"Es muss eine europäische Lösung geben"

Theodoros Paraskevopoulos im Gespräch mit Britta Bünger · 09.06.2011
Der griechische Wirtschaftswissenschaftler Theodoros Paraskevopoulos setzt auf eine europäische Lösung der Griechenland-Krise. Dabei sei es von Vorteil, dass es sich bei den wichtigsten Gläubigern vor allem um andere Staaten und die Europäische Zentralbank handele.
Britta Bürger: Die griechische Finanzkrise und die Sanierungsmaßnahmen der Regierung treiben mittlerweile hunderttausende Griechen auf die Straßen. Längst nicht mehr nur in Athen, sondern auch in vielen kleineren Städten des Landes. Heute will Regierungschef Papandreou den Ministerrat von einem weiteren Sparpaket überzeugen, zu dem auch eine Liste von geplanten Privatisierungen gehört. Wie sinnvoll diese Pläne sind und was von der immer lauter werdenden Forderung nach einer Umschuldung zu halten ist, darüber möchte ich jetzt mit dem griechischen Wirtschaftswissenschaftler Theodoros Paraskevopoulos sprechen. Er berät die Koalition der Linken im griechischen Parlament, das Bündnis Siriza. Guten Morgen, Herr Paraskevopoulos!

Theodoros Paraskevopoulos: Guten Morgen auch!

Bürger: Ist das, was Papandreou heute absegnen lassen möchte, der Ausweg aus der Schuldenkrise?

Paraskevopoulos: Nach meiner Meinung nicht. Wenn sich die öffentlichen Ausgaben so sehr kürzen, wenn die Nachfrage der Menschen sich so drastisch verringert, ist es klar, dass auch die Produktion sich verringert und auch die Staatseinnahmen. Das sehen wir zum Beispiel daran, dass das Einnahmeziel der Regierung, dass die Regierung ihr Ziel um eine Milliarde verfehlt hat.

Bürger: Zu dem neuen Reformpaket gehören ja auch eine Reihe von Privatisierungsvorhaben. Die Troika sagt, diese Privatisierungen seien längst überfällig in Griechenland. Was sollte der griechische Staat Ihrer Ansicht nach aus der Hand geben …

Paraskevopoulos: Ich verstehe das …

Bürger: … und was nicht?

Paraskevopoulos: … die Überfälligkeit nicht Sehen Sie, Deutschland hat einen viel größeren öffentlichen Bankensektor als Griechenland. In Griechenland sind staatlich die Energieproduktion, nicht mehr die Kommunikation, die Wasserversorgung und sehr wenige Banken – zwei Banken insgesamt – und die öffentlichen Verkehrsverbindungen – nicht alle, nur in Athen! – und die Bahn. Alles andere ist privatisiert. Ich glaube, der einzige Grund, aus dem Privatisierungen gefordert werden, ist, dass einige – das heißt, einige Unternehmen, nicht nur deutsche, französische, und holländische, aber auch griechische Unternehmen – billig öffentliche griechische Unternehmen kaufen wollen!

Bürger: Man könnte aber auch denken, dass Privatisierungen einer ganzen Reihe von Menschen durchaus neue Perspektiven eröffnen könnten, neue Jobs, bessere Bezahlung, auch weniger Filz und Korruption von Staatsbediensteten!

Paraskevopoulos: Was für eine bessere Perspektive könnte Menschen die Privatisierung der Energiewirtschaft bringen? Warum sollte man nicht sich darauf einigen, dass solche sehr wichtige Wirtschaftszweige öffentlich sein müssen? Was sich bei den Privatisierungen zeigt, sind Entlassungen, nicht neue Arbeitsplätze. Zum Beispiel die griechische Telekommunikationsgesellschaft, die privatisiert wurde, die entlässt.

Bürger: Aber sie war eben auch nicht effizient.

Paraskevopoulos: Doch, wieso nicht? Das war ein profitables Unternehmen immer, mit guten Verbindungen, …

Bürger: … und Sie würden sagen, mit nicht zu vielen Beschäftigten?

Paraskevopoulos: Vielleicht … doch. Ich würde sagen, schon, dass das zu viele Beschäftigte waren. Aber man kann bei großen öffentlichen Unternehmen viel leichter den Übergang planen und viel leichter dafür sorgen, dass die Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlassen müssen, einen anderen Arbeitsplatz finden.

Bürger: Wie Griechenland vor der Pleite zu retten ist, das ist das Thema hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem griechischen Volkswirtschaftler Theodoros Paraskevopoulos. Mittlerweile wird ja ..

Paraskevopoulos: Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Die griechische Telekommunikationsgesellschaft, die gehört zu einem großen Teil einem deutschen Unternehmen, der Deutschen Telekom. Die Deutsche Telekom zahlt in Deutschland für ihre Gewinne dort fast 30 Prozent Steuern. In Griechenland zahlt sie 20 Prozent Steuern. Die niedrigen Steuern, die in Griechenland eingeführt wurden – angeblich, um die Wirtschaft anzukurbeln –, haben zur Staatspleite geführt. Das ist das Problem! Dass die reichen Griechen – und es gibt sehr viele reiche Griechen – zu wenig Steuern bezahlen!

Bürger: Das heißt, die Vermögenssteuer ist eine Tabuzone?

Paraskevopoulos: Wir haben nur eine Grundsteuer, keine Vermögenssteuer. Es gibt keine Vermögenssteuer in Griechenland. Die Erbschaftssteuer wurde eingeführt erst auf Verlangen der Troika. Das ist das Problem! Das Problem ist die Verteilung des Einkommens, und ich meine nicht unbedingt die Verteilung zwischen den Bevölkerungsschichten, sondern ich meine die Verteilung zwischen privat und öffentlich. Griechenland – also der griechische Staat – hat einen sehr kleinen Anteil an dem produzierten Reichtum.

Und das ist das grundlegende Problem: Die Griechen, die zahlen viel weniger Steuern als die anderen Europäer. Der Kapitalertrag, der wird in Griechenland viel weniger versteuert als in Deutschland, in Frankreich, in Österreich, in Dänemark – Griechenland ist an vierzehnter Stelle in der Eurozone. Man hat auch berechnet, dass, wenn die Steuerbelastung in Griechenland gleich dem Mittelwert der Steuerbelastung in der Eurozone wäre, Griechenland in den letzten neun Jahren 112 Milliarden Euro mehr hätte eingenommen, das heißt, etwas mehr als die Kredite, die Griechenland jetzt von der Troika bekommt.

Bürger: Wer sind denn die reichen Griechen, wen müssen wir uns darunter vorstellen? Wo sitzt das Geld?

Paraskevopoulos: Die reichen Griechen, das sind Großunternehmer, Bankiers, teilweise auch Rentiers, und es sind vor allen Dingen Leute, die reich wurden in den letzten 20 Jahren. Sie wurden reich durch die niedrige Besteuerung, durch Großunternehmen wie die Olympischen Spiele, die Griechenland völlig verschuldet haben, und dadurch, dass sie mit dem Geld, das sie gespart haben durch die niedrigen Steuern, öffentliche Unternehmen kauften.

Das ist charakteristisch: Die Olympic Airways – Olympic Airways war eine der weltführenden Fluggesellschaften, was die Sicherheit anbetrifft –, die wurde gekauft, die Gesellschaft, von einem Bankier, der – also, das war eine Bankengruppe, aber mit einem führenden Bankier an der Spitze. Und man hat ausgerechnet, das dieses Geld genau dem Betrag entsprach, der durch die Steuerminderung in den vorigen drei Jahren in die Bankkasse geflossen ist. Das ist der Reichtum! Und ich meine, dieser Reichtum kann abgeschöpft werden!

Bürger: Mittlerweile wird ja immer offener über eine sogenannte Umschuldung gesprochen. Sie wird gefordert jetzt auch vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble. Hier würden nicht nur die Laufzeiten der Kredite verlängert, sondern die Gläubiger müssten auf einen Teil ihres Geldes verzichten. Noch vor zwei Wochen hatte Schäuble dieses Szenario als schlimmer als die Lehman-Pleite bezeichnet. Was halten Sie von einer Umschuldung?

Paraskevopoulos: Ich meine, sie ist notwendig. Eine Umschuldung, das heißt, eine Diskussion mit den Gläubigern, die inzwischen und immer mehr – die wichtigsten Gläubiger des griechischen Staates sind andere Staaten und die europäische Zentralbank, und das erleichtert die Sache, weil politische Forderungen, politische Entscheidungen fällig sind. Jetzt muss also diskutiert werden, ob mit allen harten Maßnahmen der griechische Staat in der Lage ist, seine Schulden abzutragen.

Ich meine, er ist es nicht. Bevor man aber über eine Kürzung der Forderungen der Gläubiger spricht, sollte man über die Verlängerung der Kredite und über die Zinsen sprechen. Und dann – wenn das geregelt ist – sollte man auch über eine Kürzung sprechen. Und ich meine, es wird nicht nur über die Kürzung der griechischen Schulden gesprochen. Es muss eine europäische Lösung geben.

Bürger: Was macht Ihnen zurzeit die größte Angst?

Paraskevopoulos: Die größte Angst macht mir zurzeit, dass dieses Sparpaket der Regierung durchkommt, dass öffentliche Rundfunksender geschlossen werden oder privatisiert werden, dass die Universitäten und die Schulen weniger Geld bekommen, dass die Krankenhäuser weniger Geld bekommen und also die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung vermindert wird, und dass ich selber – um auch etwas persönlich zu sprechen – weniger Rente bekomme, weil es dauert ja nicht mehr lange bis dahin.

Bürger: Sie haben vorhin schon die Zusammenkünfte der Menschen, zum Beispiel auf dem Syntagma-Platz in Athen angesprochen, Sie haben es aber auch in anderen Städten Griechenlands selbst miterlebt. Wie erleben Sie die Menschen dort?

Paraskevopoulos: Das Wichtige und das Schöne daran an all dieser Geschichte ist, dass sich dort die Menschen familienweise – also ganze Familien! – da hin gehen, sprechen, diskutieren, Forderungen stellen, beraten, sich Referate anhören oder öffentliche Diskussionen, und das alles sehr friedlich. Das ist, glaube ich, das Imposante daran. Und natürlich ist das alles von den Spaniern übernommen – die Spanier haben das ja begonnen –, aber ich glaube, das haben wir gut übernommen.

Bürger: Was kann daraus erwachsen?

Paraskevopoulos: Daraus kann ein neues politisches Bewusstsein erwachsen. Daraus kann ein Selbstbewusstsein der Bevölkerung erwachsen, und daraus kann ein Druck auf die Regierung und die Regierungspartei erwachsen, dass die jetzt bei der Beratung des Sparpakets sich vorsehen. Und hier erleben wir in Griechenland eine Situation, wo die Bevölkerung – ein Teil der Bevölkerung – sich versammelt und ihre Meinung sagt. Und dies sehr deutlich! Das wird sehr deutlich artikuliert, auch wenn verschiedene Lösungen vorgeschlagen werden. Die Meinung, dass diese Politik nicht fortgeführt werden soll, ist sehr deutlich. Und ich glaube, inzwischen ist das eine Mehrheitsmeinung in Griechenland.

Bürger: Der griechische Wirtschaftswissenschaftler Theodoros Paraskevopoulos über Auswege aus der Schuldenkrise seines Landes. Danke Ihnen für das Gespräch!

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