"Es kommt jetzt allerdings in Zukunft darauf an, wie dieser Vorschlag ausgestaltet wird"

Bernd Behnke im Gespräch mit Hanns Ostermann · 27.08.2010
Der Strafverteidiger Bernd Behnke lobt den Kompromiss der Bundesregierung zur Reform der Sicherheitsverwahrung. "Seit einigen Monaten ist es so, dass ich immer wieder für eine solche Lösung werbe", sagte Behnke.
Hanns Ostermann: Wochenlang tobte der Streit. Jetzt hat sich die Koalition auf einen Kompromiss bei der Reform der Sicherungsverwahrung geeinigt. Union und FDP wollen so schnell wie möglich die neuen Regeln verabschieden, um gefährliche Schwerverbrecher auch nach ihrem Haftende in Gewahrsam nehmen zu können. Innenminister Thomas de Maizière:

Thomas de Maizière: Wir werden eine neue Form der Unterbringung haben, eine sichere Unterbringung, eine Unterbringung für psychisch gestörte Gewalttäter, deren Entlassung ohne diese neue Form der Unterbringung gedroht hätte.

Ostermann: Ist das jetzt eine Lösung, mit der alle Seiten leben können, also Anwohner, die Angst vor weiteren Straftaten haben, und ehemalige Täter, für die ja auch die Menschenrechte gelten? Ich möchte darüber mit Professor Bernd Behnke sprechen. Er ist Fachanwalt für Strafrecht und er war Pflichtverteidiger von Hans-Peter W., der nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte frei gelassen werden musste. Guten Morgen, Herr Behnke.

Bernd Behnke: Guten Morgen!

Ostermann: Sind Sie mit dem jetzt gefundenen Kompromiss zufrieden, oder erinnert der an Tarifverhandlungen, bei denen sich die Parteien ja auch einigen müssen?

Behnke: Das ist ein guter Vergleich. Der wäre mir jetzt nicht eingefallen. Zu dem Vorschlag möchte ich Folgendes sagen: Seit einigen Monaten ist es so, dass ich immer wieder für eine solche Lösung werbe. Ich bin natürlich sehr stolz darauf, dass die Vertreter der Bundesregierung einen solchen Vorschlag jetzt nicht aufgegriffen, aber parallel dazu entwickelt haben. Es kommt jetzt allerdings in Zukunft darauf an, wie dieser Vorschlag ausgestaltet wird.

Ostermann: Das heißt, es muss ja auch noch an dem Gesetz - und möglicherweise wird das Gesetz schon am kommenden Mittwoch im Kabinett verabschiedet - gefeilt werden. Wie sollte oder wie muss in diesen ganz speziellen Einrichtungen die Arbeit mit den Straftätern aussehen?

Behnke: Die Arbeit muss so aussehen, dass sie dort überstellt werden aus der Sicherungsverwahrung, dann erst mal in einen geschlossenen Bereich kommen, in diesem geschlossenen Bereich an die Umwelt wieder gewöhnt werden. Man muss sich vorstellen: Die sind zum Teil 20, 30 oder gar 40 Jahre aus der Gesellschaft heraus gewesen. Dann ist andererseits in dieser Zeit auch psychotherapeutisch zu arbeiten. Die Leute sind zu testen. Da ist alles das nachzuholen in relativ kurzer Zeit, was im Vollzug in den ganzen Zeiträumen versäumt wurde.

Ostermann: Herr Behnke, die Frage ist ja - das Gesetz liegt noch nicht vor - nur grundsätzlich jetzt schon einmal, ob die neuen Regelungen, die beabsichtigt werden, vor dem Menschengerichtshof Bestand haben. Haben Sie da Zweifel?

Behnke: Nein, ich habe keine Zweifel, wenn die Ausgestaltung dieser Regelung so geschieht, dass es rechtskonform ist. Das heißt, es darf kein Gefängnis sein, es darf keine Sicherungsverwahrung in der bisherigen Form sein, es muss eine Übergangsschleuse sozusagen sein aus der Sicherungsverwahrung in die Freiheit.

Ostermann: Weiter auf freiem Fuß bleiben ja etwa 15 Straftäter, die bereits aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden. Könnte diese neue Form der Unterbringung auf sie angewendet werden oder nicht? Das prüft jedenfalls derzeit die Koalition.

Behnke: Ja, das ist richtig. Die Frau Leutheusser-Schnarrenberger als Justizministerin hat sich gestern in der Pressekonferenz auch um diese Antwort herumgedrückt, und ich möchte mich nicht darum drücken, sondern ich möchte ganz klar und deutlich sagen, alle die, die schon entlassen worden sind, werden von einer neuen gesetzlichen Regelung nicht erfasst. Auch das würde wieder das Rückwirkungsverbot von Gesetzen betreffen, und das wäre wieder verfassungswidrig und unter Umständen auch menschenrechtswidrig. Also Klartext: Die, die draußen sind, bleiben draußen.

Ostermann: Auf der anderen Seite steht das verständliche Bedürfnis der Gesellschaft, sich vor möglichen weiteren Straftaten zu schützen. Haben Sie den Eindruck, dass die neue Regierung diesem Bedürfnis Rechnung trägt?

Behnke: In den Fällen der 15 bereits Entlassenen offensichtlich nicht. Unterstellen wir mal, dass die 15 tatsächlich gefährlich wären, dann zeigt sich hier deutlich, dass in den vergangenen Monaten oder gar Jahren – man muss wissen: Seit 2004 ist das Problem bekannt – Wichtiges versäumt wurde. Man hat nämlich in dieser Zeit gerade diese Übergangsregelung, die man jetzt schafft, eben halt nicht geschaffen. Man hat gesetzgeberische Maßnahmen unterlassen, musste dann erdulden oder ertragen, dass die Gerichte die Menschen freilassen, und jetzt sind sie draußen und jetzt kriegen sie die nicht mehr rein. Einzufangen, das geht nicht mehr.

Ostermann: Bernd Behnke war das, Fachanwalt für Strafrecht. Er hat für uns im Deutschlandradio Kultur die Pläne der Bundesregierung zur Sicherungsverwahrung bewertet. Herr Behnke, vielen Dank dafür.

Behnke: Herzlichen Dank und schönen Morgen!

Ostermann: Wünsche ich Ihnen auch.