"Es wird eine Promillegrenze für Fußgänger geben"

Peter Richter im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 21.04.2011
Peter Richter, Autor des Buchs "Über das Trinken", geht davon aus, dass dem Alkohol das gleiche Schicksal blüht wie der Zigarette - die Verbannung aus dem öffentlichen Raum.
Liane von Billerbeck: Fast ist es ja zur Mode geworden: das Fasten. Von Aschermittwoch bis Ostern trinkt man nicht, soll heißen, keinen Alkohol. Einer, der das Mist findet und befürchtet, dass es beim Trinken zu einer ähnlich restriktiven Lage kommt wie beim Rauchen, das ist Peter Richter, Sachse und Trinker, was nicht gleichbedeutend mit Alkoholiker ist. Der Redakteur der "FAS" hat ein Buch über das Trinken geschrieben und ist kurz vorm Ende der Fastenzeit jetzt bei uns zu Gast. Willkommen!

Peter Richter: Hallo!

von Billerbeck: Wie viel Promille hatten Sie im Blut, als Sie auf die Idee kamen, ein Buch übers Trinken zu schreiben?

Richter: Selbstverständlich null Komma null Promille, und ich muss auch gleich mal eingreifend korrigieren, dass ...

von Billerbeck: Oh, das fängt ja gut an ...

Richter: Ich finde die Fastenzeit eine fantastische Einrichtung, das ist eine diätetische Maßnahme, die dazu dient, letztlich den Rausch zu steigern, den Genuss zu steigern. Man spart sich was auf, man übt Enthaltsamkeit und ist danach mit weniger glücklich.

von Billerbeck: Das heißt, Sie sind auch einer, der jetzt fastet?

Richter: Nein. Ich hab's nicht geschafft, vielleicht mach ich's von Ostern bis Karneval, aber in diesem Falle habe ich leider versagt.

von Billerbeck: Wenn Sie was trinken, was trinken Sie dann?

Richter: Das kommt drauf an. Ich hab im Fußballstadion glaube ich noch nie Wein getrunken, ich hab zu Ostern noch nie ein Bier aufgemacht, und im Normalfall trinke ich, wie alle Menschen auch Kaffee, Wasser - auch berauschende Mittel, wenn man so will.

von Billerbeck: Nun sind Sie ja Autor, schreiben Bücher und Texte für die "FAS" - geht das eigentlich, schreiben und trinken, denn das war ja früher so, dass eigentlich alle berühmten Schriftsteller, die konnten nur im Vollrausch.

Richter: Richtig ist, dass wir alle sehr berühmte Schriftsteller sind bei der "FAS", danke gleich mal.

von Billerbeck: Das war jetzt der Subtext.

Richter: Die Sache ist, ich kann es leider nicht, ich weiß aber, als ich angefangen habe mit dem Journalismus, war das üblich, beim Mittagessen, beim Lunch hätte man Wein getrunken. Und ich hab ja auch an diesem Funkhaus gearbeitet. Damals hieß die Kantine noch Casino, und da haben die Leute auch abends, bevor sie ...

von Billerbeck: Liebe Hörer, die Zeiten sind lange, lange her.

Richter: ... moderiert haben, sich eine gewisse Festigkeit in die Stimme mit einem Gläschen. Warum denn auch nicht? Heutzutage ist das völlig verpönt, die würden, glaube ich, ihren Arbeitsplatz verlieren. Als ich angefangen habe, war das völlig - ich möchte nicht sagen, dass es wie bei "Mad Men" war, in der Serie, wo die so ein bisschen Armdrücken mit der Leber machen, aber es ist schon so, Journalisten haben früher definitiv mehr getrunken, und es ging auch darum, dann ein bisschen angeschwipst zu schreiben. Ich könnte es heute nicht mehr, ich müsste mich direkt ins Bett legen. Wir versuchen heutzutage, uns in den Rausch hineinzuschreiben. Der Text ist die Party, heißt es bei uns.

von Billerbeck: Peter Richter macht sich hier viel älter, als er ist. Er tut so, als ob das sozusagen in grauer Vorzeit gewesen ist. Der Mann ist Anfang 40, wenn ich richtig gerechnet habe.

Richter: Ich bin Ende 30, Entschuldigung, Mitte 30 würde ich sagen. Es sind kurze Zeiträume einfach. Ich glaube, seit zehn Jahren verdiene ich mein Geld mit Journalismus, in dieser Zeit hat es sich komplett geändert. Man wurde vor zehn Jahren noch, glaube ich, ein bisschen schief angeguckt, wenn man gar nichts getrunken in diesem Beruf. Heutzutage hat sich das komplett geändert, da fliegt man, glaube ich, raus, wenn man mittags ...

von Billerbeck: ... ins Casino geht.

Richter: ... Wein bestellt.

von Billerbeck: Nun sind Sie ja Sachse, aber leben und arbeiten in Berlin, und wenn man sich anguckt, wie so die Politik funktioniert, dann hat man immer das Gefühl, dass unsere Gesellschaft doch immer noch sehr durchalkoholisiert ist. Welche Rolle spielt denn Alkohol in der heutigen Politik?

Richter: Da müssen Sie die Politiker mal fragen ...

von Billerbeck: Na, Sie beobachten die ja ab und zu.

Richter: Die Sache ist, Sie reiten immer auf meiner sächsischen, auf meiner grandiosen sächsischen Herkunft so rum ...

von Billerbeck: Sie reiten selber in Ihrem Buch dauernd darauf rum.

Richter: Ja, natürlich, weil dort von August dem Starken, von dem erwähnten, wurde gegründet eine Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit. Die wurde eingerichtet - natürlich war das eine Schnapsidee, aber die Idee dahinter ist natürlich eine tolle Idee - die wurde eingerichtet, um die diplomatischen Konflikte zwischen Sachsen und Preußen, damals gleichermaßen aufstrebende konkurrierende Mächte, insofern ein bisschen abzudämpfen, indem man mal ein paar Flaschen aufmacht und dann über die Dinge redet. Und wenn das Reden erst mal wie Lallen klingt, ja, dann verschwinden gewisse Missverständnisse und Meinungsverschiedenheit von alleine. Und diese Idee, trinken für den Frieden, die finde ich natürlich toll.

von Billerbeck: Hat sie funktioniert?

Richter: Natürlich hat sie nicht funktioniert, weil mit Preußen geht das nicht, aber aus Prinzip finde ich das natürlich super. Und ich glaube, die Bundesrepublik mit, Gott so Willy Brandt, diese Diktionen von diesen Leuten, die kam ja auch nicht von irgendwoher. Also dass die Leute, die dann hier in Berlin - ist mir erzählt worden -, die dann, wenn er seine wöchentliche Ansprache gehalten hat an die Berliner, haben die so ein Cognäckchen aufgemacht und haben Willy zugeprostet. Wissend, dass das irgendwie auch eine Erwiderung findet.

Ich glaube, der bundesdeutsche Politikbetrieb schwimmt auf einem Ozean von Alkohol, was teilweise natürlich definitiv was Pathologisches hat. Das dürfen wir jetzt gar nicht verschweigen.

Ich hab kein frivoles Saufbuch geschrieben, sondern ich hab mich dieses Themas phänomenologisch angenommen, und es ist natürlich so, dass wie bei allen tollen Sachen es ein Zuviel gibt, und ich glaube, dass Politiker eine extrem gefährdete Menschengruppe sind, weil sie permanent ein Glas hingehalten kriegen, bei jeder Abendveranstaltung. Es wird ja immer versucht sozusagen als Schmiermittel des Sozialen und des Diskurses irgendwie da Alkohol unterzulegen. Zweitens mal müssen sie mit ihren Bierchen, mit ihren Schnäpschen, mit ihren Weinchen immer irgendwie regionale Verbundenheit beweisen.

von Billerbeck: Und Volkstümlichkeit.

Richter: Volkstümlichkeit ist auch ganz wichtig. Als SPD-Politiker ist man quasi vom Parteibuch her verpflichtet, Bier zu trinken, glaube ich.

von Billerbeck: Als CSU-Mann glaube ich auch.

Richter: Als CSU-Mann auch, als CDU-Kanzlerin sind, glaube ich, Rotweinkontingente mit im Amt drin, ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es so, dass es relativ schwer sein dürfte, als Politiker trocken zu bleiben, und deswegen kommen daher dann auch immer solche prohibitiven Gelüste, die aber so ein bisschen ...

von Billerbeck: Selbstkasteiung?

Richter: Ja, Selbstgespräche vor allen Dingen sind. Also wenn sich Politiker sagen, man müsste mal weniger trinken, der ganze blöde Alkohol müsste mal verboten werden - das sind die typischen Selbstgespräche eines Menschen, der einen Kater hat. Bloß Politiker machen dann immer gleich Gesetze draus. Und diese Tendenzen, ja, vor denen kann man, finde ich, nicht genug warnen.

von Billerbeck: Peter Richter ist bei mir zu Gast, zum nahen Ende der Fastenzeit. Wir sprechen übers Trinken, und er trinkt jetzt auch mal gleich einen Schluck. Die interessanteste Mitteilung ...

Richter: Wasser!

von Billerbeck: Ja, Wasser, Wasser! Die interessanteste Mitteilung für mich aus Ihrem Buch war, die ich keinen Führerschein habe, dass die Polizei Alkoholsünder immer dann ganz sicher fängt, wenn die sich exakt an die Straßenverkehrsordnung halten, wenn sie also tatsächlich 50 fahren, wenn 50 erlaubt ist. Wie das?

Richter: Hab ich auch vorher nicht gewusst, musste ich leidvoll erfahren, man könnte sagen, ich hab das Buch sehr gründlich recherchiert. Wer nachts in Berlin, da wo 50 erlaubt ist, 50 fährt, da denken sich die Polizisten, die das beobachten: Oh, der hat ein schlechtes Gewissen. Jeder fährt 60, ist einfach so. Da lohnt es sich mal, ans Fenster zu klopfen und mal pusten zu lassen.

Und wenn man dann, na ja, wenn man dann was getrunken hat, dann ist man halt, wenn man Pech hat, dran. Wenn man vor allen Dingen vorher noch ein paar Sachen sich zu Schulden kommen lassen hat, wie es ja mal passieren kann - nee, das darf ich jetzt nicht sagen, es darf eben halt nicht passieren, auch im jugendlichen Alter nicht -, aber es kann dann passieren, dass man eben unter Beweis stellen muss, dass man überhaupt den Führerschein wiederbekommen darf, bei einer medizinisch-psychologischen Untersuchung - schweres Wort, deswegen sagen ja die meisten Leute Idiotentest.

Und wer da reinkommt, der beklagt das häufig als böses Schicksal, es ist aber eigentlich ein Geschenk der Götter. Erstens mal, man ist davor bewahrt worden, jemanden totzufahren oder so, im letzten Moment kommt die Einsicht, aber man lernt vor allen Dingen zu begreifen, was das ist, was das Trinken mit einem macht, man beschäftigt sich damit intensiv.

Und das ist das, was ich letzten Endes ganz gut finde: Trinken ja, aber wissen, was man tut dabei. Also nicht besinnungslos saufen, sondern sich mit Besinnung die Besinnung wegsaufen.

von Billerbeck: Da ist ja die Frage dann sofort da, die haben Sie vorhin schon mal erwähnt, man soll nicht maßlos trinken. Ja, wo ist denn das Maß?

Richter: Das Maß zu finden, das ist eine Aufgabe, die sich die Menschheit stellt, seit es sie gibt, und wenn man antike Texte konsultiert, wenn man in der Bibel nachschaut, sie haben es alle nicht gewusst. Sie wussten immer bloß hinterher, wenn sie einen Kater hatten, das war zu viel. Also man kann immer bloß ... Um das Maß zu finden, muss man immer mal drüber liegen, und dann wird man es schon irgendwann für sich herausfinden.

Mein Ideal ist natürlich, dass man - das schreibe ich auch in meinem Buch so, das vertrete ich vehement - ein Trinken als Sport, aber eben nicht maßlos, wer schafft am meisten, sondern dass man für sich so das Maß findet, dass es wie ein Surfen ist. Dass man sich aufschwingt auf so eine Welle tiefer innerer Heiterkeit und dann da bleibt. Man muss man wissen, welche Getränke man trinkt dazu, wann wie viel Wasser und so, ohne abzustürzen.

von Billerbeck: Ich höre bei der Bundesdrogenbeauftragten gerade alle Alarmglocken klingen. Stehen Sie bei der schon auf der schwarzen Liste?

Richter: Ich weiß nicht, was bei der alles auf der Liste steht. Ich weiß nur, dass es angefangen hat bei Drogen, bei wirklichen Drogen, bei Heroin, was heute gar kein Thema mehr ist. Dass wir heute uns über 13-jährige Alkopop-Trinker unterhalten, liegt ja daran, dass es keine 13-jährigen Herointoten am Bahnhof Zoo mehr gibt. Es ist alles schlimm, wenn es Koma-Trinker gibt, aber es ist immer ein Zeichen des Fortschrittes. Also sozusagen die sogenannten Volksdrogen, Nikotin und Alkohol, sind ja nur deswegen in den Fokus der Drogenbeauftragten gekommen, weil offensichtlich bei den anderen Drogen die Erfolge bereits hinreichend waren.

von Billerbeck: Wenn Sie mal einen Blick in die Zukunft werfen, Herr Richter, wird's schlimmer werden für alle, die sich gern mal volllaufen lassen?

Richter: Es wird schlimm werden für alle, die auch gerne mal das sogenannte gepflegte Glas Wein trinken aus Genussgründen, weil wenn die Toleranzschwellen sinken, dann sinken sie für alle, und irgendwann werden auch so die Ulrich Wickerts unter den Genusstrinkern es schwer haben, zu rechtfertigen, dass sie sich eine Flasche Château Lafite gönnen zu ihrer Wachtel. Es ist nämlich auch Alkohol.

Und davor, ja, möchte ich warnen, und das sehe ich kommen, weil man hat vor ungefähr zehn Jahren auch nicht sich vorstellen können, dass es mal nicht erlaubt sein könnte, zu rauchen in Restaurants. Heute sage ich okay, finde das auch angenehm, dass rauchfrei ist, mittlerweile stört es mich aber dann umso mehr, wenn die Leute draußen rauchen, weil man einfach empfindlicher wird. Und die Tatsache, dass man in Deutschland auf der Straße Bier trinken kann, das schockiert Amerikaner heute schon zutiefst. Es wird kommen wie in Amerika, dass das auch verboten sein wird. Es wird eine Promillegrenze für Fußgänger geben. Ich bin zutiefst davon überzeugt.

von Billerbeck: Übers Trinken haben wir mit Peter Richter gesprochen, Autor eines gleichnamigen Buches, der übrigens in Kürze, wenn er denn einen braucht, einen weiteren Grund hat, sich hemmungslos zu besaufen: Er wird nämlich Vater. Dafür alles Gute ...

Richter: Danke schön!

von Billerbeck: ... und zum Wohl! Danke fürs Kommen!

Richter: Danke!
Sommerzeit ist Biergartenzeit
Draußen Bier trinken? Geht bald nicht mehr, fürchtet Peter Richter.© AP
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