"Es wird mir etwas schwer fallen, plötzlich nicht mehr richtig zu arbeiten"

Hans-Ulrich Klose im Gespräch mit André Hatting · 28.06.2013
Er war Bürgermeister in Hamburg und seit 1983 Mitglied im Bundestag, jetzt verabschiedet sich SPD-Mann Hans-Ulrich Klose aus dem Parlament. Am Abgeordnetendasein vermissen werde er die "Möglichkeit, jeden Tag etwas Neues zu lernen dadurch, dass ich zuhöre, was andere sagen".
André Hatting: Wolfgang Thierse, Franz Müntefering, Heidemarie Wieczorek-Zeul, sie alle beenden heute ihre Laufbahn als Bundestagsabgeordnete – und Hans-Ulrich Klose, mit 76 Jahren, so etwas der Elder Statesman der SPD-Bundestagsfraktion. Seit 31 Jahren ist Klose Mitglied, fraktionsübergreifend geschätzt für seine Expertise, vor allem in der Außenpolitik. Aber nach dieser Wahlperiode werden wir darauf verzichten müssen, also im September ist dann endgültig Schluss für den Hanseaten. Guten Morgen, Herr Klose!

Hans-Ulrich Klose: Guten Morgen!

Hatting: Sie verabschieden sich mit einer Rede anlässlich 50 Jahre Kennedy-Auftritt in Berlin. Das deutsch-amerikanische Verhältnis - eine Herzensangelegenheit von Ihnen?

Klose: War es eigentlich immer, und das hat zu tun mit der Tatsache, dass ich ein Jahr als Austauschschüler in Amerika war in einer Zeit, als das noch was ganz besonderes war, 1954, 55. Ich habe dabei nur gute Erfahrungen gemacht, und das wirkt weiter.

Hatting: Sie haben die USA sogar mal als Ihre gefühlte zweite Heimat bezeichnet. Die steht ja im Augenblick massiv in der Kritik wegen Schnüffeleifers des Geheimdienstes. Herr Klose, fällt es Ihnen gerade ein bisschen schwer, die USA zu mögen?

Klose: Nein, es gibt eine Grundsympathie, obwohl es natürlich auch einzelne Punkte gibt, an denen ich Kritik ansetze, das gilt zum Beispiel für das, was jetzt bekannt geworden ist, es gibt auch andere Punkte. ich muss allerdings zugeben, ich versuche dabei immer, auch die andere Seite zu verstehen, und manchmal zeigt sich, dass wir uns über Dinge empören, die wir gleichwohl nutzen.

Hatting: Sie haben immer eine klare Parteinahme der Deutschen für die Haltung der Westalliierten gefordert, ob das in der Golfkrise 1990/91 war, oder der Libyeneinsatz 2011, und Sie haben sich damit in der Partei nicht gerade beliebt gemacht. Wie hält man das aus, SPD-Dissident, zumindest zeitweise, zu sein?

Klose: Na, glücklicherweise war meine eigene Fraktion und Partei beide immer relativ nachsichtig mit mir, weil sie jedenfalls zugehört haben und meine Argumente nicht in Bausch und Bogen abgelehnt haben. Um mehr ging es mir auch gar nicht, ich wollte einfach, dass die Amerikaner uns verstehen und umgekehrt wir die Amerikaner, weil ich glaube, dass die Zusammenarbeit über den Atlantik hinweg wichtig ist für uns alle, und weil ich überzeugt davon bin, dass wir in Zukunft daran festhalten müssen, ja, eher noch mehr als in der Vergangenheit, weil der Westen, das, was wir den Westen nennen, ja global in eine absolute Minderheitenposition hineinwächst, und wenn wir nicht zusammenhalten, werden wir insgesamt marginalisiert werden.

Hatting: Ein junger Kollege aus Dortmund, Marco Bülow – der gehört mit seinen 42 Jahren zum Nachwuchs des Bundestages –, der beklagt, dass immer weniger Abgeordnete den Mumm hätten, sich gegen die Meinung ihrer Fraktion zu stellen, so wie Sie das mehrfach getan haben. Er nennt das Abnicker-Mentalität. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Klose: Ich persönlich habe das nicht erlebt, weil bei mir hat es die Fraktion eigentlich immer akzeptiert, die jeweiligen Fraktionsvorsitzenden waren manchmal nicht glücklich darüber, aber ich gehöre halt zu denen die glauben, dass manchmal auch die anderen recht haben könnten, und daraus ziehe ich dann Konsequenzen?

Hatting: Was heißt das konkret?

Klose: Na ja, man muss die Argumente prüfen, und wenn ich zu dem Ergebnis komme, dass eine Position, sei es eine amerikanische im globalen Diskurs oder eine Position einer anderen Fraktion im Bundestag, richtig ist, dann kann ich deswegen ja nicht nur, weil das eine andere Fraktion ist, sagen: Ich votiere dagegen.

Hatting: Erleben Sie, dass man heute den jüngeren Abgeordneten das weniger durchgehen lässt?

Klose: Eigentlich nein, ich glaube, dass die Diskussionskultur in den Fraktionen vor allen Dingen in den Arbeitsgruppen und Ausschüssen viel kooperativer ist, als es meistens nach außen dargestellt wird. Im Auswärtigen Ausschuss zum Beispiel argumentieren wir, und zwar ganz offen, weil wir wissen, dass es berechenbar richtige Entscheidungen in der Politik und in der Außenpolitik nicht gibt, und dass es nur Entscheidungen gibt mit mehr oder weniger guten Argumenten. Also muss man argumentieren, und wenn man das verinnerlicht hat, dann kommt man eigentlich sehr gut zurecht.

Hatting: 31 Jahre lang waren Sie Mitglied des Bundestages. Was war der schönste Moment in dieser Zeit?

Klose: Na ja, ganz zweifellos die Nacht, als plötzlich die Meldung kam, die Mauer ist offen.

Hatting: Mit Blick auf Ihre Karriere als Politiker haben Sie einmal gesagt, das Wichtigste sei, dass man das Scheitern lerne. Was meinen Sie damit?

Klose: Gut, ich habe das ja ganz konkret erfahren. Ich bin 1981 vom Amt des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg zurückgetreten, weil ich in einer wichtigen Frage - Bau eines Kernkraftwerkes - keine Mehrheit hatte. Das war ein wichtiger Schritt, weil ich danach gesehen habe, wer freundlich zu mir war, weil ich Bürgermeister war, und nicht mehr freundlich war, weil ich es nicht mehr war.

Hatting: Sie sind, Herr Klose, das ganze Gegenteil eines Parteisoldaten - nicht nur wegen Ihres eigenen Kopfes, sondern auch, weil Sie das verkörpern, was das schöne altmodische Wort Schöngeist beschreibt: Sie spielen Klavier, Sie malen, Sie zeichnen, und Sie schreiben Lyrik. Auf Ihrer Internetseite findet man immer ein Gedicht des Monats, meistens stammt das von Ihnen. Ist das mehr als nur ein Ausgleich zum Politikjargon?

Klose: Zu den Gedichten muss ich sagen, ich habe kein poetisches Programm. Im Grunde ist das, was ich da bisweilen aufschreibe, eine Art Tagebuchersatz. Ich liebe es, dies in Versen zu machen, weil das zwingt zur Formensuche, und das halte ich für ziemlich wichtig. Und das Gleiche gilt dann für das Malen, was eigentlich Zeichnen ist. Wir waren gut befreundet mit Horst Jansen, der ja ein begnadeter Zeichner gewesen ist. Das hat Einfluss gehabt auf mich.

Hatting: Die "Bild"-Zeitung hat sich schon bei Ihnen bedankt mit einem kleinen Artikel, zum Beispiel für den Hamburger Klang Ihrer Sprache, den haben wir jetzt auch wieder gehört, aber auch für Ihre Ausdauer auf allen Partys der Berliner Republik. Klose, der Partylöwe - das hätte ich jetzt nicht gedacht.

Klose: Partylöwe halte ich auch für ganz falsch. Aber ich finde es richtig, dass man sich am Leben der Hauptstadt beteiligt, das habe ich manchmal in Bonn vermisst. In Berlin ist es aber so, da passiert so viel Interessantes, dass ich gern daran teilhabe.

Hatting: Warum die Berliner Szene Sie vermisst, wissen wir jetzt. Was werden Sie umgekehrt vermissen?

Klose: Das, was ich vorhin beschrieben habe, diese Möglichkeit, jeden Tag etwas Neues zu lernen dadurch, dass ich zuhöre, was andere sagen. Jeder sagt etwas, was ich vielleicht noch nicht oder noch nicht so bedacht habe, wie es geäußert wurde, und das ist das eigentlich Entscheidende des Parlamentariers, durch Sprechen zu lernen, jeden Tag was Neues.

Hatting: Gibt es für Sie ein Leben nach dem Bundestag? Wie sieht das aus?

Klose: Es wird mir etwas schwerfallen, plötzlich nicht mehr richtig zu arbeiten. Ich habe jetzt insgesamt 52 Arbeitsjahre hinter mir und beschäftigungslos zu sein, das kann ich mir gar nicht vorstellen, also werde ich mir eine Beschäftigung suchen. Ich werde wahrscheinlich schreiben - nichts autobiografisches, da scheue ich mich etwas, aber zum Beispiel darüber nachdenken, was war eigentlich wichtig und was war nicht wichtig, wäre schon etwas. Und darüber hinaus gibt es schon hie und da Anfragen und Angebote, über die ich nachdenke.

Hatting: Hans-Ulrich Klose - seit 31 Jahren sitzt er für die SPD im Bundestag, heute hält er noch einmal eine große Rede, aber dann ist Schluss. Herr Klose, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute!

Klose: Nichts zu danken, Wiederhören!


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