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Dieselgate
"Der Vorwurf des Staatsversagens trifft zu"

Im Dieselskandal sei Bundeskanzlerin kein Teil der Lösung, sondern Teil des Problems", sagt der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch im DLF. Im aktuellen Untersuchungsausschuss sei nochmal klar geworden, wie eng die Kooperation zwischen Autoindustrie und Politik tatsächlich gewesen sei, so Resch.

Jürgen Resch im Gespräch mit Martin Zagatta | 08.03.2017
    Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe
    Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (dpa/picture-alliance/ Jan-Philipp Strobel)
    Martin Zagatta: Im Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages ist die Bundeskanzlerin nachher so etwas wie die letzte Zeugin, die befragt wird. Von Frau Merkel wollen die Abgeordneten wissen, wann die Regierungschefin informiert war über die Machenschaften von VW und die Praktiken, mit falschen Abgaswerten zu operieren. Große Erwartungen an die Aufklärungsarbeit hat man aber offenbar nicht.
    Mitgehört hat Jürgen Resch, der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, die schon vor Jahren auf diese Abgasmanipulationen hingewiesen hat, und der auch als Zeuge befragt worden ist in diesem Untersuchungsausschuss. Guten Tag, Herr Resch.
    Jürgen Resch: Einen schönen guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Resch, vielleicht kurz zu dem, was heute ansteht. Versprechen Sie sich denn irgendetwas von der Befragung der Bundeskanzlerin? Was soll da Aussagekräftiges herauskommen?
    Resch: Tatsächlich nichts oder nur wenig. Die Bundeskanzlerin, Angela Merkel ist nicht Teil der Lösung, sondern Kern des Problems. Sie weiß seit 2005 ganz genau, was läuft. Sie war früher mal Umweltministerin. Und sie hat letztendlich den Diesel-Abgasskandal begleitet, an der Stelle, an der auch die Lobbyarbeit der Automobilindustrie konzentriert einwirkt und dazu führt, dass dann entsprechende Regelungen in Brüssel abgeschwächt oder Kontrollen der Behörden nicht durchgeführt werden.
    Zagatta: Da könnte man sagen, was die politische Verantwortung angeht, wäre das erst einmal Sache ihrer Minister gewesen. Aber aus Ihrer Sicht, ist denn irgendetwas Nennenswertes überhaupt bei diesem Untersuchungsausschuss herausgekommen in den zurückliegenden Monaten?
    Schriftsätze mit "industriefreundlichen Grüßen"
    Resch: Wir haben gesehen durch die Unterlagen, die zum Teil durchgestochen wurden, wie eng die Kooperation tatsächlich ist. Das heißt, das was wir seit 2007 skandalisieren mit Pressekonferenzen oder mit Vorlage von Messungen, spiegelt sich jetzt sehr schön in dem Schriftwechsel mit der Wirtschaft, wie das Selbstverständnis der deutschen Autokonzerne ist, dass man sich eine Regierung regelrecht hält und die dazu nutzt, ferngesteuert – man kann es gar nicht anders sagen – auf gesetzliche Regelungen einzuwirken. Ich war sprachlos über beispielsweise Schriftsätze des Präsidenten des Kraftfahrtbundesamtes, die mit industriefreundlichen Grüßen signiert sind, oder selbst der Untersuchungsbericht zu Dieselgate, der mit den Herstellern abgestimmt wurde. Die konnten quasi die Word-Dateien dann durchkorrigieren und haben quasi freigegeben, was die Bundesregierung als Erkenntnisse dann veröffentlicht. So funktioniert in Deutschland leider im Bereich der Automobilindustrie dieses Zusammenspiel und das ist tatsächlich Staatsversagen.
    "Man hat uns gesagt, man werde nicht nachmessen"
    Zagatta: Das sind ja harte Vorwürfe. Die Grünen sagen das. Der Ausschussvorsitzende Lange von der Union – das haben wir gerade auch gehört -, der weist das zurück und sagt, das habe die Ausschussarbeit ergeben. Dieses Staatsversagen sei überhaupt nicht nachzuweisen, nicht zu erkennen. Wie bewerten Sie das?
    Resch: Ich habe das ja selber erlebt in dieser stundenlangen Zeugenbefragung. Die Taktik ist schon recht perfide. Man verlangt von den zivilgesellschaftlichen Gruppen oder von denjenigen, die Messungen machen, dass der letzte Beweis geliefert wird, und solange der Beweis nicht mitgeliefert wird, kontrolliere man nicht. Schauen wir doch mal in die USA: Die haben wortgleiche Regelungen, dass zu allen Temperaturen, also auch im Winter die Abgasreinigung funktionieren muss. Und wenn dort Hinweise bekannt werden, Messungen bekannt werden, dass hier betrogen wird, dann gibt es amtliche Nachmessungen. Wir haben solche auf der Basis von ganz konkreten Messungen vom Kraftfahrtbundesamt über das Verkehrsministerium bereits im Jahr 2011 im Februar gefordert. Man hat uns auch gesagt, man kenne diese Praktiken, man halte sie für legal und man werde nicht nachmessen, und diese Haltung hat man bis 2015, bis zum Bekanntwerden des VW-Skandals in den USA einfach durchgehalten, und jetzt heißt es, wir hätten keine Beweise vorgelegt, wir hätten ja nur Indizien vorgelegt. Auch in den USA ist bis heute kein Beweis erbracht worden, sondern man hat durch ein in die Enge treiben von VW dort das Eingeständnis erreicht, und nur deswegen haben wir bei VW eine Rechtssicherheit.
    Die Behörden könnten natürlich in Deutschland das Gleiche tun. Sie könnten auch sagen, wir akzeptieren nicht, wenn im Winter die Autos mit zehn-, mit dreizehnfachen Überschreitungen der Grenzwerte die Innenstädte mit Giftgasen fluten und über 10.000 Menschen dadurch sterben. Aber man unterlässt es aus Rücksicht auf die wirtschaftlichen Interessen.
    "Das ist schlicht und einfach Betrug"
    Zagatta: Nun hat uns Kirsten Lühmann von der SPD heute Morgen hier im Deutschlandfunk gesagt, das Rechtliche, was Sie jetzt ansprechen, und das Moralische, das sei zweierlei. Haben Sie dafür kein Verständnis?
    Resch: Ich habe das Interview auch mit großem Staunen gehört. Ich habe deswegen kein Verständnis, weil das Rechtliche ist eindeutig. Wenn die Verordnung sagt, dass im normalen Gebrauch die Abgasreinigung genauso funktionieren muss wie die Bremse, oder Befestigungspunkte für Sicherheitsgurte, dann kann ich doch nicht die Augen zumachen, dass ein Abschalten zum Beispiel eines Mercedes bei plus 17 Grad und darunter, dass ich die Abgasreinigung zu über 80 Prozent der Jahreszeit ausschalte, dass ich sage, das sei eine rechtliche Grauzone. Das ist schlicht und einfach Betrug und vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge in vielen tausend Fällen. Dafür sind die Autokonzerne zuständig und verantwortlich.
    Interessant ist doch auch, dass in den USA mittlerweile Verfahren - übrigens wegen unseren Hinweisen - gegen Daimler eingeleitet wurden, dass mittlerweile ein Verfahren auch letztendlich mit auf unsere Hinweise hin gegen Fiat eingeleitet wurde. Es gibt ein, zwei weitere Hersteller, da warten wir jetzt drauf, wann es bekannt gegeben wird. Uns ist es zwar gelungen, zum Beispiel beim Opel Zafira mit Felix Domke vom Chaos Computer-Club und mit "Spiegel"- und WDR-Hilfe das lückenlos in vier Fällen nachzuweisen. Nur die Behörden werden nicht tätig. Man nimmt einfach Rücksicht darauf, dass dann ein ehemaliger Regierungschef, Roland Koch, als Rechtsanwalt von Opel mit zum Gespräch mit dem Verkehrsminister erscheint und man dort einen Weg findet, auch einen solchen eindeutigen Verstoß nicht entsprechend umzusetzen. Deswegen: Der Vorwurf des Staatsversagens, der trifft zu.
    "Die Gerichte erteilen der Bundesregierung eine Klatsche nach der anderen"
    Zagatta: Herr Resch, wenn der zutrifft, dann ist Ihnen allerdings – so habe ich das zumindest gelesen – im Ausschuss vorgehalten worden, dass Sie selbst, wenn Sie das alles so sehen, keine Strafanzeige erstattet haben. Stimmt das so und warum haben Sie darauf verzichtet?
    Resch: Wir haben sogar eine Strafanzeige erstattet gegen Herrn Neumann. Ich habe jetzt auch vor Kurzem kritisiert, dass ich nicht verstehe, dass die Staatsanwaltschaft in Frankfurt in diesem eindeutigen Fall immer noch nicht entschieden hat, ob sie entsprechend ermitteln.
    Wir haben verschiedene andere Rechtsschritte ergriffen und den Vorwurf, dass wir zu wenig klagen, bekomme ich selten. Wir haben ja auch recht bekommen. Wir haben beispielsweise die Bundesregierung gezwungen, die VW-Akte zu veröffentlichen. Allerdings hat man uns dann 700 Seiten von vorne bis hinten geschwärztes Material gegeben.
    Wir haben ungefähr im Moment 30 Klagen gegen Verwaltungsstellen wegen Dieselgate am Laufen und wir freuen uns auf die Entscheidungen. Bis jetzt ist es ja so, dass die Gerichte relativ klar die Position des Verbrauchers einnehmen und eigentlich eine Klatsche nach der anderen der Bundesregierung geben, gerade auch bei den Fahrverboten. Wir haben einen Verstoß gegen Luftreinhalte-Vorschriften in der EU und die Bundesregierung hat ein Vertragsverletzungsverfahren seit anderthalb Jahren am Laufen. Trotzdem wird sie ausschließlich über Gerichte jetzt gezwungen, nachzusteuern und diesen Schutz der Bevölkerung vor schmutzigen Dieselfahrzeugen zu gewähren. Wir verstehen einfach nicht, warum man im Bereich der Automobilpolitik sich hinter Gerichten versteckt und nicht mehr den Mut hat, auch mal eine kritische Haltung zur Automobilindustrie einzunehmen.
    Zagatta: Heute Mittag im Deutschlandfunk Jürgen Resch, der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Herr Resch, danke für dieses Gespräch.
    Resch: Gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.