"Es wäre doch schrecklich, wenn man ewig leben müsste"

Von Tobias Wenzel · 10.09.2013
Als Kind verbrachte Maarten 't Hart viel Zeit zwischen Gräbern, weil sein Vater als Totengräber arbeitete. Darum betrachtet der niederländische Schriftsteller auch auf dem Friedhof von Warmond fachmännisch Wege und Grabsteine - und rezitiert ein Gedicht von Theodor Fontane über den Tod.
In seinem schwarzen Trainingsanzug sieht Maarten 't Hart aus, als wollte er gleich losjoggen, über den Kiesweg, der um eine alte Kirchenruine führt, auf dem Friedhof von Warmond, der niederländischen Gemeinde, in der der Schriftsteller lebt. Aber Maarten 't Hart ist viel zu sehr damit beschäftigt, Gräber und Wege fachmännisch zu betrachten. So ist das immer, wenn Maarten 't Hart einen Friedhof betritt:

"Dann denke ich natürlich an meinen Vater, da er Totengräber war. Und dann schau ich mich um, ob er gut unterhalten ist. Was für Geräte man da hat, um ihn zu unterhalten. Ich schaue ihn an wie mit den Augen meines Vaters."
Sein Vater, ein kauziger, lebensfroher Mann, liebte seinen Beruf, harkte immer wieder penibel ein Muster in den Kiesweg auf dem Friedhof von Maassluis. Auf dem Friedhof von Warmond ist der Kies ungeharkt. Und nicht nur das hätte den Vater gestört:

"Mein Vater hätte hier gesehen, dass die Kieselsteine hier nicht schön angelegt worden sind, dass es recht wenig Kiesel ist. Hier hätte er gesagt: Da muss noch etwas Kiesel drauf."

Als Kind verbrachte Maarten 't Hart viel Zeit auf dem Friedhof und spazierte oft mit seinem geliebten Vater zwischen den Gräbern entlang:

"Da hat er gesagt: 'Das habe ich mir immer gewünscht, dass ich auf einem Friedhof arbeite.' Daran kann ich mich noch erinnern. 'Da hat man Ruhe!', hat er gesagt. 'Die Menschen hier machen keinen Lärm mehr.'"

Maarten 't Hart auf dem Friedhof von Warmond (Bild: Tobias Wenzel)


Maarten 't Harts Vater hatte einen sehr speziellen Humor. Wenn er sich gestört von Friedhofsbesuchern fühlte, ließ er sein künstliches Gebiss, mit einer brennenden Zigarette zwischen den Zähnen, aus dem Mund heraushängen, um die Besucher zu verscheuchen.

"Da war ein Mann, der zum Friedhof meines Vaters kam und sagte: 'Ich möchte Selbstmord begehen.' Da hat mein Vater gesagt: 'Aber heute ist es zu kalt. Da muss ich graben. Das ist schwierig, da es zu kalt ist. Der Grund ist gefroren. Warten Sie noch ein wenig!‘ Und dann hat der Mann gesagt: 'Wie lange muss ich warten?' – 'Bis die Kälte vorüber ist.' Und dann hat der Mann gewartet bis April. Und dann hat er den Selbstmord begangen."

Später wurde auch Maarten 't Harts Vater, der Totengräber, auf dem Friedhof von Maassluis beigesetzt. Der Sohn würde gern das Grab seines Vaters besuchen. Doch das ist mittlerweile eingeebnet. Die sterblichen Überreste liegen nun irgendwo unter einer neu geschaffenen Parkanlage.

"Hier ist der Kiesel besser, hier ist er dicker. Das würde mein Vater besser finden."

Maarten 't Hart hat den alten Kirchturm von und das im 16. Jahrhundert zerstörte Kirchenschiff einmal umrundet und bleibt im hinteren Teil des Friedhofs stehen. An dieser Stelle möchte er selbst einmal beerdigt werden. In der Ferne fährt eine Bahn über das Weideland. Dahinter erahnt man den Hof des Schriftstellers. Einige seiner Freunde finden es befremdlich, dass sich Maarten 't Hart so wohl auf Friedhöfen fühlt und dass er überhaupt keine Angst vor dem Tod hat. Aber so ist er nun mal:

"Ich finde es viel besser, dass es auch ein Ende gibt. Es wäre doch schrecklich, wenn man ewig leben müsste. Dann wäre es eine schreckliche Langeweile. Schrecklich!"

"Maarten 't Hart, Friedhof Alter Turm in Warmond, Niederlande"


Auf dem Friedhof von Warmond rezitiert Maarten 't Hart ein Gedicht von Theodor Fontane. Es drücke sehr genau aus, was der niederländische Schriftsteller über den Tod denke:

Leben, wohl dem, dem es spendet
Freude, Kinder, täglich Brot,
Doch das Beste, was es sendet,
Ist das Wissen, dass es endet,
Ist der Ausgang, ist der Tod.


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