"Es wird ein Spektakel in der Kunstszene werden"

Moderation: Liane von Billerbeck · 30.05.2007
Er gehört zu den prominentesten Köchen der Welt. Das kleine Restaurant des Katalanen an der Costa Brava muss viele Gourmets wegen zu großer Nachfrage enttäuschen. Er serviere etwa 30 Gänge in der Größe von Tee- oder Esslöffeln, berichtet Wolfgang Siebeck. Zu essen gibt es bei Ferran Adria zum Beispiel Algenkrokant, Tabakblättersud oder Marshmallows.
Von Billerbeck: Kommt er nun oder kommt er nicht. Diese Frage hatten einige Feuilletons hin- und herventiliert als der katalanische Starkoch Ferran Adria beiläufig mitteilte, er würde doch nicht in Kassel zur Documenta erscheinen. Seine Kreationen seien nur am eigenen Herd und im eigenen Restaurant zu zaubern. Immerhin war mit ihm erstmals ein Koch zur wichtigsten Ausstellung für Gegenwartskunst eingeladen worden. Stellt sich die Frage: Wann ist kochen Kunst? Darüber wollen wir jetzt mit Wolfgang Siebeck sprechen. Der Mann kocht selbst, um es mal ganz unspektakulär zu sagen und er ist ein Verfechter des ganz Feinen. Seit vielen Jahren arbeitet er auch als Restaurantkritiker und schreibt Koch-Kultur-Kolumnen für die "Zeit" und den "Feinschmecker" und ist auch Autor diverser Kochbücher. Musste eigentlich erst Ferran Adria kommen, damit eine Gegenwartskunst-Ausstellung wie die Documenta Kochen zur Kunst macht?


Siebeck: Nein, das war nun wirklich nicht nötig. Aber dass eine Ausstellung wie die Documenta mal einen Koch, einen spektakulären Koch einlädt, um dort – ich weiß gar nicht, was er machen wird, wird er kochen oder will er nicht kochen oder stellt er sich nur selber aus, das ist ja alles möglich. Das ist überhaupt nicht verwunderlich, denn der Kunstbetrieb braucht mal wieder ab und zu eine …

Von Billerbeck: … eine Auffrischung …

Siebeck: … eine Auffrischung, ja, so einen kleinen Elektroschock, damit sich da mal was dreht wieder und was passiert und damit er auch wieder ins Gerede kommt.

Von Billerbeck: Was ist denn für Sie an Adrias Küche Kunst?

Siebeck: Ich habe nie behauptet, dass irgendwo in irgendeiner Küche Kunst gemacht würde. Auch Adria bezeichnet sich nicht als Künstler, sondern als Designer. Und das trifft die Sache ziemlich gut.

Von Billerbeck: Also ist es eher Wissenschaft?

Siebeck: Nein, das hat mit Ästhetik was zu tun. Aber es hat auch was mit einer Kreativität zu tun, die ohne die Technik, also ohne Wissenschaft gar nicht möglich wäre, denn der bedient sich ja in seiner Küche Methoden, die bisher in der Küche einfach noch nicht vorgekommen sind.

Von Billerbeck: Geht das eigentlich so auf so einer Kunstausstellung, oder müsste er da eigentlich seine gesamte Küche nach Kassel transportieren?

Siebeck: Ach, nein, nein, wissen Sie, das ist nicht notwendig. Auch ein Mann wie Adria hat natürlich schon sehr viel vorbereitet. Wenn er sein Restaurant abends öffnet, dann ist die Hälfte der Sachen, die er den Gästen serviert, schon in den Kühlschränken, da steht das schon.

Von Billerbeck: Sie haben mal gesagt, man muss ein Vermögen verfressen haben, um überhaupt zu erkennen, wann etwas gut ist. Was muss man denn schon gegessen haben, um Adrias Kunst genießen zu können?

Siebeck: Adria gehört heute zur obersten Schicht der berühmten, der prominenten Köche der Welt. Er wird in irgendwelchen obskuren Tabellen an erster Stelle genannt. Man muss also wissen, was die Weltküche auszeichnet: Wer kocht wo, ebenfalls auf so hohem Niveau, und wie schmeckt’s dort? Das heißt, man muss wissen, wie in Paris gekocht wird, in London, an der Côte d’Azur, man muss wissen, wie in Spanien gekocht wird, in Katalonien, aber auch im Baskenland usw. usw. Und wenn man überall bei den maßgebenden Köchen gegessen hat, dann hat man tatsächlich ein Vermögen verfressen, aber dann weiß man einigermaßen Bescheid.

Von Billerbeck: Sie, Herr Siebeck, hatten – lang, lang ist’s her – auch mal eine Kochsendung. Und damals haben Sie Starköche an den eigenen Tisch geladen, für sie gekocht und haben sich dann auch von denen kritisieren lassen. Jetzt gibt es schon einen ganzen Haufen Kochsendungen, und dennoch kocht in Deutschland nur eine kleine Minderheit, und die, die gut kochen, das sind noch weniger. Woran liegt das?

Siebeck: Ja, woran liegt das? Das liegt daran, dass der Ehrgeiz, etwas fantastisch hinzukriegen, etwas Perfektes zu machen, ist ja mit wahnsinnig viel Mühe, Intelligenz und Wissen verbunden, und das muss man sich erst mal aneignen. Und das haben die wenigsten und das wollen sie auch nicht. Die meisten Menschen wollen vom Essen Lustempfindungen, was ja auch vernünftig ist. Wenn es nicht mehr darum geht, dass man satt wird, dann kann Essen eine Lust sein.

Von Billerbeck: Ist diese Lust in Deutschland nicht weit genug verbreitet?

Siebeck: Nein, sie ist es nicht. Eine der wichtigsten Eigenschaften der Deutschen ist die Bescheidenheit. Das ist unser preußisch-protestantisches Erbe, und das ist sehr hinderlich für den Genuss.

Von Billerbeck: Der katalanische Starkoch Ferran Adria wird zur Documenta eingeladen. Wann Kochen Kunst ist, darüber sprechen wir mit Wolfram Siebeck. Wir reden ja, Herr Siebeck, viel übers Essen, Bioprodukte werden jetzt mehr gekauft als früher, und doch sieht man die sozialen Unterschiede gerade beim Essen. Sie haben mal gesagt: Gut essen ist eine vollkommen elitäre Sache, es ist so ähnlich wie der Genuss an Kunst, den kann man auch nicht in der Schule lernen. Müsste Kochen- oder Essen-Lernen nicht doch in der Schule unterrichtet werden, wenn schon nicht zu Hause gekocht wird?

Siebeck: Da sprechen Sie den wunden Punkt an. Der Geschmack bildet sich bei kleinen Kindern, also zu Hause. Mit anderen Worten, es ist das Elternhaus, es sind die Eltern selber, die dafür zuständig sind, dass dieses Kind nicht mit einem Massengeschmack groß wird und den weiterträgt sein ganzes Leben lang, sondern Eltern alleine können Kinder dazu bringen, gutes Essen von schlechtem zu unterscheiden.

Von Billerbeck: Das heißt, es müsste eigentlich schon vor der Schule passieren?

Siebeck: Absolut!

Von Billerbeck: Wann haben Sie das erste Mal richtig gut gegessen?

Siebeck: Das war wahrscheinlich, als ich als junger Filmkritiker nach Frankreich fuhr zu einem Filmfestival, wo ausländische Journalisten großzügig eingeladen wurden. Wir kriegten Gutscheine für die Restaurants der Stadt. Und da ging ich ins Beste.

Von Billerbeck: Und was haben Sie gegessen?

Siebeck: Fragen Sie mich das doch nicht. Wahrscheinlich habe ich ein Blesshuhn gegessen mit einer Morchel-Sahnesauce – es war ja damals die Zeit der Sahnesaucen –, wahrscheinlich habe ich ein Krebsgratin gegessen, einen Krebskloß oder so etwas. So was wird’s gewesen sein.

Von Billerbeck: Kann man beim Essen eigentlich übertreiben? Das werfen Ihnen ja Ihre Kritiker auch immer vor, dass Sie nur das Allerbeste, das Allerfeinste zulassen.

Siebeck: Man kann übertreiben in der Quantität, ja. Das heißt, die Völlerei war ja immer ein wahnsinnig wichtiges Thema. Man schreibt ja schon übers Essen seit 200 Jahren, und die ersten Schriftsteller, die sich übers Essen verbreitet haben – so Leute wie (Anmerk. d. Red.: Namen im Hörprotokoll unverständlich), die haben fast die Hälfte ihrer Polemiken oder ihrer Essays der Völlerei gewidmet, über die ungesunden Vielfraße.

Von Billerbeck: Gibt es etwas, an das Sie sich beim Kochen noch nie herangetraut haben, weil es hohe Kunst ist?

Siebeck: Ja, natürlich. Denn ich bin ja kein perfekter Koch. Ich kann überhaupt nicht gut kochen. Vielleicht kann ich besser über Kochen schreiben, aber selber kochen, da bin ich nicht so toll. Kunststücke, du liebe Güte, ich weiß ja nicht einmal, wie ich eine Taube oder eine Wachtel entbeine.

Von Billerbeck: Was erhoffen Sie sich eigentlich, wenn Ferran Adria in Kassel kocht bei der Documenta? Was bringt das?

Siebeck: Was heißt erhoffen, wer sagt denn, dass ich da was erhoffe?

Von Billerbeck: Erhoffen Sie sich nichts davon?

Siebeck: Nein. Ich meine, das wird ein – wie nennt man so was heute – ein Event, nicht wahr, …

Von Billerbeck: Ein Spektakel.

Siebeck: Ein Spektakel in der Kunstszene wird es werden, ganz egal, was er macht. Schließlich ist ja sein Nachbar, in dem Nachbardorf, wo er sein Restaurant hat, hat ja Dali gelebt, und dem ist er geistig etwas verpflichtet, wie er selber sagt. Also da ist alles möglich.

Von Billerbeck: Was haben Sie bei ihm am meisten gemocht von dem, was er gekocht hat? Ging’s da eigentlich ums Essen?

Siebeck: Es geht immer ums Essen. Wissen Sie, wenn ich zwei Stunden an einem Tisch gesessen habe, und ich stehe auf und bin immer noch hungrig, dann war das schlecht. Natürlich geht’s ums Essen, und er serviert ja ungefähr 30 verschiedene Gänge in der Größe von Teelöffel oder Esslöffel, mehr ist das ja nicht. Wie wollen Sie da noch sagen, das eine war besonders gut? Das ist so ähnlich wie bei einer Kreissäge, da wissen Sie auch nicht, welcher Zahn es war, der Ihnen … na ja. Das kann man so nicht sagen.

Von Billerbeck: Oder was war das, was Sie an dem Essen von ihm am meisten überrascht hat?

Siebeck: Die Hinwendung zu Popkultur, zum Beispiel Marshmallows. Sie kennen diese wattigen, gummiartigen, amerikanischen, süßen Bonbons, die serviert er auch schon mal als einen Gang oder …

Von Billerbeck: Einfach so oder verändert?

Siebeck: Nein, schon verändert.

Von Billerbeck: Was interessiert Sie an Küche?

Siebeck: Mich interessiert an der Küche die Hausmannskost, die gutbürgerliche Küche, die interessiert mich wirklich. Sagen wir mal, das, was in französischen, in Pariser Bistros manchmal gekocht wird und was dann ganz wunderbar sein kann, das ist eigentlich meine ideale Küche.

Von Billerbeck: Wann ist Kochen Kunst? Darüber sprachen wir im Radiofeuilleton mit Wolfram Siebeck. Ich danke Ihnen.