"Es ist höchste Zeit, hier alles in Ordnung zu bringen"

Moderation: Birgit Kolkmann · 14.02.2008
Edith von Welser-Ude, Mitglied im deutschen UNICEF-Komitee, plädiert für einen Neuanfang bei der deutschen Sektion des Kinderhilfswerks. Sie forderte eine rasche Beseitigung der Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsführung. Das Misstrauen erstrecke sich in der Öffentlichkeit nun auch auf andere Organisationen.
Birgit Kolkmann: UNICEF Deutschland hat derzeit zweierlei im Überfluss, Beschwerden und Kündigungen. Die Spender laufen dem Kinderhilfswerk in Scharen weg, seit die deutsche Sektion des UN-Hilfswerks ihre Vorstandsquerelen nicht in den Griff bekommt. Noch sind Unregelmäßigkeiten bei Beraterverträgen und verbuchten Großspenden nicht bewiesen, aber die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt. Die Vorstandsvorsitzende Heide Simonis gab auf, aber der alte Geschäftsführer ist kommissarisch im Amt und versucht offenbar, dies auch zu bleiben. Krisenstimmung also beim Spendensammler. Gestern war Vorstandsitzung in Köln. Wir sind jetzt verbunden mit Edith von Welser-Ude, die Mitglied im UNICEF-Komitee ist. Schönen guten Morgen!

Edith von Welser-Ude: Guten Morgen!

Kolkmann: Befürchten Sie, dass die alten Leute über die Hintertür wieder ans Ruder von UNICEF kommen, oder gibt es jetzt einen Neuanfang?

von Welser-Ude: Es war lange Zeit zu befürchten, dass sie bleiben wollen und einen Neuanfang möglichst verhindern wollen. Das hatten wir ja erlebt, als Heide Simonis Änderungsvorschläge gebracht hat, die rundweg abgelehnt wurden. Nun scheint sich eine Veränderung anzubahnen, man hat den Rücktritt vom Geschäftsführer bestätigt und will eine Versammlung einberufen, was wir lange gefordert haben, eine Versammlung des Komitees, damit man dort über Veränderungsmaßnahmen beschließen kann.

Kolkmann: Nun sollen bis zu einer Neubesetzung des Geschäftsführerpostens die fünf Bereichsleiter von UNICEF Deutschland die Organisation kommissarisch führen. Heißt das, dass damit ein Ende von Vetternwirtschaft angesetzt ist?

von Welser-Ude: Das wird sich bei dieser Sitzung hoffentlich klären, wer in der Lage ist, das in die Hand zu nehmen und wer auch das Vertrauen inzwischen eingebüßt hat, das kann man so noch nicht sagen.

Kolkmann: Wurde denn Heide Simonis herausgemobbt, weil sie Klarheit wollte oder hat sie selbst Fehler gemacht?

von Welser-Ude: Sie hat von Anfang an versucht, die Dinge zu klären und ist dabei auf heftigsten Widerstand gestoßen. Man hat ihr das übel genommen. Und als sie versucht hat, Verbesserungsvorschläge einzubringen, ist sie auf den Widerstand fast des gesamten Vorstandes gestoßen, dann kann man natürlich nicht weiterarbeiten.

Kolkmann: War das nun Vetternwirtschaft?

von Welser-Ude: Es sieht fast so aus.

Kolkmann: Der Geschäftsführer Garlichs ist ja außerdem Chef der UNICEF-Stiftung, die weit über 80 Millionen Euro zu verwalten hat. Da wurde offenbar, so wurde jetzt bekannt, und die "Frankfurter Rundschau" hat darüber berichtet, eine Tsunami-Spende des Lidl-Konzerns verbucht, die definitiv nicht in die UNICEF-Stiftung sollte, sondern direkt den Opfern des Tsunamis zugute kommen sollte. Wie konnte das geschehen?

von Welser-Ude: Das ist auch etwas, das müssen wir erst mal herausbekommen. Ich habe den Eindruck, wie andere auch, der Geschäftsführer hat viel zu viele Vollmachten. Er konnte schalten und walten, wie er wollte, und niemand hat ihn daran gehindert. Er hat es auch oft gar nicht offengelegt, was er getan hat.

Kolkmann: Müssen also nun neue Kontrollmechanismen her?
von Welser-Ude: Auf jeden Fall.

Kolkmann: Wie stellen Sie sich die vor?

von Welser-Ude: Das sollte man mit einem Fachmann besprechen, wie das üblicherweise zu bewerkstelligen ist. Da gibt es auf einer Seite die Vorschläge von Heide Simonis, die man ja auch wieder aufgreifen kann. Auf jeden Fall muss der Geschäftsführer selber anderen Rechnung legen, Rechenschaft ablegen und darf nicht eigenmächtig Verträge unterschreiben oder sogar so auf Gutsherrenart einfach mündlich vergeben.

Kolkmann: Sie sprechen von Gutsherrenart. Bislang galt ja das UN-Hilfswerk als seriös, und wenn jemand als seriös angesehen wird, dann kann der auch gut Spenden sammeln. Ist der Schaden, der nun angerichtet ist, immens, also Prominente, die für UNICEF stehen wollen, nicht mehr mitmachen, und die Spender laufen auch davon und kündigen?

von Welser-Ude: Ich kann immer noch nicht verstehen, warum der Vorstand bis zuletzt auch schriftlich immer wieder gesagt hat, es ist kein Schaden entstanden. Da kann man wirklich nur noch mit dem Kopf schütteln. Es ist ganz, ganz höchste Zeit, hier sofort alles in Ordnung zu bringen. Es gibt viele Spender, die zurückgetreten sind, das stimmt. Es gibt Helfer, die ganz verzweifelt waren, aber das sind alles Leute, die UNICEF trotzdem für ein unglaublich wichtiges Hilfswerk halten. Es ist eines der wichtigsten auf dieser Erde, und deshalb wollen wir auch, dass es bald wieder so auf die Beine kommt, dass die Menschen wieder Vertrauen haben können.

Kolkmann: Sie schildern einen immensen Schaden. Was haben Sie in Ihrem persönlichen Umfeld, in Ihrer Kenntnis der Menschen, die für UNICEF auch immer standen und gespendet haben, erlebt an Reaktionen?

von Welser-Ude: Die Menschen, die gearbeitet haben für UNICEF, vor allem um die Weihnachtszeit, wo ja auch die Spendenfreudigkeit eigentlich besonders groß ist, haben furchtbar darunter gelitten, dass sie diese ganzen Anschuldigungen sich anhören mussten, ohne dass sie eine Antwort geben konnten, von der sie selber überzeugt waren.

Kolkmann: Glauben Sie, dass auch der Schaden für alle Organisationen, die sich über Spenden finanzieren, nun sehr groß ist, dass UNICEF noch andere mit in diesen Strudel hineinzieht?

von Welser-Ude: Das Misstrauen erstreckt sich natürlich auch auf andere Organisationen, das ist ganz klar.

Kolkmann: Mit furchtbaren Folgen für die Menschen, die auf die Hilfe angewiesen sind?

von Welser-Ude: Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass sich das sehr, sehr bald wieder einrenkt. Ich rate den Leuten, die jetzt ihre Spenden nicht mehr überweisen wollen, einfach ein bisschen abzuwarten, sie zu parken und dann doch wieder zu geben, wenn man sieht, der Neuanfang ist glaubwürdig und solide.

Kolkmann: Wann wird das möglicherweise sein? Wie schnell wird es nun gehen mit einer Mitgliederversammlung bei UNICEF?

von Welser-Ude: Angeblich sollte die sofort einberufen worden sein, das heißt, die müsste spätestens in vier Wochen tagen. Dann braucht man natürlich einen neuen Geschäftsführer oder eine neue Geschäftsführerin. Man muss im Vorstand sehen, wer überhaupt noch das Vertrauen des Komitees genießt. Auch da ist ja eine ganze Menge an Schaden entstanden, nicht nur durch den Vorsitzenden, sondern durch alle, die das mitgetragen haben. Darüber wird man auch ganz schnell reden müssen.

Kolkmann: Vielen Dank! Das war Edith von Welser-Ude, sie ist Mitglied im UNICEF-Komitee, zu den Personalquerelen im Vorstand.