminuten!
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