"Es muss ein Ruck durch unser Land gehen"

Moderation: Philipp Gessler · 11.05.2013
Hakenkreuz-Schmierereien und Brandsätze auf Moscheen: Die Übergriffe auf Muslime nehmen zu, warnt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek. Islamfeindlichkeit müsse endlich als gesamtgesellschaftliches Problem wahrgenommen werden.
Philipp Gessler: Etwa vier Millionen Muslime leben in Deutschland. Vor der Sendung habe ich Aiman Mazyek gefragt, ob nicht ein Problem der muslimischen Verbände hierzulande darin bestehe, dass etwa die Hälfte der Muslime überhaupt kein Mitglied eines solchen Verbandes ist, und die andere, organisierte Hälfte der Muslime sich gleich auf vier Verbände verteilt

Aiman Mazyek: Wir sind, wenn man so will, schon in gewisser Weise in einer – also in unserem Land gibt es auch so was wie eine Verbandsdemokratie, das ist ohne Zweifel so. Wenn Sie in Richtung Kirchen schauen, haben Sie eine ähnliche Problematik, dass wir eine Amtskirche haben, die nicht alle Christen vertritt und anderes mehr. Und Ähnliches ist im muslimischen Kontext sicherlich auch zu sagen. Nur, man kann nicht jene bestrafen, die sich organisieren, sondern die müsste man zumindest an den Tisch bringen und sagen, okay, die haben ja ein ähnliches Interesse, dann für so viele wie möglich zu sprechen.

Und es gibt durchaus eine doch sehr ansprechende Hausnummer. Das sind die muslimischen Religionsgemeinschaften, vor allen Dingen die vier großen Verbände, zusammengefasst im Koordinationsrat, also VIKZ, DITIB, Islamrat, Zentralrat –, die im Namen der überwiegenden Anzahl der Moscheegemeinden in diesem Land spricht. Und der Staat, wenn ich das noch sagen darf, der kann sich den Dialogpartner nicht aussuchen, sondern der hat die Aufgabe, mit dem, was da ist, zu Rande zu kommen und nicht jetzt auch noch zu deuten, wer für wen spricht, und beispielsweise, das sind ja auch solche Blüten, die in Islamkonferenzen auch entstanden sind, dass man sagt, okay, wir nehmen jetzt eine Partikular- oder eine Einzelperson, und die ist sozusagen die Substitution und die spricht dann für die schweigende Mehrheit. So funktioniert das nicht. Das macht man in keinem anderen Kontext bei einer Konferenz.

Gessler: Die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind ja deswegen besonders gefordert, weil sie zwar einerseits Privilegien haben, durch diesen Status aber andererseits auch bestimmte Pflichten haben, unter anderem eine besondere Treue zum Grundgesetz. Glauben Sie, dass die muslimischen Verbände dieser Treue zum Grundgesetz gerecht werden?

Mazyek: Ja sicher. Das war ja schon Thema der Deutschen Islamkonferenz eins, vielleicht erinnern Sie sich noch vage, da gab es so was wie einen Treueschwur oder Treuebekenntnis oder Bekenntnis zum Grundgesetz, das war ja eines der, ich glaube zweite oder dritte Lesung, wo das Thema dann auch auf den Tisch kam – und da war es auch klar, dass das Bekenntnis nicht zum hundertsten Mal eingefordert werden muss, sondern dass das selbstverständlich ist für die muslimischen Religionsgemeinschaften. Und in dem Rahmen eines Körperschaftsverfahrens muss das natürlich dann auch noch mal wasserdicht und auch festgemacht werden, festgezurrt werden, ohne Zweifel.

Gessler: Wäre es denn eine Hilfe, wenn dieser Koordinierungsrat, den Sie genannt haben, wenn der tatsächlich die Strukturen etwas strenger und strikter hätte und wenn man die organisatorische Dichte erhöhen würde?

Mazyek: Strenger und strikter, das wäre sinnvoll, und zwar insofern, als dass man den Koordinationsrat dann auf die Länderebene abbildet. Also beispielsweise in Niedersachsen haben wir den islamischen Schurarat, dann die DITIB und VIKZ, die zusammen eine Einheit bilden und die vertragsrechtlich auch jetzt schon mit Niedersachsen zusammenkommen, um die einzelnen Themen abzustimmen. Und das muss sich sozusagen auch noch mal institutionalisieren, verfestigen.

Nochmals: Alle anderen sind herzlich willkommen. Die Verbände, die Religionsgemeinschaften müssen sich auch dem öffnen, zumindest das Angebot machen, dass jeder mitmachen kann. Und wer sich dann nicht vertreten fühlt von den Religionsgemeinschaften, der möge eine Alternative organisieren; aber er kann nicht schmollend in die Ecke gehen und sagen, die vertreten mich nicht und die machen nichts, sondern der muss schon was Eigenes dann machen oder sich dann mit einbringen, das wäre das Beste.

Gessler: Jüngst gab es ja diese, ja, man kann sagen, schockierende Meldung, dass etwa die Hälfte der Bundesbürger sich vom Islam bedroht fühlen. Was tut denn Ihr Verband, um diese Stimmung zu drücken?

Mazyek: Also ich sag mal ganz frei raus, würden die Muslime und ihre Organisationen nicht seit 15, 16 Jahren Tag der offenen Moschee organisieren, würden sie sich nicht öffnen, würden sie nicht die Dialogbereitschaft immer wieder unter Beweis stellen, würden sie nicht ihre Imame, ihre Vorstände anweisen, schulen, entsprechend in die Gesellschaft sich einzubringen, würden sie nicht den Kern des Islams als Aussage, dass er eben sich nicht abschottet, dass er Religionsfreiheit bejaht, Toleranz bejaht, im Gegenteil. Eine der Vorgängerstudien dieser eben von Ihnen genannten Bertelsmannstudie, Islam Religionsmonitoring, hat ja auch ganz klar festgestellt, je mehr Wissen ein Moslem über seine Religion hat, desto toleranter und moderater und fähiger ist er auch, mit anderen Religionsgemeinschaften oder auch mit anderen Weltanschauungen oder Atheisten und so weiter umzugehen. Das ist ja die Arbeit, die wir ja tagtäglich leisten und ausüben in den Gemeinden und Verbänden. Würden wir das nicht machen, fürchte ich, würde die Umfrage noch ein schlimmeres Ergebnis zutage bringen.

Gessler: Warum hat denn eigentlich die Hälfte der Muslime in Deutschland nicht die deutsche Staatsbürgerschaft? Gibt es da eine Scheu, sich zu integrieren?

Mazyek: Das ist jetzt eine sehr verkürzte Aussage, in der Frage eine Aussage. Also ich denke, gerade in den letzten Jahren ist viel passiert in Richtung Einbürgerung und auch die Bereitschaft, das zu tun. Ich sehe weniger eine Scheu, als auch durchaus institutionelle Hürden, auch auf deutscher bürokratischer Seite. Dass wir zwar das so in den Sonntagsreden, in den politischen Statements immer hören, dass man sich doch einbürgern möchte, aber doch noch viele institutionelle Hürden da sind.

Berlin macht jetzt gerade wieder einen Vorstoß, also die Stadt Berlin, dass sie da noch mal wirbt dafür, intensiv. Das begrüßen wir und finden das richtig. Das ist noch eine große Anzahl von durchaus auch muslimischen Bürgern, die die deutsche Staatsbürgerschaft noch erlangen könnten und dann dadurch Mitspracherecht und Partizipation auch wesentlich effektiver gestaltet wird. Wir tun uns überhaupt in diesem Land etwas schwer mit dem Thema Staatsbürgerschaft. Wir nehmen es einfach so hin, dass Menschen, aus welchen Motiven auch immer, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht erlangten oder erlangen wollen, wie auch immer, auf jeden Fall 30, 50 Jahre hier leben, und wir machen es uns schwer mit dem Thema Doppelstaatsbürgerschaft, mit dem Thema kommunales Wahlrecht für Ausländer und anderes mehr. Da kann man sicherlich auch noch eine ganze Menge machen.

Gessler: Wie haben denn die NSU- oder der Beginn des NSU-Prozesses in dieser Woche sich ausgewirkt auf die Stimmung unter den Muslimen in Ihrem Verband?

Mazyek: Ja, überhaupt, nach der Aufdeckung vom vorletzten Jahr war die Situation sehr, sehr angespannt. Angst, Furcht – wir sehen, dass die Übergriffe auf Muslime zunehmen. Wir haben ja allein im letzten Jahr, und die Dunkelziffer dürfte weitaus größer sein, von uns gezählten, also von den muslimischen Verbänden, allein 30 Anschläge auf muslimische Gotteshäuser. Ein großer Teil waren Hakenkreuzschmierereien und solche Sachen, aber es gab auch Brandsätze, ich glaube, allein neun oder zwölf, wir haben es in einer Pressemitteilung kürzlich herausgegeben. Das sind schon erschreckende Zahlen.

Wir kennen Langzeitstudien von Professor Heitmeyer, Professor Bielefeld oder andere, eben die genannte Bertelsmann-Stiftung deutet ja auch in die ähnliche Richtung. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat vor drei Jahren auch etwas herausgegeben. Das sind schon dunkle Wolken am Horizont, die wir sehen, und der NSU-Prozess wird Deutschland auch ein Stück weit verändern. Es werden sicherlich noch Überraschungen zutage kommen. Es werden wahrscheinlich weitere Prozesse geführt, auch gegen neue Beschuldigte, die noch nicht jetzt auftauchen, oder auch die Verflechtungen und die Verwicklungen, Verantwortlichkeiten der Sicherheitsbehörden, das gilt es zu klären.

Das sind alles Themen, bei denen die muslimische Community nicht in Angst erstarrt, aber man hat durchaus Furcht. Und es gilt, dieses Vertrauen oder den Vertrauensverlust gegenüber Staat und Sicherheitsbehörden, dass man das ein Stück weit über einen transparenten Prozess, den wir jetzt hoffentlich erleben, und auch eine ganz deutliche, ja – es muss ein Ruck gehen durch unser Land, wo man deutlich sieht, dass das Thema Rassismus und Islamfeindlichkeit eben nicht nur irgend so ein Randthema ist, sondern das es uns alle angeht und dass das eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist, diese Themen anzunehmen. Dann, denke ich, wird auch wieder ein Stück weit Vertrauen in der muslimischen Community eintreten und das verloren gegangene Terrain kann dann wieder ein Stück weit zurückgewonnen werden.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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