EU-Austritt

Der Brexit wird kein leichter Gang

Die Flagge Großbritanniens und der EU nebeneinander.
Die Flagge Großbritanniens und der EU nebeneinander. © imago / Ye Pingfan
Von Friedbert Meurer · 01.04.2017
Das Votum der Briten für den EU-Austritt wird nun umgesetzt: Der britische Botschafter bei der EU hat das Austrittsgesuch überreicht. Und schon jetzt steht fest: Europa will anders verhandeln, als die Briten sich das wünschen. Der Brexit wird zum Härtetest, kommentiert Londonkorrespondent Friedbert Meurer.
"Dover and Out", aus und vorbei, lautete das Wortspiel der Tageszeitung "The Sun" am Mittwochmorgen. "Dover and Out", in großen Lettern auf die weißen Kreidefelsen von Dover montiert als Grußadresse an das europäische Festland. Aus und vorbei, aber natürlich nicht für Großbritannien, hieß das. Sondern es war eine Botschaft an die EU: Es ist mit euch aus und vorbei, wir sind jetzt unabhängig und verbitten uns jede Einmischung von euch.
Wer in Deutschland meint, in Großbritannien herrsche jetzt Tristesse und Schwarzmalerei, seit Premierministerin Theresa May den Austrittsbrief an Brüssel geschrieben hat, der irrt. Die Umfragen sagen mitnichten aus, dass die Briten es bereuen, ihr Abenteuer namens Brexit jetzt in die Tat umzusetzen. Natürlich gibt es immer noch viele Remainer, die von morgens bis abends den Kopf schütteln und denen das dröhnende Gerede von "Global Britain" geradezu peinlich ist, die Behauptung also, Großbritannien werde jetzt weltoffen und befreit von allen Fesseln eine goldene Zukunft ansteuern. Viele Remainer sind lediglich der Auffassung, die Sache ist entschieden, bringen wir es hinter uns. Britischer Pragmatismus eben.
Jakob Rees-Mogg, einer der Wortführer der Brexiteers im Unterhaus, freute sich tags darauf über die Wiedergeburt der Demokratie in Großbritannien, und dass das Joch der EU ein Ende finde. Die Euroskeptiker seien einst eine exzentrische Minderheit bei den Konservativen gewesen, heute dagegen Mainstream. Rees-Mogg und andere blenden dabei aber aus, dass sich die unterlegene Hälfte seiner Fraktion zwar dem Ausgang des Referendums aus fairem Sportsgeist heraus beugt, aber den Brexit trotzdem immer noch für einen Fehler hält.

Gesalzene Rechnung aus Brüssel

Der Realitätstest beginnt ja auch erst jetzt. Rees-Moog und die "Tabloids", die Boulevardpresse, werden alle Zumutungen, die jetzt anstehen, der bösen EU zuschreiben, bestimmt auch uns Deutschen. Dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel darauf bestand, dass erst über den Brexit verhandelt wird und erst danach über einen neuen Handelsvertrag, nehmen einige Briten den Deutschen übel.
Trotzdem ist die Reihenfolge richtig: Erst wenn es erkennbare Fortschritte gibt und Großbritannien und die EU sich zum Beispiel, über die Schlussrechnung geeinigt haben, kann es weitergehen. Danach wird es Übergangsperioden geben, in denen sich Großbritannien natürlich weiter dem vermeintlichen EU-Joch wird beugen müssen. Am Ende - und das dauert also mehr als zwei Jahre – sollte Großbritannien tatsächlich aber möglichst eng mit der EU verbunden bleiben. Nicht zum Null- oder Dumpingtarif, aber doch als Freund und Partner. Was denn auch sonst?
Man mag sich zu Recht über die merkwürdige Rhetorik der Briten und ihre gelegentlich bizarr wirkende Distanz zu Europa wundern. Aber wie fast immer liegt alles in der Geschichte begründet. Deutschland hat ein gebrochenes Verhältnis zur Nation, die EU ist unsere Ersatz-Nation geworden. Würden wir die EU verlassen wollen, täte sich auch ein moralischer Abgrund vor uns auf. Bei weitem nicht alle Brexiteers sind Rassisten und auch nicht verblendete Nationalisten.

Brexit im Realitätscheck

Sie sind einfach stolz auf 800 Jahre ungebrochene Demokratie. Uns ist eine Vorschrift mehr oder weniger aus Brüssel gleich, den Briten nicht. Und wenn wir ehrlich sind: Die EU mögen wir auch deswegen so sehr, weil wir Deutschen dort einiges zu sagen und bestimmen haben.
Vieles hängt jetzt an Premierministerin Theresa May. Sie hat lange dem Brexit-Affen Zucker gegeben. Die glückstaumelnden Brexiteers werden jetzt von ihren rosaroten Wolken heruntersteigen müssen. Der Brexit wird Geld kosten. Norwegen und die Schweiz zahlen für den Zugang zum Binnenmarkt, also muss Großbritannien das auch. Die Briten werden auch in manchen Bereichen Urteile des Europäischen Gerichtshofs anerkennen müssen, für sie die Verkörperung des EU-Jochs. Spanien droht mit einem Veto gegen einen Handelsvertrag wegen Gibraltar. Und in Schottland und Irland warten Nationalisten auf die Gunst der Stunde. Der Brexit wird zum großen Härtetest. Es wird nicht reichen, einfach nur zum Abschied noch einmal von den Kreidefelsen in Dover zu winken.
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