"Es war immer schön, ihn zu treffen"

Ingrid Noll im Gespräch mit Gabi Wuttke · 18.01.2013
Als sie vom überraschenden Tod ihres Kollegen Jakob Arjouni erfahren habe, sei sie sehr erschüttert gewesen und in Tränen ausgebrochen, erzählt die Krimiautorin Ingrid Noll. Unterhaltsame Literatur mit viel Verstand sei dessen Markenzeichen gewesen, erinnert sie sich.
Susanne Führer: Gestern ist Jakob Arjouni nach einem schweren Krebsleiden mit nur 48 Jahren gestorben. Meine Kollegin Gabi Wuttke hat mit der Krimiautorin Ingrid Noll gesprochen und sie gefragt, ob sie auch von der Todesnachricht überrascht wurde.

Ingrid Noll: … überrascht und sehr erschüttert. Mir kamen erstmal die Tränen, ich konnte gar nicht viel dazu sagen. Ich kannte den Jakob nun von meiner ersten Frankfurter Buchmesse her, das war, glaube ich, 91. Ich war eine späte Anfängerin und er war ein erfolgreicher, junger Mann, im Alter meiner Kinder. Deswegen hatten wir eigentlich sofort einen guten Draht zueinander. Wir haben uns dann irgendwie sofort angefreundet und auf allen weiteren Buchmessen immer wieder fröhlich begrüßt, abends zusammen gefeiert, zwischendurch geredet – ernsthaft, lustig, witzig, klug, alles Mögliche. Jedenfalls war es ein ganz, ganz lieber Kollege von mir.

Gabi Wuttke: Sein beißender Spott und sein sezierender Blick – hat Arjouni seinen Anspruch auf Moral damit in ganz besonderer Weise in seinen Büchern, in seinen Krimis umgesetzt?

Noll: Ich denke schon. Er hat ja immer auch zeitgemäße Themen aufgegriffen, also zum Beispiel Rassismus. Schon dass sein Detektiv Kayankaya ein Türke ist, das ist ja schon sehr wichtig, das hat schon seine Bedeutung. Und überhaupt gesellschaftliche Zeitprobleme, auch Antisemitismus, kommt alles drin vor, und zwar immer ganz unprätentiös, dass man es gerne und gut lesen kann, aber trotzdem nachdenklich und intelligent – also Unterhaltung mit viel Verstand, aber auch mit Charme, finde ich, sehr, sehr cool.

Wuttke: Das, was Sie von ihm erzählt haben in der persönlichen Begegnung, das ist eigentlich das, was er über sich und sein Verhältnis zu Kayankaya gesagt hat, dass diese Figur ihn selbst persönlich ziemlich ähnlich war, dass er sich an ihr wahrscheinlich auch abgearbeitet hat. Nun lagen zehn Jahre zwischen dem letzten und dem vorletzten Fall des Detektivs, weil er gesagt hat, er hätte sich neu in seine Figur verlieben müssen. Machte das auch etwas Besonderes aus, oder war er da mit sich selbst und seiner Figur vielleicht etwas zu nah?

Noll: Ich glaube, der Abstand tat gut – das kann ich selber gut nachvollziehen. Wenn man einmal fertig und abgeschlossen hat mit einem Roman, dass man dann nicht sofort eine Fortsetzung schreiben möchte und kann, dass er sich dann noch mal verliebt hat in seinen Kayankaya, kann ich gut verstehen. Es ist ja auch eine hinreißende Gestalt.

Wuttke: 82 war dieses Debüt erschienen unter dem Titel "Happy Birthday, Türke!". Was dachten Sie damals bei diesem Titel, was dachten Sie beim Lesen über diesen Detektiv und seinen ja so ganz, ganz jungen Erfinder?

Noll: Ich bin natürlich zuerst mal drauf reingefallen – da kannte ich Jakob Arjouni noch gar nicht persönlich – und dachte, der Schriftsteller ist tatsächlich ein Türke, was sehr viele Leute geglaubt haben. Ja, ich war aber sofort begeistert davon und war sehr, sehr froh, als ich ihn dann auch persönlich kennenlernte und merkte, dass er eigentlich ein sanfter Mensch ist und ein sehr liebenswürdiger, charmanter Mensch ist, der aber natürlich wie wir alle, die wir Krimis schreiben, auch finstere Fantasien hat und die er dann grandios zu Papier gebracht hat.

Wuttke: War Arjouni mit seiner migrantischen Figur anderen deutschen Krimiautoren, anderen Schriftstellern in Deutschland damals weit voraus …

Noll: Ja.

Wuttke: … genauso wie er einen Rückgriff gemacht hat auf die amerikanische Krimierzähltradition?

Noll: Ganz sicher, ganz sicher. Also so eine Figur hatte ja noch keiner erfunden, und ich fand das schon großartig.

Wuttke: Haben Sie was von ihm gelernt, als Späteinsteigerin?

Noll: Wir sind ganz verschieden, deswegen haben wir gegenseitig voneinander wohl nicht direkt was gelernt, aber wir hatten schon Parallelen. Zum Beispiel schreiben wir beide über eine Umgebung, die wir kennen – er in den Großstädten, also Berlin hauptsächlich, aber auch Paris, Frankreich, wo er lange gelebt hat und so weiter.

Und bei mir ist es hier die Rhein-Neckar-Region, in der ich mich auskenne. Und beide kennen wir uns in dem Milieu auch einigermaßen aus. Ich will jetzt nicht sagen, dass Jakob Arjouni im kriminellen Milieu recherchiert hat, er hat aber immer die Augen aufgemacht, schon in seiner Jugend in Frankfurt, ja, das Bahnhofsmilieu, das war ihm durchaus bekannt.

Wuttke: Und was hat Ihnen an seinen Perspektiven am meisten gefallen?

Noll: Die kamen mir immer so authentisch vor, sehr ehrlich, und das war nicht irgendwie gewollt und künstlich, und man las es einfach gerne. Auch meine Kinder, die im gleichen Alter sind, lieben ihn und waren tief betroffen, als ich das sagte.

Wuttke: Was wird für Sie von Jakob Arjouni bleiben?

Noll: Seine Bücher bleiben natürlich. Aber ich werde auf jeder Buchmesse, auf der ich vielleicht noch in meinen alten Tagen hinfahren kann, werde ich ihn vermissen. Es war immer schön, ihn zu treffen. Wir haben uns beide gefreut und uns herzlich umarmt. Das letzte Mal sah ich ihn, glaube ich, bei der Beerdigung meines Verlegers und jetzt lange nicht.

Besonders schön war es in Warschau, da war eine Buchmesse mit Deutschland als Schwerpunkt, und da waren eben die wenigen Deutschen, die eingeladen waren, dann ganz nah und eng beisammen und haben sich auch die Stadt angeschaut und viel miteinander geredet. Das wird für mich eine lebendige, schöne Erinnerung bleiben.

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Die Krimi-Autorin Ingrid Noll, aufgenommen während eines Interviews in ihrem Wohnhaus in Weinheim an der Bergstraße.
Ingrid Noll erinnert sich an Jakob Arjouni.© picture alliance / dpa
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