Es lebe das Arschgeweih!

Der Tätowierer Ernst Günter Götz bebildert jede Körperstelle.
Der Tätowierer Ernst Günter Götz bebildert jede Körperstelle. © picture alliance / dpa / Heiko Wolfraum
Von Petra Marchewka · 16.08.2012
Ernst Günter Götz malt gerne. Vor allem auf Haut. Der gebürtige Oberfranke, der ein bisschen wie George Clooney aussieht, hat seine Wahlheimat auf der Hamburger Reeperbahn gefunden. Hier betreibt er "Die älteste Tätowierstube in Deutschland".
Zugegeben: Die Sache mit dem Schmuddelimage zischt einem schon durch den Kopf, wenn man vor der "Ältesten Tätowierstube in Deutschland" steht. Jahrhundertwende-Haus zwischen Sexkino und Kneipenspelunke, drei Stufen hoch, alte Glastür, enger Gang.

Rechts ein großer, hoher Raum, durch einen Stahltresen mit Glasplatte in Arbeits- und Wartebereich getrennt. Hier zwei blonde Frauen auf Sesseln, dort zwei Liegen: die Wirkungsstätten der "Stecher", wie sich die Tätowierer gern frivol wie präzise nennen.

Ernst Günter Götz: "Man hat in Deutschland das Problem: Schubladentechnik."

Ganz hinten eine Mischung aus Büro und Werkstatt, ...

"Arschgeweih? Schublade. Negativ."

... wo der Chef des Studios, Ernst Günter Götz, über den Hang der Deutschen zu Ressentiments sinniert.

"Arschgeweih: Körperbetonend, macht 'nen schönen langen, schlanken Rücken, betont die Taille, was ist da dran negativ?"

Der 56-jährige Familienvater und gebürtige Oberfranke aus Bad Kissingen zeichnet, während er so sinniert, die Umrisse einer niedlichen Blaumeise auf Durchschlagpapier. Die, erklärt er, hätte die Kundin vorn im Wartesessel gern im Dekolleté. Für ihn selbst käme derart Offensichtliches nicht in Frage.

"Ich hab das mal beim Einkaufen gemerkt. Beim Fleischer. Hab ich Wurst geholt und die hat mich dann gefragt: Was machen Sie denn beruflich? Ich hatte Jackett, keine Krawatte, aber normal angezogen, hab ich gesagt: Na schätzen Sie doch mal, was mache ich denn?"

Ernst Günter Götz blickt grinsend über den Rand seiner schwarz-gerahmten Brille. Mit seinem kurzen, graumelierten George Clooney Haarschnitt – Clooney: Schmetterling zwischen den Schulterblättern – und dem lässigen Sieben-Tage-Bart ginge der gelernte Bauzeichner locker als Kunstlehrer am Vorstadt-Gymnasium durch. Fand die Wurstverkäuferin auch.

"Nö. Ich bin Tätowierer!"

"Wenn ich normal angezogen bin und gehe auf 'ne Veranstaltung, dann spricht jeder mit mir. In dem Moment, wo ich zum Beispiel die halbe Gesichtshälfte oder die Hände tätowiert habe, wird derjenige gar nicht den Kontakt zu mir suchen. Weil er sagt: Schublade. Tätowiert, igitt."

Während Götz hinten seelenruhig an der Meise zeichnet, liegt vorne in Behandlungsstuhl eins inzwischen eine junge Frau in schwarzer Kluft. Einer der beiden freiberuflichen Tätowierer dieses Studios ritzt ihr einen Schriftzug aufs rechte Schlüsselbein. Worte sind in. Man bekommt sie vom Chef selbst aber nur widerwillig.

"Der Hund, das Pferd, die Nichte, der Papa, der Opa ... - wir erklären denen dann schon, dass es nach drei Jahren wirklich nicht mehr schön aussieht, teilweise schon nach einem Jahr."

Tatsächlich ist es nämlich so eine Sache mit der Halbwertszeit der bunten Körperkunst.

"Oberarm zum Beispiel, dann kann eine Linie im Laufe eines Lebens, wenn ich mich mit 18 tätowieren lasse, noch drei bis fünf Millimeter Dicke erreichen. Durch das Zellwachstum in der Haut. Und dann verläuft es zu einem komischen, dunklen Fleck."

"Jetzt gehe ich nach vorne und werde meine Kundin ein bisschen verarzten."'"

Zuerst noch ein paar Vorbereitungen. Papierkram erledigen, sterile Nadeln auspacken, Arbeitsflächen desinfizieren, schwarze Latexhandschuhe anziehen. Alles ist hier picobello sauber und modern, auch die Behandlungsliegen, die sich per Knopfdruck in alle Himmelsrichtungen flexibel einstellen lassen, damit der Kunde genau so liegt, dass Götz rankommt, wo er ran muss.

Eine Kundin: ""Es ist nicht so schlimm wie Zahnarzt. Zahnarzt ist noch 'nen Tick schlimmer. Das hab ich mir letztes Mal immer gesagt. (lacht)"

Ernst Günter Götz: "Es kann gar nicht so schlimm sein, weil alle immer wieder kommen. Und gerade Frauen sind ja in der Hinsicht pervers."

Zwei Stunden wird es dauern, bis die Blaumeise an Ort und Stelle sitzt. Routine für Ernst Günter Götz. Während die Kundin sich zu entspannen versucht, erinnert sich der Tätowierer an seine allererste Begegnung mit der Körperkunst.

"Mein Onkel war schon immer tätowiert. Anfang der 60er-ahre habe ich die ersten Tätowierungen gesehen."

Besagter Onkel hatte dieses Tätowiergeschäft 1962 übernommen.

"Mein Vater hat für ihn dann später die Tätowiermotive gezeichnet, und da war ich natürlich als Junge begeistert und hab die Motive mit dem Schulpinsel bunt anmalen dürfen."

Ende der 70er-ahre macht Ernst Günter Götz seine erste Urlaubsvertretung im Studio, 1984 übernimmt er die Tätowierstube. Zeichnen kann er, ein Händchen für Menschen hat er auch. Der Rest ist learning by doing.

Ernst Günter Götz grinst wieder verschmitzt. Die Tätowierung im Dekolleté der blonden Frau ist fast fertig, die Haut um die dunklen Konturen ein bisschen gerötet. Als nächstes Motiv, kündigt sie schon mal an, hätte sie gern einen Phönix. Machen wir, sagt Götz, und vollendet die Blaumeise mit ein paar letzten, feinen Linien.

"Ich fühle mich gut und ich bin stolz darauf, dass ich den Laden so positiv aufgebaut habe weiterhin, und ich bin auch stolz darauf, dass ich die Erfahrung von meinen Vorgängern mit reinnehmen konnte, um es an meine Kunden weiter zu geben."