"Es ist ein dreifacher Skandal"

Micha Brumlik im Gespräch mit Ulrike Timm · 15.05.2009
Bei dem jüdischen Intellektuellen Micha Brumlik ist die Aberkennung des hessischen Kulturpreises für Navid Kermani auf großes Unverständnis gestoßen. Den beiden Kirchenvetretern, deren Kritik die Aberkennung ausgelöst hatte, warf er vor, sie verhielten sich wie Fundamentalisten.
Timm: Die hessische Landesregierung dachte, sie habe für ihren diesjährigen Kulturpreis eine richtig gute Idee: Wir stiften ihn dem Gedanken der Toleranz zwischen den Religionen. Heraus kam fast ein Glaubenskrieg. Der muslimische Aspirant wollte nicht mit dem jüdischen gemeinsam ausgezeichnet werden, aber nach dem mit dem deutsch-iranischen Autor Navid Kermani ein anderer muslimischer Kandidat gefunden war, schien die Runde komplett. Kardinal Lehmann für die Katholiken, Peter Steinacker, langjähriger Kirchenpräsident der evangelischen Kirche, Salomon Korn als Vizepräsident des Zentralrats als jüdischer Vertreter und eben der muslimische Intellektuelle Navid Kermani sollten gemeinsam für die Toleranz stehen und hessische Kulturpreis-Träger werden.

Dann schrieb Navid Kermani in einem Essay über ein Gemälde, das ihn tief beeindruckte, seine Gedanken zum christlichen Kreuz auf. Er tat das sehr differenziert, kam aber zu dem Ergebnis, dass er das Kreuz für sich ablehne – wegen des barbarischen Schmerzes, den es symbolisiere. Auch das Wort Gotteslästerung fiel. Kermani schrieb lang und differenziert, ich habe das jetzt sehr kurz und knapp zusammengefasst. Aber: Wegen dieser Sicht der Dinge wollen jetzt die beiden Christen – erst Kardinal Lehmann und dann auch Peter Steinacker – nicht mehr zusammen mit Kermani ausgezeichnet werden.

Und deshalb wird Kermani der Preis jetzt vorab wieder aberkannt. Wenn Sie da jetzt ins Schleudern kommen, kann ich das gut verstehen. Und wir wollen gemeinsam mit dem Erziehungswissenschaftler und jüdischen Intellektuellen Micha Brumlik jetzt auch nicht alle Einzelheiten des Wer-gegen-Wen noch einmal aufdröseln, sondern vor allem über die Folgen sprechen, die Folgen für den Dialog der Religionen. Schönen guten Tag, Herr Brumlik!

Micha Brumlik: Guten Tag!

Timm: Was haben Sie gedacht, als Sie von der neuen Konstellation erfuhren – zwei Christen, ein Jude, kein Moslem?

Brumlik: Ich war beispiellos empört, es ist ein Skandal. Ein dreifacher Skandal. Erstens, dass die christlichen Preisträger Steinacker und Lehmann sich geweigert haben, diesen Preis gemeinsam mit Kermani anzunehmen. Zweitens ist es ein politischer Skandal, dass das Land Hessen, der Ministerpräsident und das Kuratorium eine bewusst getroffene Entscheidung auf die schäbigste Art und Weise zurückgenommen hat. Und es ist ein kleiner Skandal, dass der zweite nichtchristliche Preisträger, nämlich Herr Korn, sich in dieser Situation nicht mit Herrn Kermani solidarisiert hat.

Timm: Lassen Sie uns die drei Facetten aufdröseln, aber nacheinander. Ausgelöst hat den Eklat ein Brief von Kardinal Lehmann, und wir hätten alle sehr gerne gewusst, was genau denn da drin steht und haben wirklich alles in Bewegung gesetzt, dass uns das jemand sagt, entweder Herr Lehmann selbst oder jemand von der hessischen Landesregierung. Niemand sagt etwas. Da muss ich die Frage an Sie also umdrehen: Wie bewerten Sie denn, dass die Öffentlichkeit anscheinend nicht erfahren soll, was genau die Ursache des Wirbels ist?

Brumlik: Das ist ein absolut undemokratisches Verfahren. Aber nach alledem, was doch durchgedrungen ist, fühlten sich Lehmann und Steinacker dadurch beleidigt, dass Kermani als Moslem, der er ist, erklärt, warum er das Kreuz und damit auch das Christentum nicht akzeptieren kann. Und das ist systematisch deswegen so merkwürdig, weil ja zu einer versöhnten Verschiedenheit dazu gehört, dass Menschen die Gründe äußern müssen oder dürfen, warum sie denn nicht den christlichen Glauben annehmen. Nichts anderes hat Navid Kermani in äußerst abgewogenen und respektvollen Worten getan.

Timm: Mein spontaner Gedanke war, eigentlich ist das auch überhaupt nicht erstaunlich, dass ein Muslim mit der Kreuzigung nicht so viel anfangen kann, sonst wäre er Christ.

Brumlik: Völlig richtig. Und wir wissen aus der Religionsgeschichte, dass die christliche Trinität und die Kreuzestheologie eine Ursache dafür waren, dass der Islam überhaupt entstanden ist im sechsten, siebten Jahrhundert.

Timm: Die hessische Landesregierung wollte den Dialog fördern und macht jetzt Zerwürfnisse sichtbar. Was sagt uns das? Es gibt jede Menge Toleranz, es sei denn, sie muss sich beweisen?

Brumlik: Es sei denn, sie muss sich beweisen, und es sei denn, sie muss sich auch in Wahlkampfzeiten einem kirchennahen Publikum stellen bzw. sich ihm nicht stellen. Ich kann gar nicht anders als diesen Rückzug der hessischen Landesregierung, die immerhin auch eine Regierung ist, die von Liberalen mit gestellt wird, in gewisser Weise auch auf die Ereignisse in Berlin bei der Auseinandersetzung um Pro Reli reagieren. Man bekommt doch den Eindruck, dass diese beiden großen Kirchen mit jeweils ungefähr 25 Millionen Mitgliedern sich irgendwie in der Defensive und in Panik befinden.

Timm: Wobei sich Herr Steinacker in unserem Programm geäußert hat, ganz offensiv. Er hat eben gesagt, das würde ihn verletzen, dass das Wort Gotteslästerung in dem Essay vorkommt, was stimmt. Eines von vielen tausend Worten, mit denen Kermani seine Befindlichkeit gegenüber dem Kreuz, wie alle meinen, eigentlich sehr respektvoll beschreibt. Die Frage ist eigentlich, ein Brief, der das ausgelöst hat, kommt nicht an die Öffentlichkeit.

Brumlik: Der muss an die Öffentlichkeit. Aber mich erinnert das Ganze daran, wie mannhaft alle Kirchen und Liberalen vor einigen Jahren, als es diesen Streit um die Moslemkarikaturen in Dänemark gegeben hat, wie mannhaft man da hinter der Presse und Meinungsfreiheit gestanden hat. Und jetzt, bei etwas, was von der Sache her sehr viel respektvoller und vorsichtiger ist als diese Mohammed-Karikaturen, ja, verhalten sich nun Kirchenfürsten, muss man sagen, wie Fundamentalisten. Anders kann man das leider nicht bezeichnen.

Timm: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Micha Brumlik über den Skandal um den hessischen Kulturpreis, der nicht als Beispiel für religiöse Toleranz vergeben werden kann. Herr Brumlik, es ist letztlich auch demokratisch ein merkwürdiger Prozess, egal, wie man drüber denkt, denn de facto bestimmen ja die Preisträger übereinander und nicht die Auslober des Preises. Wie steht denn die hessische Landesregierung jetzt da?

Brumlik: Die steht blamiert da, und ich erwarte von den Oppositionsparteien im Hessischen Landtag, dass sie auf einer der nächsten Sitzungen diesen Vorgang aufklären und die Landesregierung auffordern, den Briefverkehr des Kuratoriums bzw. von Kardinal Lehmann mit dem Ministerpräsidenten, weil es hier nicht um schutzwürdige private, sondern um schutzwürdige öffentliche Interessen geht, auffordert, diesen Briefwechsel zu veröffentlichen.

Timm: Die hessische Landesregierung erklärt den interreligiösen Kulturpreis erst mal für gescheitert. Das Drama sei ein Spiegel der Gesellschaft, sagt Pressesprecher Dirk Metz heute Morgen. Ist das so oder ist die Gesellschaft vielfach weiter als ihre intellektuellen Glaubensvertreter?

Brumlik: Das kann ich nicht sagen, aber ich würde von einer demokratisch gewählten Regierung und einer von ihr mitbestimmten Jury, einem Kuratorium erwarten, dass sie sich nicht vom außerparlamentarischen Druck kirchlicher Vertreter erpressen lassen.

Timm: Gestehen wir der hessischen Landesregierung auch ein bisschen Hilflosigkeit zu. Was soll sie jetzt tun? Ein Vorschlag ist, die drei Preisträger sollen mit dem einen abgesägten Preisträger öffentlich diskutieren. Das könnte eine sehr skurrile Veranstaltung werden.

Brumlik: Das könnte erstens sehr skurril werden, und es ist für Herrn Kermani absolut unzumutbar, dass da drei sitzen, die sich im Empfang dieses Preises sonnen dürfen und dass einer, der dann richtiggehend ausgeschlossen worden ist, dann noch mitdiskutieren soll. Es geht hier eindeutig um eine antiislamische Grundstimmung. Und man kann sich ja vorstellen, was passiert wäre, einem jüdischen Vertreter, der hätte über das Kreuz und Jesus sagen und schreiben können, was er wollte, wäre das natürlich nie passiert hierzulande.

Timm: Wobei der jüdische Vertreter der Preisträgerrunde merkwürdig still ist, Salomon Korn. Wundert Sie das?

Brumlik: Also Salomon Korn ist ein hoch achtbarer Vertreter der jüdischen Gemeinde. Er ist ein bedeutender Intellektueller, aber ich finde, dass er in dieser Position falsch gehandelt hat. Er hätte hier ein deutliches Zeichen für Toleranz und Akzeptanz aller Religionen setzen müssen.

Timm: Zwei Christen, ein Jude und kein Muslim werden wahrscheinlich den hessischen Kulturpreis erhalten, und all das im Namen der Toleranz. Ich sprach mit Micha Brumlik, dem Erziehungswissenschaftler an der Universität in Frankfurt am Main. Herzlichen Dank!

Brumlik: Ich bedanke mich!