"Es handelt sich um eine reine NATO-Verteidigungsmaßnahme"

Christian Schmidt im Gespräch mit André Hatting · 20.11.2012
Muss der Bundestag zustimmen, damit deutsche Raketen in der Türkei stationiert werden können? Sollte ein solches Mandat notwendig werden, werde es "selbstverständlich eingeholt", sagt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Christian Schmidt.
André Hatting: 900 Kilometer lang ist die Grenze zwischen der Türkei und Syrien. Immer wieder geraten türkische Dörfer entlang dieser Grenze unter Beschuss von syrischer Seite, Folge des Bürgerkriegs im Nachbarland. Die Rebellen dürfen die Türkei als Rückzugsgebiet nutzen. Bislang war Ankara sehr zurückhaltend, was Vergeltungen angeht, aber am Mittwoch hat der türkische Verteidigungsminister neue militärische Einsatzregeln ausgegeben. Dazu gehört auch die militärische Verstärkung durch Abwehrraketen.

Die besten und modernsten besitzen nur drei Mitglieder der NATO, die USA, die Niederlande und die Bundesrepublik. Wann immer es um Auslandseinsätze der Bundeswehr geht, ist dafür das Mandat des Bundestags nötig. Aber sind Patriot-Raketen schon ein Auslandseinsatz, weil deutsche Soldaten mit müssen, die die Waffen dann bedienen?

Erklärstück: Parlamentsbeteiligungsgesetz

Mitgehört hat Christian Schmidt. Er sitzt für die CSU im Bundestag und ist parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Guten Morgen, Herr Schmidt!

Christian Schmidt: Guten Morgen!

Hatting: Brauchen wir das Mandat des Bundestags?

Schmidt: Lassen Sie es mich so sagen: Wenn wir ein Mandat des Bundestages rechtlich brauchen, wird das selbstverständlich eingeholt. Ich muss ganz offen sagen, ich habe sehr geringes Verständnis für diese Diskussion, die im Augenblick stattfindet über Parlamentsbeteiligung, ja oder nein, so als wollte die Regierung sich sozusagen drum herumdrücken. Nein, es wird umgekehrt ein Schuh draus. Es liegt ja bis heute früh noch gar kein Antrag der Türkei vor. Da soll man doch bitte schon mal uns die Möglichkeit geben zu lesen, was da eigentlich drin steht, um das gerade einzupassen.

Aber als jemand, der – Sie haben auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz angesprochen – damals für die Opposition dieses Parlamentsbeteiligungsgesetz mit verhandelt hat im Jahr 2003 und 2004, kann ich Ihnen sagen: Natürlich wissen wir, dass die Notwendigkeit besteht, im Zweifel auch den Bundestag mit zu befassen. Das hat das Verfassungsgericht übrigens in ein Urteil hineingeschrieben, weil Rot-Grün gerade nicht das Parlament beteiligt hatte 2003. Ich will es nicht im Detail sagen, die Insider kennen das. Also, es besteht überhaupt kein Anlass für Aufgeregtheiten. Selbstverständlich will die Bundesregierung dann, wenn es sich um einen solchen definierten Einsatz handelt oder um eine Zweifelssituation, den Bundestag befassen.

Hatting: Ja, damals ging es um den Irak-Krieg, den Sie da gerade angesprochen haben. Herr Schmidt, sind …

Schmidt: Da ging es um Awacs über der Türkei, ja.

Hatting: Genau. Sind wir denn im Zweifel?

Schmidt: Ich darf jetzt wieder doch noch mal sagen: Wir wissen ja noch gar nicht, was von uns verlangt wird. Wir können es ungefähr erahnen und das Verfassungsgericht hat in der Auslegung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes auch gesagt, dass, wenn der Einsatz eine Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen erwarten lässt, dass dann … Also, hier handelt es sich, soweit wir es uns vorstellen können, um eine ziemliche … - um eine reine NATO-Verteidigungsmaßnahme.

Trotzdem meine ich, dass natürlich ja aufgrund von Überschwappen, also dem einen oder anderen Übergriff durch Flugzeuge oder durch Beschuss, in der Türkei halt da die Sorge wächst, dass daraus irgendwas entsteht. Wir haben keine Lage, die sagt, die Türkei würde einbezogen in den Bürgerkrieg in Syrien, überhaupt nicht. Trotzdem glaube ich, dass wir einen gewissen … - eine Möglichkeit besteht, dass so etwas entstehen könnte theoretisch, und deswegen werden wir sicherlich gut daran tun, dass wir den Bundestag auch aktiv mit der Frage befassen, welches Mandat von uns eingeleitet wird. Also, ich habe da großes Vertrauen in Bundesregierung und Parlament, und ehrlich gesagt, ein Stück Aufgeregtheit weniger tut der Sache nicht schlecht.

Hatting: Auch deswegen, das haben Sie, Herr Schmidt, jetzt mehrfach deutlich gemacht, weil ja eine offizielle seitens der Türkei noch gar nicht vorliegt. Finden Sie es voreilig, dass sowohl der NATO-Generalsekretär als auch der Bundesverteidigungsminister schon gesagt hat, ja, wir stünden bereit?

Schmidt: Der Bundesverteidigungsminister hat gesagt, das ist eine solidarische Prüfung, solidarisch, das heißt im Sinne der NATO. Wir sind in einem gemeinsamen Bündnis. Und ob nun Bedrohung oder Bedrohungsgefühl in Italien, in Großbritannien, in Deutschland oder Türkei, es macht keinen Unterschied. Und das ist der Fall, von dem Geiste aus gehen wir an die Frage heran. Und nachdem das, was wohl gefordert werden könnte, nämlich Luftabwehrraketen, es nur wenige Länder in der NATO gibt, die über eine solche Fähigkeit verfügen, müssen wir uns schon drauf vorbereiten, dass wir dann auch solidarisch sind. Es sind übrigens neben uns, sind das die Niederländer und die Amerikaner, die im Kern solche Fähigkeiten haben.

Hatting: Würden Sie es begrüßen, wenn statt Deutschland die Niederlande oder die USA einspringen würden?

Schmidt: Ich habe den Eindruck, dass sich alle beteiligten Nationen in der NATO oder alle fähigen Nationen, dass die sich abstimmen sollten. Und das kann ich allerdings berichten, dass das in der Tat gegenwärtig stattfindet.

Hatting: Es ist auffällig, dass die Türkei Patriot-Abwehrraketen möglicherweise anfordert, obwohl es ja bislang um Granatbeschuss von syrischer Seite geht und nicht etwa um Luftangriffe von Flugzeugen. Das klingt ein wenig danach, als ob die Türkei quasi durch die Hintertür doch so etwas wie eine Luftraumüberwachung durchsetzen möchte.

Schmidt: Also, gegen Granaten helfen Patriot-Raketen natürlich nicht. Aber wir … Ich darf daran erinnern, dass ein türkisches Flugzeug ja nun ab… ich sage mal, abgestürzt ist unregulär und dass da schon Befürchtungen nachvollziehbar sind.

Eines ist aber ganz klar: Über was wir hier reden, ist eine NATO im Rahmen der NATO-Verteidigung übrigens von Strukturen und Planungen, die sowieso ja immer bestehen, zu treffende Entscheidung innerhalb des Territoriums der NATO. Nicht über eine Frage einer sogenannten Flugverbotszone etwa über Syrien, das können Sie übrigens auch mit Patriot alleine jedenfalls deutlich nicht herstellen. Und insofern muss schon klar unterschieden werden: Wenn solch eine Flugverbotszone, die ich überhaupt nicht in Erwägung sehe, stattfinden sollte, bedürfte es eines Sicherheitsratsmandats der Vereinten Nationen. Und dann müsste man neu regeln … Wenn ich im Übrigen zu Ihrem Antextbeitrag noch sagen darf: Also, wenn NATO-Gerätschaften dort stationiert sind, werden die nicht dem nationalen türkischen Kommando unterstellt.

Hatting: Sondern bleiben bei der NATO.

Schmidt: Ja.

Hatting: Christian Schmidt, CSU-Mitglied des Bundestags und parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Schmidt!

Schmidt: Gerne, nichts zu danken!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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