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Tschechische Traditionsunternehmen (2/5)
Mit Modellbau zum Technik-Verständnis

Bagger, Brücken, Kugelbahnen: Mit den Metallbaukästen der tschechischen Firma Merkur wird jedes Kind zum Konstrukteur. Um zukunftsfit zu bleiben, setzt der Hersteller auch auf Schulen und Universitäten, die mit dem Modellbau technische Bildung vermitteln sollen.

Von Kilian Kirchgeßner | 27.03.2018
    Jaromir Kriz (65), Geschäftsführer des Baukasten-Herstellers Merkur, hinter einem riesigen roten Modell aus Metall
    Jaromir Kriz (65) ist Geschäftsführer des Baukasten-Herstellers Merkur im tschechischen Police (Deutschlandradio/ Kilian Kirchgeßner)
    Die Augen von Jaromir Kriz leuchten, wenn er die Kugel oben auf die metallene Bahn setzt und verfolgt, wie sie immer schneller wird und die verwinkelte, mannshohe Kugelbahn herunterläuft. Hunderte Male hat er sie schon in Gang gesetzt, aber die Faszination bleibt:
    "Das haben wir aus Baukästen für Schulen gebaut. Da lernt man, technisch zu denken."
    Jaromir Kriz ist ein begeisterter Spieler, und das ist wohl auch die Voraussetzung für seinen Beruf: Er ist Geschäftsführer von Merkur – einer Firma im tschechisch-polnischen Grenzland, die mit Metallbaukästen im ganzen Ostblock berühmt geworden ist. Aus Metallplatten und –riegeln lassen sich mit kleinen Schräubchen Bagger zusammenbauen, Häuser, Brücken oder eben Kugelbahnen.
    "Ohne mich gäbe es Merkur nicht mehr. Als ich die Firma übernommen habe im Jahr 1993, war schon seit einem Dreivierteljahr die Herstellung eingestellt, das ganze Unternehmen war in der Abwicklung. Also habe ich das in die Hand genommen, habe Modelleisenbahnen herstellen lassen und Lehrmittel für den Schulunterricht – das sehen Sie gleich alles!"
    Vitrinen voller Merkur-Modelle
    Inzwischen ist Kriz 65 Jahre alt, er trägt einen grauen Vollbart und über dem Hemd einen Strickpullover. Er hat ein Treffen im Museum vorgeschlagen – im eigenen Merkur-Museum im Städtchen Police. Es ist ein Schulhaus aus k.u.k.-Zeiten mit hohen Fluren und großen Studierzimmern.
    "Wir hatten mal bei einer Kirmes ein paar Modelle von uns ausgestellt, und die Leute waren so begeistert, dass wir im Heimatmuseum ein paar Räume für eine Dauerausstellung gekriegt haben. Auf einmal kamen in das Museum zehnmal mehr Besucher als vorher. Als dann die Schule hier zumachte, haben wir gesagt: Lasst uns doch ein eigenes Museum aufbauen!"
    Die früheren Klassenzimmer sind jetzt vollgestellt mit Vitrinen voller Merkur-Modelle, und Jaromir Kriz drückt alle paar Schritte irgendwo auf einen Schalter, so dass sich etwas an den Modellen in Bewegung setzt.
    "Das hier zum Beispiel ist das Modell eines historischen Zugs, wir haben diese Modelle als erste gebaut."
    Wenn er von seinen Modellen erzählt, ist er nicht mehr zu bremsen. Von Rekorden und Auszeichnungen erzählt er, wie er es so häufig tut: tschechische Minister, Regierungschefs und Präsidenten sind auf Fotos an der Wand abgebildet, sie alle waren bei ihm zu Besuch.
    Das Museum leitet der Firmenchef höchstpersönlich, zusammen mit seiner Frau, die aus dem Hintergrund alles im Blick behält. Das Gebäude ist nur notdürftig hergerichtet für das Museum, aber auf Hochglanz komme es ihm nicht an, sagt Jaromir Kriz: Auch seine drei Fabrikhallen, ein paar Minuten entfernt vom Museum, sehen noch so aus wie 1920, als die Firma Merkur gegründet wurde.
    "Es geht nicht um mich, ich bin niemand, der reich werden will. Alles, war wir verdienen, stecke ich in den weiteren Ausbau der Firma. Seit ich Merkur übernommen habe, war ich nicht mehr im Urlaub."
    Baukästen für den Technik-Unterricht an Schulen und Unis
    Mit dem angestaubten Baukasten-Hersteller hat Jaromir Kriz jetzt große Pläne: Er baut Baukästen für den Technik-Unterricht an Schulen und an der Universität. Im Kommunismus war er Direktor einer Berufsschule für angehende Techniker – das Didaktische, so scheint es, liegt ihm im Blut. Im Treppenhaus zeigt er auf ein acht Meter langes Modell eines Viadukts, ausgeführt in farbigen Merkur-Bausteinen.
    Er stürmt voran in einen Raum, der für ältere Schüler auf Klassenfahrt gedacht ist. In Reih und Glied stehen Arbeitsplätze, auf jedem ein Modell, mit dem die Funktionsweise von Motoren erklärt werden oder von physikalischen Gesetzen. Auch kleine Computer sind mit dabei:
    "Das hier ist ein Förderband mit Sensor, der mithilft, Klötzchen nach Größe zu sortieren. Hier ist das Modell einer CNC-Fräse."
    Den Werbespruch für seine pädagogischen Materialien hat sich Jaromir Kriz selbst ausgedacht. Er klingt plausibel, wenngleich ein wenig sperrig:
    "Schon Konfuzius sagte vor 2.500 Jahren: Wenn du etwas hörst, vergisst du es, wenn du es siehst, merkst du es dir und wenn du es ausprobierst, versteht du es. Comenius fügte hinzu: Die Schule des Spielens ist die Grundlage. Und wir fügen hinzu: Wenn du etwas mit Merkur baust, entdeckst du viele neue Sachen, denkst dir Neues aus und bestehst später im Konkurrenzdruck."
    Modellbau mit Smartphone-Steuerung
    Genau das ist die neue Mission von Jaromir Kriz: Die Firma Merkur hat er gerettet – jetzt möchte er neue Techniker heranbilden. Denn ohne die, sagt er, sei der Standort Tschechien verloren. Eine Mischung aus Technik-Begeisterung und Patriotismus sei es, die ihn antreibe.
    Er holt aus einer Vitrine ein Fahrzeug, das mit Batterie betrieben wird; ein Mini-Roboter ist es, den er mit seinem Smartphone bedient.

    "Das ist ein Gyroskop, das geht mit Bewegung. Ich kann das mit dem Handy steuern oder mit einem Tablet."
    Da ist sie wieder, seine Spielfreude wie bei der Kugelbahn: Wenn er das Smartphone dreht und wendet, bewegt sich parallel dazu auch das Roboter-Auto. Eigentlich, sagt Jaromir Kriz, sei es ja heute fast so wie im Jahr 1920, als die Firma Merkur gegründet wurde: Damals begeisterten die einfachen Bausätze junge Leute für die Technikberufe – und genau das sei heute auch noch sein Ziel, nur dass es eben nicht mehr nur um Metallplatten und Schräubchen geht, sondern auch um kleine Roboter.