Ethiker Jochen Taupitz zu Sterbehilfe

Der Hausarzt ist als Unterstützer gefragt

09:22 Minuten
Eine Hand reicht einer anderen einen kleinen Kunststoffbecher mit einer Flüssigkeit.
Sterbehilfe (Symbolbild) © imago images / Sepp Spiegl
Moderation: Liane von Billerbeck · 16.04.2019
Audio herunterladen
Der Medizinethiker Jochen Taupitz spricht sich dafür aus, dass Ärzte in Einzelfällen Beihilfe zum Suizid leisten dürfen. Sie könnten die Psyche ihrer Patienten einschätzen, sagte er vor der Verhandlung zur Sterbehilfe beim Bundesverfassungsgericht.
Liane von Billerbeck: Ab heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in Deutschland. Endlich, finden die Kläger, stellvertretend für viele. Seit Ende 2015 steht Sterbehilfe als Dienstleistung ja hierzulande unter Strafe. Dagegen haben schwerkranke Menschen, Sterbehilfevereine und Ärzte geklagt, und das schon vor einiger Zeit – Zeit, die ja etliche Betroffene nicht haben. Jetzt befasst sich also das höchste deutsche Gericht damit, und warum das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe auch manche Haus- und Klinikärzte in die Bredouille bringt, darüber habe ich vor der Sendung mit Professor Jochen Taupitz gesprochen, einem renommierten Experten für Gesundheitsrecht und Medizinethik, Professor an der Uni Mannheim und seit Februar 2019 auch neuer Vorsitzender der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten bei der Bundesärztekammer. Taupitz befürwortet die Sterbehilfe durch Ärzte. Schönen guten Morgen!
Jochen Taupitz: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Billerbeck: Ärzte dürfen heute keine Beihilfe zum Suizid leisten, so steht es im Strafgesetzbuch, sie dürfen einem Patienten, auch wenn der das will, keine Medikamente besorgen, damit er sich damit, oder sie, selbst töten könnte. Sie, Herr Taupitz, sagen nun, das ist falsch, gerade Ärzte sollten solche Beihilfe zur Selbsttötung geben dürfen. Warum?
Taupitz: Erstens sind Ärzte diejenigen, die es fachkundig machen können, die nämlich wissen, wie man die Medikamente zu dosieren hat, in welcher Reihenfolge man verschiedene Medikamente geben muss, damit der Patient nicht unnötiges Leiden, unerträgliches Leiden auf sich nehmen muss. Außerdem sind Ärzte ja auch diejenigen, die tagtäglich die Einwilligungsfähigkeit von Patienten überprüfen müssen, auch überprüfen müssen, ob kein unzulässiger Druck von außen stattfindet. Also auch das ist das tägliche Geschäft von Ärzten, dass sie wahrnehmen, ob der Patient wirklich einwilligungsfähig ist, ob er selbstbestimmt in die Maßnahme einwilligt, die der Arzt ihm anbietet. Also aus vielerlei Hinsicht sind die Ärzte eigentlich diejenigen, die das machen sollten.
Die jetzige Situation ist so, dass ein Laie, nur ein Laie das machen darf. Ärzte dürften es zwar auch dann, wenn sie es nur einmal machen, denn der Begriff geschäftsmäßig im Paragrafen 217 bedeutet: in Wiederholungsabsicht, aber wenn ein Arzt aus Gewissensgründen einem Patienten die Beihilfe zum Suizid leistet, dann schlägt sein Gewissen doch nicht heute so und morgen anders. Sondern er würde das bei einem anderen Patienten in einer vergleichbaren Situation ja auch aufgrund seines Gewissens machen. Also deshalb sind die Ärzte so stark von diesem Gesetz betroffen.

"Ein zweiter Arzt müsste hinzugezogen werden"

Billerbeck: Beschreiben Sie uns doch mal die Umstände, unter denen so etwas ein Arzt tun kann.
Taupitz: Also ich meine — und da stehe ich nicht alleine, sondern viele, viele Wissenschaftler haben das seit Langem gefordert —, dass nicht ein Arzt alleine im stillen Kämmerlein das mit seinen Patienten ausmachen sollte, sondern dass unbedingt ein zweiter Arzt hinzugezogen werden müsste, ein unabhängiger Arzt, und beide Ärzte müssten bestätigen, dass der Patient wirklich selbstbestimmt seinem Leben ein Ende bereiten möchte. Es müsste dokumentiert werden, damit es auch im Nachhinein nachvollzogen werden kann, unter welchen Umständen diese Beihilfe zum Suizid geleistet wurde, und es müsste zwingend eine bestimmte Bedenkzeit eingehalten werden, damit ein solcher Suizid nicht aus einer Laune heraus, aus einer depressiven Stimmung heraus erfolgt, sondern wirklich wohlüberlegt stattfindet. Das alles müsste von den Ärzten dokumentiert und überprüft werden, und insofern wäre auch kein Missbrauch, kein Missstand zu befürchten. Die Suizidbeihilfe würde auch nicht zu einem täglichen Geschäft. Es darf natürlich nicht dazu kommen, dass die Menschen aus finanziellen Gründen oder aus sonstigen depressiven Stimmungen heraus die Beihilfe zum Suizid erbitten.
Billerbeck: Kann denn aber nun ein Mediziner, egal jetzt ob Hausarzt, Krankenhausarzt oder für einen Sterbehilfeverein tätig, tatsächlich auch bei einem Menschen, den er kaum kennt, fundiert entscheiden, ob da der Wunsch nach Suizid ernstgemeint, nachvollziehbar, freiwillig und wohlüberlegt getroffen wurde?
Taupitz: Deswegen meine ich ja, dass zwei Ärzte hier beteiligt werden müssen, die ausführlich mit dem Patienten sprechen müssen, die die Gründe des Patienten auch erfragen müssen, die die Selbstbestimmungsfähigkeit des Menschen überprüfen müssen. Das ist kein einmaliges fünfminütiges Gespräch, sondern da muss ein intensiver Kontakt stattfinden, um die Freiverantwortlichkeit des Patienten wirklich hinreichend valide beurteilen zu können.

Hausärzte dürften helfen

Billerbeck: Das Wort Sterbehilfevereine ist eben schon gefallen, Vereine wie Exit oder Dignitas, die ja – in Anführungsstrichen – geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid anbieten. Geschäftsmäßig heißt ja nicht unbedingt gewinnbringend, sondern als Dienstleistung, zumindest für den deutschen Gesetzgeber. Sollten solche Vereine diese Beihilfe zum Suizid also künftig auch in Deutschland anbieten dürfen?
Taupitz: Na ja, es ist ja so, dass diese Vereine nur deshalb auf den Plan treten, weil sich die Ärzteschaft bisher dieser Maßnahme verweigert. Wenn ein Patient wüsste, dass er bei seinem Hausarzt offen sprechen kann, wenn er wüsste, dass sein Hausarzt ihm gegebenenfalls eine Adresse von einem anderen Arzt vermittelt, der aus Gewissensgründen die Beihilfe zum Suizid leistet, dann müsste es eine solche Organisation wie Sterbehilfevereine ja überhaupt nicht geben. Aber die Ärzteschaft verweigert sich in Deutschland aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen, und deshalb gibt es solche Organisationen wie Dignitas in der Schweiz, die ja auch in Deutschland tätig werden wollen.
Billerbeck: Na ja, die haben ja mal einen Eid geschworen.
Taupitz: Die Ärzte haben einen Eid geschworen, dass sie Leid mindern und dass sie den Patienten dienen. Leidminderung kann ja im Extremfall, wenn es denn wirklich aus Gewissensgründen geschieht, auch die Beihilfe zum Suizid sein.
Billerbeck: Sie wollen ja nun, dass Ärzte ein Recht auf Beihilfe zum Suizid bekommen. Leiten Sie daraus auch ab das Recht von Sterbewilligen auf ärztliche Assistenz bei der Selbsttötung?
Taupitz: Nein, selbstverständlich nicht. Es muss eine Gewissensentscheidung jeden Arztes bleiben, so wie ausdrücklich auch im Gesetz festgelegt ist, dass kein Arzt verpflichtet ist, an einer Abtreibung teilzunehmen. Also diese Tötungshandlungen, auch die machen Ärzte nur, wenn sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, und nicht anders darf es bei der Beihilfe zum Suizid sein.

"Es soll keine normale Dienstleistung sein"

Billerbeck: Wie sollte das denn nun vonstattengehen? Als wieder mal "ganz normale Dienstleistungen" bezahlt von der Krankenkasse?
Taupitz: Es soll keine ganz normale Dienstleistung sein, sondern es soll in extremen Fällen, in denen der Patient wirklich selbstverantwortlich die Beihilfe zum Suizid erbittet, soll es einem Arzt ermöglich werden, straffrei diese Beihilfe zu leisten. Es müsste übrigens auch das Betäubungsmittelgesetz geändert werden, weil das in seiner geltenden Fassung den Ärzten verbietet, entsprechend wirksame Betäubungsmittel zu verschreiben. Aber wenn denn ein Arzt aus Gewissensgründen nachvollziehen kann, dass ein Patient seinem Leben ein Ende bereiten möchte, dann sollte ihm diese Gewissensentscheidung auch nicht durch das Strafgesetzbuch verwehrt sein.
Billerbeck: Die Bundesärztekammer, die sieht das ganz anders als Sie. Die hat bei einer Anhörung vor dem Bundesgesundheitsausschuss im Februar erklärt, es dürfe keine Option ärztlichen Handelns sein, in hoffnungslosen Lagen einem Patienten eine aktive Tötung zu empfehlen oder nur daran mitzuwirken. Palliativmedizinische Versorgung biete eine zumutbare Alternative, und auch die Gesellschaft für Palliativmedizin hat gewarnt. Was antworten Sie all diesen Stimmen?
Taupitz: Diesen Stimmen antworte ich, dass die Auffassung in der Ärzteschaft keineswegs so eindeutig ist, wie es die Bundesärztekammer glauben macht, sondern sehr, sehr viele Mediziner, auch Palliativmediziner, etwa die Hälfte der Ärzteschaft, wären bereit, aus Gewissensgründen Beihilfe zum Suizid zu leisten. Also die Auffassungen in der Ärzteschaft sind ebenso gespalten wie in der Gesellschaft, und ich meine, dass angesichts dieser Pluralität der Gesetzgeber sich nicht auf den engstmöglichen Standpunkt stellen sollte, sondern aus Gewissensgründen in Einzelfällen die Beihilfe zum Suizid zulassen sollte.

Absicht von Gewinnerzielung unter Strafe stellen

Billerbeck: Im Strafgesetzbuch heißt aber dieser Ausdruck geschäftsmäßig – über den haben wir ja auch geredet –, also meint er juristisch nur als Dienstleistung, aber nicht gewinnorientiert. Wo liegt für Sie aber bei dem Modell, das Sie vorschlagen, die ethische Grenze – genau da, wo eben doch Gewinn gemacht werden würde mit der Beihilfe zum Suizid? Wie verhindert man, dass das passiert?
Taupitz: Das kann man einfach dadurch verhindern, dass man die Gewinnerzielungsabsicht, so wie es die Schweizer tun, unter Strafe stellt. Man sollte natürlich auch natürlich die Werbung für die Beihilfe zum Suizid verbieten. Wir haben ja gerade die Diskussion erlebt zur Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, und da ist ja eine große, große Mehrheit der Auffassung, dass fachliche Information zulässig sein sollte. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht ja angesichts der Verweigerung der Ärzteschaft das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte verpflichtet, Beihilfe zum Suizid zu leisten, in dem die entsprechenden Medikamente zur Verfügung gestellt werden. Also das ist eigentlich doch ein Skandal, dass das höchste deutsche Verwaltungsgericht eine Behörde anweisen muss, Beihilfe zum Suizid in Ausnahmefällen, in existenziellen Lagen, zu leisten, weil sich die Ärzteschaft verweigert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema