"Es muss konkreter werden"

Moderation: Vladimir Balzer · 02.05.2007
Die unabhängige Vertreterin der säkularen Muslime auf der Islamkonferenz, Ezhar Cezairli, hat gefordert, sich mehr um konkrete Probleme auf der Konferenz zu befassen. Es gehe nicht um theologische Diskussionen, sondern um das weltliche Zusammenleben von Muslimen und der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Die islamischen Verbände forderte sie zu mehr Transparenz auf.
Balzer: "Geduld, Geduld" könnte man die Haltung vieler Teilnehmer beschreiben, die heute Vormittag zur zweiten deutschen Islamkonferenz zusammenkommen. Auf Einladung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble treffen sich deutsche Muslime und Vertreter des deutschen Staates. Und sie wollen darüber beraten, welche Rolle die Muslime in unserer Gesellschaft spielen können und sollen. Doch die Erwartungen wurden schon gedämpft, zumindest was schnelle Ergebnisse angeht. Innenminister Schäuble sagte heute morgen, man werde da einen Prozess von Jahren brauchen. Kritik gab es aber auch an den Arbeitsgruppen, die zwischen den beiden Konferenzen getagt haben.

Am Telefon ist Ezhar Cezairli, Ärztin in Frankfurt am Main und unabhängige Vertreterin der säkularen Muslime auf dieser Konferenz. Frau Cezairli, vom ersten Treffen im September letzten Jahres zeigten Sie sich bei uns im Interview recht angetan, allein schon weil die Runde so vielfältig gewesen sei und alle zu Wort gekommen seien, es sei ein guter Anfang gewesen. In den letzten Tagen hört man eher Ernüchterndes: In einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung haben einige Teilnehmer bemängelt, man verzettele sich in kleinen Arbeitsgruppen, es werde nur palavert, man habe sogar Gegner in der Ministerialbürokratie. Wie ist für Sie eigentlich die Ausgangslage für diese zweite deutsche Islamkonferenz?

Ezhar Cezairli: Also es ist so, dass die Islam-Konferenz ja initiiert wurde durch den Bundesinnenminister, damit wir Muslime und staatliche Vertreter sozusagen an einem Tisch zu einem Dialog kommen, aber auch zu einem Dialog unter den Muslimen mit völlig unterschiedlichen Meinungen, was das islamische Leben angeht, was überhaupt die Auslegung des Islam angeht, völlig unterschiedliche Sichtweisen, dass man da so eine Art Forum zur Diskussion, zum Dialog hatte, das finde ich positiv. Das ist ja auch gelungen.

Aber sicher ist natürlich, je konkreter es wird, desto mehr Spannungen gibt es. Ich denke, das muss auch sein. Wir müssen von dem Allgemeinen, was wir besprochen haben, also dass man sich eben auf gemeinsame Werte einigt, dass jeder sich auf die freiheitlich demokratische Grundordnung einigt, das, was jetzt eigentlich selbstverständlich ist für jeden, der in Deutschland lebt, diese Dinge.

Aber ich finde natürlich, es muss konkreter werden. Wenn es um Alltagsprobleme geht, das sind ganz andere Probleme, das sind nicht die Probleme der Religionsausübung, denke ich, es sind Probleme der hier aufwachsenden Kinder und Jugendlichen, die eben keine beruflichen Chancen haben, nicht die Schulabschlüsse hinbekommen, dass diese Probleme gelöst werden. Und wie sie gelöst werden, da müssen wir halt noch konkreter werden.

Balzer: Heißt das, Sie sehen die Probleme eher auf sozialem Gebiet denn auf politischem, gesellschaftlichem, kulturellem?

Cezairli: Ich sehe die Probleme natürlich vor allem auf dem sozialen Gebiet. Auf dem kulturellen Gebiet auch, aber ich finde es nicht richtig, dass es nur auf die Religion reduziert wird. Weil schauen Sie, man sieht ja auch, dass in diesen islamischen Verbänden, wenn man sie alle zusammennimmt, etwa 15 Prozent der 3,3 Millionen Muslime darin organisiert sind oder Mitglied in diesen Verbänden sind. Der Rest, also die Mehrheit, kommt bisher also offensichtlich auch ohne diese Verbände zurecht.

Natürlich haben Muslime, sollten Muslime das Recht haben, über ihre Religion informiert zu werden. Man muss natürlich eine Lösung finden für den islamischen Religionsunterricht. Wir sind der Meinung, dass der nicht ein bekennender Religionsunterricht sein sollte, sondern ein Religionskundeunterricht, wo der Islam von der Ethik her, von der Geschichte her beleuchtet wird und auch der Dialog mit den anderen Religionen in diesem Unterricht auch besprochen wird, also eher ein Islamkundeunterricht. Das haben wir auch vorgeschlagen als Initiative der säkularen Muslime. Also solche Dinge, die im Alltag eigentlich zu Konflikten führen, die müssen wir noch näher anpacken.

Balzer: Ezhar Cezairli, Sie haben auch gerade die islamischen Verbände erwähnt, die sich ja seit einiger Zeit in einem sogenannten Koordinierungsrat der Muslime zusammengeschlossen haben, also die vier wichtigen Organisationen, unter anderem auch der Zentralrat der Muslime, die ja heute da bei der Islam-Konferenz auch dabei sind. Und ihnen wird ja, wie Sie auch selber gesagt haben, vorgeworfen, man vertrete eben nur 15 Prozent, höchstens 15 Prozent der deutschen Muslime. Bekommen dann diese Verbände zu viel Aufmerksamkeit angesichts dessen, was sie da vertreten?

Cezairli: Also, sie bekommen natürlich mehr Aufmerksamkeit, weil sie sich eben zusammengetan haben, über die Köpfe von 3,3 Millionen Menschen muslimischer Herkunft, und haben sozusagen den Anspruch erhoben, als alleinige Ansprechpartner für die Muslime zu sprechen. Ich meine, diese Forderung ...

Balzer: Ist das schädlich für so eine Islam-Konferenz?

Cezairli: Ich sehe noch nicht, dass das schädlich ist, das können die tun, die können sich zusammentun, wichtig ist aber, wie wir oder wie der Staat darauf reagiert. Sie dürfen nicht als einzige, als alleinige Ansprechpartner für alle Muslime akzeptiert werden, sie können immer nur ihre Mitglieder vertreten und mehr nicht. Und die Mehrheit der Muslime ist eben nicht in diesen Verbänden organisiert, deswegen kann man sie auch nur als vielleicht ein Ansprechpartner nehmen.

Aber wichtig ist, dass wir auch von diesen Verbänden fordern, mehr Transparenz zu zeigen, endlich mal offen darzulegen, was sie denn nun hier in Deutschland fordern konkret im Alltag, wie ist es um die Gleichstellung von Mann und Frau in der Gesellschaft, wie ist es, wenn es um Sport- und Schwimmunterricht von Mädchen geht, wer soll den Religionsunterricht organisieren? Wir sind der Meinung, das muss im deutschen Schulsystem, in deutscher Sprache natürlich, auch von Lehrkräften, die in Deutschland ausgebildet sind und vom deutschen Kultusministerium auch kontrolliert. Also die Lehrpläne müssen von staatlicher Seite kontrolliert sein.

Solche Dinge wie Kopftuch für Lehrerinnen zum Beispiel, da müssen die ganz klar und ehrlich sagen, was sie davon halten, weil das sind ja die Konflikte, diese Themen führen ja zu Konflikten meistens.

Balzer: Um mal kurz bei der Zusammensetzung der Islam-Konferenz noch zu bleiben, die ja durchaus wichtig ist, wenn man guckt, was dabei rauskommen soll bei einer deutschen Islam-Konferenz. Nun hat man auf der einen Seite, wenn man das mal so verkürzt sagt, vielleicht die Vertreter der streng gläubigen Muslime, also eben diese Verbände, von denen wir gerade gesprochen haben, und auf der anderen Seite eher die säkularen, zum Beispiel Necla Kelek ist mit dabei. Fehlt da für Sie eine Art Mitte?

Cezairli: Sie haben jetzt gerade die zwei Extreme genannt, Necla Kelek auf der einen Seite, die ...

Balzer: Die als sehr scharfe Islam-Kritikerin auch gilt.

Cezairli: … die Verbände, die sehr streng, sage ich mal, religiös-konservativ bis auch teilweise fundamentalistische Tendenzen auch haben, nicht alle, ich möchte das betonen, aber es gibt auch - Sie wissen ja, der Islam-Rat ist vertreten, dieser Verband islamischer Kulturzentren, Zentralrat der Muslime usw. -, also von gemäßigt bis konservativ bis fundamentalistisch ist alles vertreten, auf der einen Seite, das ist das eine Extreme.

Und auf der anderen Seite haben Sie Necla Kelek genannt. Gut, Necla Kelek ist ja bekannt eigentlich als Islam-Kritikerin oder auch, ja eigentlich alles, was an Konflikten da ist, hat sie vielleicht auf den Islam hingewiesen. Und ich finde, der Islam ist eine Religion wie alle Weltreligionen auch mehr oder weniger mit demokratischen Grundwerten vereinbar. Wir müssen nicht ... Es geht hier in der Islam-Konferenz, muss es auch, viel mehr um Integration gehen.

Es geht nicht darum, wer die Muslime jetzt nun repräsentiert. Außerdem ist es dem Islam fremd sozusagen, dass sich eine Institution oder ein Verband oder überhaupt irgendeine repräsentative Institution, sage ich mal, zwischen dem gläubigen Individuum und dem Gott stellt. Das ist dem Islam fremd. Im Christentum gibt es den Papst, der für die Katholiken sprechen kann, und dann gibt es für die evangelische Kirche dementsprechend auch einen anderen Bischof oder Pfarrer oder so ein Kirchenoberhaupt, der für seine Kirchen, für seine Mitglieder sprechen kann. Aber im Islam gibt es das tatsächlich nicht.

Balzer: Das heißt, es ist eine Illusion zu glauben, dass es je einen Ansprechpartner der Muslime in Deutschland geben wird?

Cezairli: Richtig! Nein, einen Ansprechpartner glaube ich nicht. Ich finde, es wäre vernünftig, wenn es ein Beratungsgremium geben könnte, wenn es jetzt um Religion geht, um theologische Auslegungen, da könnte man doch mit Sicherheit ohne große Probleme verschiedene Theologen zusammentun, die dann über bestimmte Dinge, die eben religiös begründet werden, da konkret werden und da ihre Auslegungen untereinander ... Es gibt so viele unterschiedlich denkende Theologen, die den Koran oder die Vorschriften, die im Koran stehen, unterschiedlich auslegen.

Ich möchte mich nicht in die theologische Diskussion einmischen, ich möchte meinen Beitrag für das weltliche Zusammenleben in Deutschland zwischen Muslimen und der deutschen Mehrheitsgesellschaft einsetzen. Und ich glaube, das ist das Wichtige. Wir sind hier in Deutschland nicht in einem Gottesstaat und wollen das ja auch nicht sein, und deswegen sollten wir doch das weltliche Leben vor allem versuchen, in die richtigen Bahnen zu lenken und nicht das geistliche Leben.

Das geistliche Leben und diese Verbände sind auch nicht alle durch Theologen vertreten, sondern das sind auch teilweise Personen, die ganz klare politische Hintergründe und politische Ziele verfolgen, nicht nur religiöse.

Balzer: Aber das wirkt so, wenn man Ihnen so zuhört, als ob diese Islam-Konferenz eigentlich eine relativ desperate Grundlage hätte, oder? So relativ klar wird es nicht, was so einer Islam-Konferenz überhaupt hervortreten kann.

Cezairli: Wie gesagt, es soll ja ein Prozess sein. Man hat auch zu Beginn der Islam-Konferenz gesagt, das Ergebnis kann man eigentlich jetzt noch nicht so genau sagen. Es soll ein Prozess sein. Zumindest haben wir eines erreicht, sage ich mal, als Zwischenerfolg mag ich sagen, zumindest hat die deutsche Öffentlichkeit erfahren, dass eben Muslime nicht nur diejenigen sind, die man äußerlich als Muslime erkennt, dass es auch viele andere gibt, sogar sehr viele, mehrheitlich eigentlich, die unauffällig hier in der deutschen Gesellschaft ihren Beitrag leisten, sozial, wirtschaftlich, auch kulturell, die eben nicht durch ihre äußere Erscheinung sich als Muslime unbedingt darstellen. Das ist das eine.

Das Zweite ist, man hat auch ein Ergebnis, dass eben die deutsche Öffentlichkeit und auch der deutsche Staat gesehen hat, ein Ansprechpartner, und zwar durch diesen Dachverband, ist nicht akzeptabel. Nicht akzeptabel von der Mehrheit der Muslime, weil sie eben auch nicht die Mehrheit vertreten. Und diese Verbände selbst haben gesehen, dass sie nicht beanspruchen können, als alleinige Ansprechpartner für alle Muslime zu sprechen. Das würde tatsächlich auch nicht im Sinne des Islam sein, wie ich vorhin erklärt habe, dass der Islam nicht so aufgebaut ist, nicht so organisiert ist wie das Christentum.