"Es sind insbesondere die Vögel, die gefährdet sind"

Kim Detloff im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 07.05.2010
Plastikmüll ist ein weltweites Problem - rund 6,4 Millionen Tonnen gelangen jährlich ins Meer. Betroffen seien Vögel, "die aus größeren Höhen ins Wasser stoßen", um dort nach Nahrung zu suchen, sagte dazu NABU-Meeresschutzreferent Kim Detloff.
Matthias Hanselmann: Über die Forschung an Eissturmvögeln und anderen Arten, die von der Plastikvermüllung der Meere betroffen sind, war das mein Kollege Lutz Reidt aus Büsum an der Nordseeküste. Bei uns ist Kim Detloff, er ist der Meeresschutzreferent des Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Guten Tag, Herr Detloff!

Kim Detloff: Guten Tag!

Hanselmann: Was wir eben gehört haben, Herr Detloff, das schockiert doch einigermaßen, und man stellt sich besonders die Frage, warum diese Tiere, besonders die Eissturmvögel und die Albatrosse, so gefährdet sind durch den Plastikmüll. Woher kommt das?

Detloff: Es sind insbesondere die Vögel, die gefährdet sind, die ihre Nahrung auf der hohen See suchen, das heißt die Vögel, die aus größeren Höhen ins Wasser stoßen und an der Wasseroberfläche oder in den unteren Wasserschichten eben nach Nahrung suchen - nach kleinen Fischen, nach Tintenfischen, teilweise auch nach Quallen. Und diese Vögel sind es, die wirklich den Plastik verwechseln, die den Plastik dann sofort runterschlucken und teilweise dann eben auch in die Nester zu ihrer Brut mit zurücknehmen und auch so den Plastikmüll weitergeben.

Hanselmann: Und an ihre Jungen verfüttern. Warum haben die denn da keine natürliche Sperre, warum können sie nicht wie andere Tiere unterscheiden zwischen dem, was gut und schlecht ist?

Detloff: Das ist eine gute Frage, die man, glaube ich, nicht abschließend beantworten kann. Man kennt das natürlich im Tierreich, dass Tiere Geschmäcker unterscheiden können und gute von schlechter Nahrung unterscheiden können. Aber diese Vögel, die schlingen.

Die kauen ja nicht, die haben gar keine Zähne, und sie schlucken die Nahrung einfach runter. Sie sammeln sie dann in ihrem Kropf, sie bringen das zu ihren Jungvögeln, und sie machen keine Geschmacksprobe, wie wir uns das vielleicht vorstellen würden.

Hanselmann: Wir haben eben gehört, an der Nordseeküste wird im Schnitt 0,3 Gramm Plastik in den Mägen von diesen Eissturmvögeln gefunden, das klingt ja für den Laien erst mal nicht so dramatisch.

Detloff: Das ist richtig, aber die Kollegen vom FTZ, also vom Forschungs- und Technologiezentrum Büsum, haben festgestellt, dass in einzelnen Mägen von Eissturmvögeln Plastikmengen von bis zu 80 Gramm gefunden wurden. Und vielleicht kann man diese Menge von 0,3 Gramm noch ins Verhältnis setzen, wenn man bedenkt, dass das Monitoring, was die Kollegen durchführen, von dem Meeresschutzabkommen OSPAR initiiert wurde.

Es wurden 2002 sogenannte Qualitätsziele festgelegt, und eines dieser Ziele beschäftigt sich mit dem Inhalt von Plastik im Magen von Eissturmvögeln. Und das Ziel war, dass möglichst weniger als zehn Prozent der Eissturmvögel weniger als 0,1 Gramm Plastik im Meer haben. Und inzwischen haben wir Werte ermittelt von 0,3 Gramm durchschnittlich in über 95 Prozent der angespülten Eissturmvögel.

Hanselmann: Welche Folgen hat eigentlich der Plastikmüll in den Meeren für andere Tiere?

Detloff: Nahezu alle Tiergruppen im Meer sind von Plastik betroffen, also nicht nur die Vögel. Es sind auch Meeressäuger, Delfine, Kegelrobben, Seehund - das sind die heimischen Arten, die wir hier kennen -, die verfangen sich regelmäßig in alten Fischernetzen, in Plastiktüten oder alten Kunststoffleinen, die im Meer schwimmen und treiben.

Wir wissen auch, dass Fische beeinträchtigt werden können, denn in den einzelnen Meeresabschnitten finden sich inzwischen sechsmal mehr Plastikteilchen als Plankton – und wir haben Plankton fressende Fische, die dieses Plastik dann aufnehmen – und zahllose weitere Tierarten.

Hanselmann: Und für die Umwelt insgesamt, also ich sag mal für den Biohaushalt der Meere, welche Konsequenzen hat das Ganze?

Detloff: Wir müssen bedenken, dass Plastik eine sehr, sehr lange Haltbarkeit im Meer hat. Es baut sich über Jahrzehnte, teilweise Jahrhunderte ab und gibt nach und nach kleinere Bruchstücke an das umgebende Medium, an das Meer ab.

Und diese kleinen Bruchstücke, an diese lagern sich Giftstoffe an. Das hat man gerade festgestellt, dass kleine Plastikpartikel Giftstoffe die DDT, wie PCB akkumulieren, und diese werden dann von den filtrierenden Organismen aufgenommen, zum Beispiel von Muscheln oder von kleinen Krebstieren, gelangen so in die Nahrungskette und landen vielleicht später auch auf unserem Teller, wenn wir Fisch konsumieren.

Hanselmann: Hat man dafür schon Beweise, dass das Plastik über die Nahrungskette beim Menschen angelangt wieder?

Detloff: Ja, es gibt Beweise dafür, dass sich giftige Inhaltsstoffe, die sich auch im Plastik finden, wie Bisphenol A oder die sogenannten Weichmacher, die Phthalate, Styrolverbindungen auch sich in Fischen in Toprelatoren im Meer anreichern und letztendlich bei uns landen.

Hanselmann: Ich denke mal an den durchschnittlichen Strandurlauber, der ja jetzt im Sommer wieder vermehrt vorkommen soll. Muss der sich Sorgen machen, ist das Plastik schon wieder durch das Meer zurückgespült worden an unsere Strände?

Detloff: Das ist vielleicht das große Problem, dass wir immer noch sehen, unsere Strände sind sauber – wenn auch mit viel Aufwand von den Küstengemeinden gereinigt – und denken, das Plastikmüllproblem ist vielleicht bei uns noch gar nicht angekommen. Aber es ist in der Tat so, dass nur 15 Prozent des Plastiks, welches im Meer landet, an den Stränden angespült wird.

15 Prozent treiben etwa an der Wasseroberfläche und über 70 Prozent landen dann auf dem Meeresgrund und sind vor unseren Augen verborgen. Also das, was wir am Strand sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs.

Hanselmann: Nun ist ja das Abladen, das Abwerfen von Plastikmüll in allen Weltmeeren schon lange, lange verboten. Woher kommt denn der ganze Müll?

Detloff: Es sind immer noch illegale Einleitungen. Gerade für die Nordsee hat man festgestellt, dass die Hauptursache für die Plastikvermüllung in der Schifffahrt, in der kommerziellen Seeschifffahrt und in der Fischerei zu suchen ist. Man hat Flugbeobachtungen gemacht, wo man eine ganz klare Korrelation gesehen hat zwischen der Menge an Plastik mit den Schifffahrtslinien, mit den sogenannten Verkehrstrennungsgebieten in der südlichen Nordsee.

Hanselmann: Greenpeace fordert scharfe Kontrollen der Müllmengen an Bord der Schiffe, die auslaufen, und hohe Strafen, wenn das Plastik bestimmte zulässige Mengen überschreitet. Ist das auch für Sie ein Weg, und was würden Sie sonst noch vorschlagen, was schlägt der NABU vor, um dem Problem Herr zu werden?

Detloff: Diese Forderung kann der NABU nur unterstützen, denn es ist leider immer noch an der Tagesordnung, dass Abfälle, Plastikabfälle von Schiffen ins Meer geworfen werden. Es gibt ein Abkommen der internationalen Seeschifffahrtsorganisation, die ihren Sitz in London hat, die jeglichen Eintrag von Plastik in die See, in die Meere verbietet. Und da bedarf es sicherlich höherer Strafmaße oder stärkerer Kontrollen, um wirklich die schwarzen Schafe in der Seeschifffahrt zu identifizieren und zu bestrafen.

Hanselmann: Welche weiteren Maßnahmen und Aktivitäten schlagen Sie vor? Geht da auch irgendwas vielleicht in Richtung Politik?

Detloff: Es ist immer schwierig nachzusorgen. Das heißt, wenn Plastik erst einmal im Meer angekommen ist, dann ist es schwierig, das Plastik wieder herauszubekommen. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Politik vielleicht die richtigen Rahmenbedingungen schafft, dass die Schiffe bessere Bedingungen in den Häfen vorfinden, um ihren Plastik auch abzugeben, und dass der Anreiz, das Plastik im Meer illegal zu entsorgen, vielleicht kleiner wird dadurch. Aber ganz wichtig ist auch, dass wir einfach Vorsorge betreiben, dass wir einfach mit Ressourcen nachhaltiger umgehen, dass weniger Plastik produziert wird.

Die Plastikmülltüte ist, glaube ich, das beste Beispiel. Dort werden weltweit inzwischen eine halbe Milliarde produziert pro Jahr, und es ist ein typisches Einwegprodukt. Das heißt, wir werfen die Plastiktüte nach einmaligem Gebrauch nach dem Einkauf wieder weg. Und da muss man ansetzen und wirklich auf nachhaltige Produkte, auf wiederverwertbare Produkte, auf Recycling setzen.

Hanselmann: Können Sie eigentlich noch fröhlich in der Nordsee baden und am Strand liegen?

Detloff: Meine Begeisterung für das Meer und die Tiere des Meeres ist noch so groß, dass ich wirklich jede Minute im, auf dem und unter dem Wasser genieße, also ich lasse mir auch diese Leidenschaft nicht nehmen. Aber es macht schon traurig, wenn man durchs Mittelmeer oder durch die Nordsee taucht und wirklich alle paar Meter auf Plastikmüll und andere Müllkategorien stößt.

Hanselmann: Vielen Dank, Kim Detloff, Meeresschutzreferent des Naturschutzbundes Deutschland, dankeschön!

Detloff: Ich danke Ihnen!