"Es war einfach unvermeidlich"

27.02.2010
Der Rücktritt von Margot Käßmann als EKD-Ratsvorsitzende war richtig, sagt Robert Leicht:"Die Situation jetzt ist dramatisch, die andere wäre peinlich gewesen." Über ihre Amtsführung in Sachfragen könne man auch nicht unbedingt richtig glücklich sein.
Kirsten Dietrich: Ungläubiges Entsetzen, das war wohl die Hauptreaktion, als Anfang der Woche bekannt wurde, Margot Käßmann, Landesbischöfin von Hannover und seit gerade einmal vier Monaten Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD, wurde betrunken am Steuer gestoppt. Mit 1,54 Promille hatte sie eine rote Ampel überfahren. Dass das unverantwortlich ist, darüber bestand kein Zweifel. Doch Käßmanns Rücktritt forderten nur Wenige, meist aus konservativen Kreisen der Kirche. Die meisten Reaktionen waren seltsam gespalten, kreisten um die Frage: Kann es nicht doch möglich sein, dass diese beliebte Bischöfin, diese Hoffnungsträgerin im Amt bleibt. Margot Käßmann hat am Mittwoch Fakten geschaffen, sie ist von allen Ämtern zurückgetreten. Ich bin verbunden mit Robert Leicht. Er hat über Jahre als Journalist und auch als Mitglied im Rat der EKD Margot Käßmanns Arbeit begleitet. Herr Leicht, war es richtig, dass die Ratsvorsitzende zurückgetreten ist?

Robert Leicht: Es war einfach unvermeidlich. Man muss bei dem dramatischen Einschnitt, den das natürlich bedeutet, weil wir so einen Vorgang in der Nachkriegszeit noch überhaupt nicht hatten auf der Ebene der leitenden Geistlichen, immer noch gleichzeitig sehen, was wäre die Alternative gewesen. Wie wäre es denn gewesen, sie wäre im Amt geblieben? Und dann muss man sagen, die Situation jetzt ist dramatisch, die andere wäre peinlich gewesen.

Dietrich: Trotzdem spricht aus diesem schnellen Rückzug ja nicht nur von dem Leitungsamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, sondern auch als Landesbischöfin nicht vielleicht auch so etwas wie, ja, Amtsmüdigkeit?

Leicht: Das würde ich nicht sagen, aber es lässt sich eben schwer trennen, das eine vom anderen. Man kann nicht sagen, das, was vorgefallen ist, macht es nicht möglich, das Amt des Ratsvorsitzenden fortzuführen, aber für das Bischofsamt in Hannover reicht es noch. Das geht dann nicht, dann muss man wirklich den klaren Schnitt machen.

Dietrich: Emotion ist ja Margot Käßmanns Stärke, aber in gewisser Weise auch ihre Schwäche gewesen. Sie haben zu Käßmanns Wahl im Oktober 2009 in der "Zeit" geschrieben, so hoffen auch jene, die ihr Wohl wollen, sie möge sich exzellente, loyale, theologische und kirchenpolitische Berater suchen und auf diese auch hören, weil sie eben immer wieder mit Äußerungen hervorgetreten sei, über die man vielleicht doch besser noch einmal nachgedacht hätte. Bestätigt das schnelle Ende der Ära Käßmann jetzt diese Einschätzung?

Leicht: Nein, denn wenn sie ... Also, die Einschätzung bleibt richtig, und es gibt Gründe, die zu erneuern, aber der Vorgang, der zu dem Rücktritt geführt hat, fällt ja nicht in den Bereich sachliche und theologische und politische Beratung hinein. Das ist eben ein praktischer Fehler gewesen. Aber es ist wahr, dass ihre kurze Amtszeit dem ein oder anderen schon die Stirn gekraust hat. Es fing an mit den ersten Äußerungen nach der Wahl zum Thema Sterbehilfe, die ein bisschen desorientiert und verwirrend klangen, dann kam der Streit um die Afghanistan-Intervention, wobei es ja nicht um den Einsatz in der Predigt ging, auf den die Bischöfin bei ihrem Rücktritt noch mal Bezug genommen hat, sondern sie hatte einige Zeitungsinterviews gegeben, die – ja, im Ernst – nicht vertretbar waren sachlich und die ja dann auch eingefangen wurden durch eine Erklärung von vier Personen, zu denen sie ja auch gehörte, die wiederum sehr gut waren. Nun, man fragt sich, wie passt das eine zum anderen. Und andere erinnern sich, dass sie dem Vatikan in einer Weise ans Schienbein getreten hat, die man als Privatperson vielleicht vertreten kann, die aber, wenn man da in den Beziehungen was voranbringen will, nur kontraproduktiv waren. Also so richtig glücklich kann man in den Sachfragen über ihre vier Monate Amtszeit nicht unbedingt sein.

Dietrich: Ganz viele in der Kirche haben sich ganz viel von Margot Käßmann erwartet, wie kann jetzt ihr Nachfolger, der rheinische Präses Nikolaus Schneider, mit dieser Bürde umgehen?

Leicht: Die Frage ist ja immer, wenn man also gesagt bekommt, du trittst in große Schuhe, dann sage ich immer zurück: Haben Sie sich mal versucht, kleinere Schuhe anzuziehen, das ist auch nicht ohne Schmerzen. Dieselbe Frage hatten wir ja schon nach der Amtszeit von Wolfgang Huber gestellt bekommen, wie soll denn in Hubers Nachfolge jemand aufblühen können. Das Amt des Ratsvorsitzenden verlangt ja nicht ein Genie, sondern wie der Institutionsname schon sagt, das ist der Vorsitzende eines Beratungskollegiums, und es kommt eigentlich darauf an, dass man die Potenzen, die in dem erstaunlichen Gremium von im besten Fall 15 Mitgliedern nicht nutzt und das zusammenfasst und bündelt. Also ich denke, der Vorsitzende des Teams oder die Vorsitzende des Teams, wenn es dann zu einer endgültigen Regelung kommt, können sich auf dieses Gremium verlassen, und das ist schon eine starke Stütze.

Dietrich: Trotzdem erwartet man von diesem Amt ja auch nicht nur einfach jemanden, der Mehrheitsbeschlüsse eines Gremiums wiedergibt, sondern jemanden mit Charisma, eine Persönlichkeit, und da war bei der Wahl von Margot Käßmann im letzten Jahr sie relativ allein auf weiter Ebene. Alle anderen Kandidaten, alle anderen, die möglicherweise als Kandidaten gehandelt wurden, blieben blass in ihrer Vorstellung. An dieser Personalsituation hat sich jetzt ja nichts geändert.

Leicht: Da haben Sie recht, aber nun müssen Sie auch sehen, als Margot Käßmann gewählt wurde – und es war ja abzusehen, dass sie die einzige ernst zu nehmende Kandidatin sein würde –, war festgelegt durch Brauch und andere Sitten, dass es diesmal ein Bischof, eine Bischöfin aus einer lutherischen Landeskirche sein müsste, weil mit den Vorgängern Engelhardt, Kock, Huber oder zuvor noch Martin Kruse waren viermal hintereinander Ratsvorsitzende aus den unierten Landeskirchen gekommen, also musste es eine lutherische Persönlichkeit sein. Und damit war die Auswahl sozusagen von vornherein beschränkt. Man wird sich auf dieses Kriterium bei der endgültigen Regelung im November nicht mehr beziehen können, sondern da ist das Feld offen. Und wenn Nikolaus Schneider, der immerhin einer sehr großen Landeskirche vorsteht, in der Zeit der Vakanz, also in der er als Stellvertreter amtiert, sich bewähren kann oder Eindruck machen kann, dann hat man plötzlich einen Kandidaten, den man im November nicht gewählt haben würde, weil er eben nicht lutherisch war.

Dietrich: Sie sprechen schon die Wirren zwischen lutherisch, uniert, reformiert an, also das etwas uneinheitliche Bild, dass die evangelische Kirche naturgemäß aufgrund der Geschichte ihrer Entstehung nach außen bietet. Wolfgang Huber, der Amtsvorgänger von Margot Käßmann, hat da einen Reformprozess angestoßen, bei dem er genau dieses Bild korrigieren wollte, Kirche eine straffere, eine modernere Gestalt geben wollte. Was wird jetzt in der ganzen Nachfolgedebatte aus diesem Reformprozess?

Leicht: Der Reformprozess ist ja unvermeidlich, und Wolfgang Huber hat den Mut gehabt, das seinen Geschwistern auch zu sagen, die das nicht so sehr gerne hören wollten. Der Reformprozess wird zunächst einmal durch ganz äußere Daten wie zurückgehende Mitgliederzahlen und Kirchensteuereinnahmen sowieso von außen erzwungen. Es war aber schon bei der Wahl von Margot Käßmann von ihr gesagt worden, sie wolle das Ganze, ich sag mal, ein bisschen softer angehen. Der Reformprozess wird weitergehen, weil die Einzelnen einsehen müssen, dass sie ohne eine Einstellung auf neue Strukturen nicht überlebensfähig sind. Das wird weitergehen, wenngleich man einen Ratsvorsitzenden von der Durchschlagskraft Wolfgang Hubers lange Zeit nicht mehr finden wird. Man muss allerdings auch zugeben, dass diese Durchschlagskraft – wie immer in solchen Organisationen – den anderen manchmal auch Ängste gemacht hat.

Dietrich: Zum Rücktritt von Margot Käßmann war das Robert Leicht, politischer Korrespondent der "Zeit" und ehemals Mitglied im Rat der EKD.
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