Es ist nicht vorbei

Von Silke Lahmann-Lammert · 09.11.2011
Um ins Frauengefängnis Hoheneck zu kommen, bedurfte es keines schweren Deliktes. Das Vergehen mancher Frauen bestand darin, bei den DDR-Behörden mehrfach einen Ausreiseantrag gestellt zu haben. Wie wenig dieser Teil der ostdeutschen Geschichte bisher aufgearbeitet ist, zeigen ein Film und eine Doku, die im Ersten zu sehen sind.
Es ist eine Stimme, ...

"Frau Weber, darf ich fragen, wo Sie Ihre musikalische Ausbildung gemacht haben? In Leipzig."

... eine freundliche Männerstimme, die Carola Weber die Schrecken der Vergangenheit zurückbringt.

"Ich komme auch aus der Gegend. Aus Chemnitz."

Die Stimme gehört Dr. Limberg. Einem renommierten Psychiater, den Carolas Mann, Personalchef eines Koblenzer Klinikums, vor kurzem eingestellt hat. Zum Dank sind die beiden nun zu einem Abendessen in Limbergs frisch bezogener Villa eingeladen. Ein Antrittsbesuch, der schon nach wenigen Minuten endet.

"Lass uns bitte gehen. Es tut mir leid, es geht mir nicht so gut."

Die schweren Jahre in der DDR, ihr Versuch, das Land zu verlassen, die Stasi-Verhöre und die Zeit im Frauengefängnis Hoheneck: All das hat Carola verdrängt. Nun holt die Vergangenheit sie ein: In Wolfgang Limberg meint sie den Arzt zu erkennen, der ihr 1988 im Knast Protazin gespritzt hat.

"Du weißt, was Protazin macht? Große schwarze Löcher im Kopf. Du kannst kaum noch laufen, siehst alles verschwommen."

In diesem Zustand habe Limberg sie für arbeitsfähig erklärt. Vollgepumpt mit Psychopharmaka an der Kreissäge kam es zu einem Unfall, bei dem Carola zwei Finger verlor. Das Ende ihrer Karriere als Pianistin.

"Frau Weber, es tut mir leid, was Ihnen da offenbar passiert ist. Aber ich hab damit wirklich nichts zu tun."

Limberg streitet die Beschuldigungen ab. Er habe nie als Arzt in Hoheneck gearbeitet. Und damit beginnt ein perfides Spiel: Während Carola sich müht, Beweise zu finden, drängt der Mediziner sie in die Rolle der psychisch gestörten Ehefrau, die wegen ihrer Wahnvorstellungen dringend behandelt werden sollte:

"Sie glaubt Sie an Ihrer Stimme erkannt zu haben. An meiner Stimme? Das ist aber nicht ihr Ernst? Ich glaube, Ihre Frau hat wirklich ernsthafte Probleme!"

Kirsten Derfler, die das Drehbuch zum Film geschrieben hat und auch die Autorin der anschließenden Dokumentation ist, kennt viele politisch Gefangene aus Hoheneck, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben:

"Dieses Rumwühlen in der Vergangenheit wird als etwas absolut Störendes wahrgenommen. Und man will das nicht mehr! Und teilweise spaltet das auch Familien. Also Frauen, die anfangen, das jetzt zu machen, die haben teilweise massive Gegenwehr von ihren Ehemännern, von ihren Kindern, die sagen, nee, jetzt lass das mal."

Die mangelnde Bereitschaft, ihnen zuzuhören, ist einer der Gründe, warum viele frühere Inhaftierte nie über ihre Zeit im Frauenknast gesprochen haben.

"Also ich hab das total, total verdrängt. Das war vorbei. Und ich war so glücklich und froh drüber, dass das abgehakt ist."

Erinnert sich Helga Riede, eine der Zeitzeuginnen, die in der Doku zu Wort kommen:

"Ich hab nicht gewusst, dass mich das irgendwann so einholt. Mit Albträumen und mit Angst, Misstrauen. Also ich hab mich ja jetzt dazu bereit gefunden, dass ich jedes Jahr einmal nach Hoheneck fahre. Das erste Mal war ein wahnsinniger Schock, dass man das alles wiedergesehen hat, die Räume, die Zellen, und dass alles wiederkam. Aber es kommt jedes Jahr noch was Neues dazu. Aber ich brauche das, weil es wird besser. Ich kann darüber sprechen, ohne dass mir gleich wieder die Tränen kommen und diese entwürdigenden Situationen, die man dort erlebt hat."

Nach der Pressevorführung des Films mit Anja Kling und Ulrich Noethen in den Hauptrollen war Helga Riede so bewegt, dass ihr die Worte fehlten. Später sagte sie, das Psychodrama stelle ihre Qualen, ihre Scham und Wut absolut authentisch dar. Hauptdarstellerin Anja Kling freute sich über das Kompliment und betonte:

"Dass dieses Trauma, was man da erfahren hat und diese Zeit, die man da durchlebt hat, dass das ein Leben lang bleibt, dass das nicht weggeht. Egal wie man damit umgeht. Dass die Täter, die es ja heute durchaus unter uns gibt, oftmals völlig unerkannt, diesen Frauen ein lebenslanges Leid angetan haben."


Links bei dradio.de

Traumatische Erlebnisse - Ein Gespräch mit der Drehbuchautorin Kristin Derfler
Stasi-Unterlagen-Gesetz oft nicht im Sinne der Opfer
Gefängnis statt Aufbruch
Die Kraft des Erinnerns - Leben in der DDR und danach

Mehr Infos im Web:

ARD-Homepage zum Film "Es ist nicht vorbei"
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