Arbeitslos in Corona-Zeiten

„Es ist sauschwer, optimistisch zu bleiben“

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Der Besitzer des Restaurants Knofel in der Wichertstraße in Berlin-Prenzlauer Berg verschenkt wegen der Schließung seine verderblichen Lebensmittel vor seinem Geschäft.
Den Besitzer des Restaurants Knofel in Berlin hat die Coronakrise schwer getroffen. © imago images/Seeliger
Von Magdalena Neubig · 29.06.2020
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Die offizielle Arbeitslosenzahl steuert auf die 3-Millionen-Marke zu. Selbstständige melden Insolvenz an, große Unternehmen entlassen Hunderte Beschäftigte. Familie Füssel hat die Krise doppelt erwischt. Wie kommt man raus aus der Abwärtsspirale?
"Langfristig nach vorne zu gucken ist natürlich schwierig. Man versucht es, man steht auch jeden Tag wieder neu auf, aber man kriegt natürlich genauso viele Rückschläge."
Michael Füssel ist Restaurantbesitzer. Er betreibt das "Knofel" in Berlin. Im April hat der 34-Jährige Arbeitslosengeld beantragt.
"Die Entscheidung zu treffen, ich gehe zum Amt, war, glaube ich, mit die schwierigste. Man hat ein Unternehmen, man hat dieses Unternehmen immer noch, man darf auch weiterhin arbeiten. Aber die Entscheidung, alles klar, man muss jetzt Hartz IV beantragen, das ist kein Schritt, den ein Unternehmer für sich treffen möchte."

Das Ersparte ist schnell aufgebraucht

Dass sein Restaurant aufgrund der Coronakrise geschlossen war, hat ihn finanziell hart getroffen.
"Gastronomie weiß jeder: Wir sind zwar nicht die Ersten, die komplett betroffen waren, aber schon die zweite, dritte Liga gewesen. Man hat natürlich Gott sei Dank ein bisschen was angespart, weil es die letzten Jahre recht gut lief, aber plötzlich dann auf einmal. Man muss natürlich so lange wie möglich am Leben bleiben. Was kannst du alles tun, um Kosten zu sparen?
Dann natürlich Kita - war natürlich dicht. Ich alleine stehe plötzlich da zu Hause: Kind, Firma retten, Kosten drücken und so weiter. Parallel hat man natürlich so dieses Auf und Ab. Manchmal bekommst du so einen Motivationsschub. Nächsten Tag stehst du wieder auf und schaust auf dein Handy. Die wollen Geld, die wollen Geld, die wollen Geld und wirst wieder weiter runtergedrückt."

Die Fixkosten überschreiten die Einnahmen

Monatelang hat Michael Füssel mit seinem Restaurant nichts mehr verdient. Seit ein paar Wochen hat das "Knofel" zwar wieder geöffnet, aber die Kosten übersteigen bei weitem, was er zurzeit erwirtschaftet. Im letzten Monat hat er etwa 8000 Euro eingenommen, aber allein die Fixkosten liegen schon bei 14.000 Euro.
Deshalb hat er inzwischen Unterstützung beim Jobcenter beantragt. Wenn Michael Füssel von seinem schweren Gang zum Amt erzählt, meint er damit kein persönliches Vorsprechen. Er hat auf der Webseite einen Antrag ausgefüllt. Abstand halten in Corona-Zeiten.

Agentur für Arbeit berät nur telefonisch

Auch die Agentur für Arbeit empfängt derzeit niemanden persönlich, erklärt Mathias Haverland, Arbeitsvermittler in Berlin Tempelhof-Schöneberg.
"Jetzt in Corona-Zeiten sieht es so aus, dass wir mit unseren Vermittlungsfachkräften umgeschwenkt sind auf die telefonische Beratung. Das heißt von den Gesprächsinhalten hat sich gar nicht viel geändert."
Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Agentur für Arbeit haben allerdings mehr zu tun als zuvor. Corona setzt den Arbeitsmarkt unter Druck. Im Mai waren in Berlin mehr als 200.000 Menschen arbeitslos gemeldet. Das sind rund 50.000 mehr als noch vor einem Jahr zu dieser Zeit. Betroffen sind vor allem Menschen, die im Gastgewerbe oder Dienstleistungssektor gearbeitet haben.
Die Familie von Michael Füssel hat die Krise doppelt erwischt. Denn Anfang Juni hat dann auch noch seine Frau Diana ihren Job verloren.
"Ich habe letztes Jahr im Dezember als Sekretärin angefangen in einer Umzugsfirma. Und jetzt sagte denn mein Chef mir, dass wir uns leider trennen müssen, weil keine Gelder mehr da sind. Es kommen auch kaum Aufträge rein."

Unseriöse Angebote bei Jobbörsen

Diana Füssel hat sofort versucht, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Sie hat Annoncen in Jobbörsen auf Facebook und Ebay geschaltet und war auf zig anderen Webseiten unterwegs. Aber die Suche gestaltet sich schwierig. Für einige Stellen hat sie noch zu wenig Berufserfahrung, und viele andere Angebote sind einfach nur unseriös.
"Es ist arg schwer, aber man bekommt im Internet also wirklich auch Anfragen oder Leute, die auf deine Annonce dann antworten, wo ich sage, nee das geht gar nicht. Also ich verkauf nicht meinen Körper oder lass meine Familie mal hängen, bloß weil ich ein Supergehalt kriegen kann."
Arbeitsvermittler Matthias Haverland rät deshalb, zuerst auf der Seite der Arbeitsagentur nach Jobs zu suchen, weil die dort geschalteten Anzeigen auch in Bezug auf rechtliche Kriterien geprüft werden.
"Wenn jemand da Unterstützung braucht, gibt’s auch da Möglichkeiten. Wie suche ich denn eigentlich, wie finde ich denn die passenden Stellen für mich. Und das ist sicher auf dem Arbeitsmarkt nicht immer sehr einfach mit der Vielzahl an Stellenbörsen, die wir haben."

In Zukunft Straßenbahnfahrerin?

Diana Füssel sucht in jedem Fall nach einem Job mit besseren Zukunftsaussichten.
"Also ich habe die Überlegung jetzt, ich mach was komplett anderes. Und will gucken, dass ich vielleicht sogar sage, ich gehe in die BVG rein als Straßenbahnfahrerin. Das ist dann wirklich auch, wenn nochmal so eine Krise kommt oder so, bist du einfach abgesichert."
Wer nur übergangsweise einen Job suche, könne momentan auch als Quereinsteiger in bestimmte andere Branchen vermittelt werden.
"Wir haben jetzt zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass einige Kundinnen und Kunden zum Beispiel auch aus dem Hotel- und Gaststättenbereich dann in andere Bereiche umgeschwenkt sind, wo man schnell als Quereinsteiger reinkommen kann. Zum Beispiel in die Postverteilung oder im Lebensmitteleinzelhandel."

Angst vor "Hartz IV-Leben"

Diana Füssel kann sich einen Quereinstieg vorstellen und hofft, dass das mit dem Job bei der BVG klappt. Sie findet es aber "sauschwer, optimistisch zu bleiben".
"Ich bin auch noch nie so weit gewesen, dass ich dachte, ich muss Hartz IV beantragen, aber jetzt, wenn ich wirklich keinen Job finde, gehör' ich dann leider auch dazu. Und da ist auch immer wieder schwer rauszukommen. Wenn wir dann jetzt beide noch im Hartz IV drinnen sitzen, möchte ich nicht wissen, wo es endet. Also wirklich auch mit der Kleinen und alles. So ein Leben will man einem Kind nicht vorleben."

Auf der Suche nach zweitem Standbein

Ihr Mann wartet noch auf finanzielle Unterstützung vom Jobcenter. Parallel überlegt er aber schon, sich neben seinem Restaurant noch ein zweites Standbein aufzubauen. Ob gewollt oder nicht, durch Corona müsse jeder sein Leben umkrempeln und könne das vielleicht sogar als Möglichkeit sehen, sich neu zu erfinden:
"Also jeder schreibt sein Buch jetzt neu. Nicht nur in unserer Branche. Nicht nur Selbstständige, sondern auch Angestellte. Das Nach-Corona wird nicht Vor-Corona sein, dass wissen wir, glaub ich, alle."
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