"Königin Lear" in Frankfurt

Die Witwe, der Wahnsinn und die Wirtschaft

"Königin Lear" mit Josefin Platt (vorn rechts) am Schauspiel Frankfurt
"Königin Lear" mit Josefin Platt (vorn rechts) am Schauspiel Frankfurt © Birgit Hupfeld / Schauspiel Frankfurt
Von Michael Laages · 10.09.2016
Shakespeares Lear ist am Schauspiel Frankfurt eine mächtige Königin, die über ein Konzern-Imperium gebietet. Tom Lanoyes Klassiker-Überschreibung wird klar, knapp und ruppig in Szene gesetzt – so funktioniert das alte Drama ganz im Hier und Heute.
Ja – wieder gelingt Tom Lanoye die "Überschreibung" eines klassischen Stoffes. Seit den legendären "Schlachten!"-Königsdramen nach Shakespeare, vor bald 20 Jahren kreiert für Salzburg und Hamburg, hat der belgische Dramatiker die Methode perfektioniert, auch "Hamlet" nahm er sich schon vor; und nun also den "König Lear". Der wird zur Königin bei Lanoye – und wie das Vor-Bild teilt sie zu Beginn das eigene "Reich" unter den drei Kindern auf. Allerdings geht’s nicht um politische Herrschaft, sondern um Wirtschaftsmacht – Elisabeth Lear herrscht als Witwe über einen weltweit agierenden Konzern.
Es geht also um Milliarden – und nur der jüngste Sohn, Cordald (bei Shakespeare die Tochter Cordelia), will nicht in die Fußstapfen der Familie treten: Er will eine andere Wirtschaftswelt und setzt auf "Mikro-Investitionen" in die Schattenwirtschaft der Armen dieser Welt. So funktioniert das alte Drama ganz im Hier und Heute; auch sprachlich übrigens – ein bisschen anstrengend nur ist die absichtsvolle Grobheit, bis zum "Motherfucker" … naja. Und der Wahnsinn, in den der originale Lear verfällt, lauert für diese Königin halt nicht "auf der Heide" und im Donner und Blitz eines infernalischen Gewitters; hier ist "der Sturm" das Beben der Wirtschaft von anno 2008, exponentiell gesteigert bis zur Zerstörung der großen Städte mit all den Wolkenkratzern der alten Macht.

Der russische Pfleger übernimmt die Macht

Hauptakteur neben der immer weiter und von Anfang an im Wahn delirierenden Königin ist Finanzchef Kent; der ist vermutlich auch der Vater des jüngsten, aus der Art geschlagenen Sohns. Hier setzt Lanoye die meisten neuen Akzente – indem er diese Figur auch jene brutale Blendung erleiden lässt, die eigentlich zum zweiten Hauptstrang der Shakespeare-Fabel gehört, der vom wie Lear irrenden Vater Gloster. Ob allerdings auch eine echte Frauen-Tragödie steckt im Stück, bleibt fraglich – nur das Heiner-Müller-artige Wort von der Frau als "Neger der Geschichte" deutet in diese Richtung. Am Ende schließlich wird wohl ohnehin jene hinzu erfundene Figur Oleg, der russische Pfleger und Gelegenheits-Lover der Königin, die Wirtschaftsmacht über alles und alle übernehmen …
Lanoye will ja Shakespeare nicht neu erfinden – mit dessen Motiven markiert er scharf und hat die Gegenwart. Kay Voges, Schauspiel-Chef im derzeit sehr hippen Theater Dortmund, erzählt das genau so klar, knapp und ruppig wie der Text; auf Daniel Roskamps Bühne, die von weißen Linien und schwarzen Quadraten dazwischen wie eine Computer-Grafik strukturiert ist. Und Josefin Platt als Wirtschaftskönigin läuft im Ensemble zu wirklich grandioser Form und Klasse auf. Mit ihr wird Lanoyes Methode dann sogar zum Ereignis.
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