"Es gibt viele Unterschiede"

Moderation: Ralf Müller-Schmid · 04.07.2008
Karin Amunts, Professorin für Medizin an der Technischen Hochschule in Aachen, hat auf die Bedeutung des unterschiedlichen Aufbaus von Frauen- und Männerhirnen hingewiesen. Die Wissenschaftlerin machte darauf aufmerksam, dass bestimmte neurologische oder psychiatrische Erkrankungen Männer und Frauen unterschiedlich betreffen.
Frauengehirne sind kleiner und leichter als die von Männern, das ist schon lange bekannt. Aber sagen diese Größenunterschiede auch etwas aus über unterschiedliche Fähigkeiten und Begabungen? Das wollen wir heute in unserer Reihe, wie wir denken, was wir fühlen, besprechen mit der Hirnforscherin Karin Amunts vom Forschungszentrum Jülich. Sie hat Gehirne auf eben diese geschlechtsspezifischen Unterschiede untersucht.

Die Frau, die das Gehirn da in so dünne Scheibchen schneidet, das ist Karin Amunts, sie ist Professorin für Medizin an der Technischen Hochschule in Aachen, und sie arbeitet am Forschungszentrum Jülich. Unser Wissenschaftsredakteur Ralf Müller-Schmid hat mir Karin Amunts gesprochen und sie gefragt, wenn man das Gehirn so durchforscht wie Sie, worauf stößt man dann? Haben die verschiedenen Funktionen verschiedene Strukturen, verschiedene Beschaffenheiten?

Karin Amunts: Ja, wir finden durchaus, dass die Areale, die wir aufgrund von Strukturunterschieden im Gehirn differenzieren können, dass die auch verschiedene Funktionen haben. Leider ist das jetzt nicht so einfach, dass bestimmte komplexe Funktionen wie Sprache oder wie soziales Verhalten genau an ein Areal gegliedert sind, sondern es ist schon so, dass für solche gerade typisch menschlichen höheren, komplexen Funktionen meistens viele Areale gebraucht werden. Und wir suchen zu verstehen, wie diese vielen verschiedenen Areale eben eingebaut werden, um so etwas wie Sprache zu ermöglichen.

Ralf Müller-Schmid: Wie sieht das denn aus, was Sie unter dem Mikroskop sehen?

Amunts: Man muss sich vorstellen, dass man viele kleine dreieckige pyramidenförmige Zellen sieht, und die sind eben nicht zufällig verteilt im Gehirn, sondern die formen gerade in den obersten drei Millimetern des Gehirns feine Schichten. Es gibt da sechs verschiedene Schichten, und die Zellen liegen jetzt in diesen Schichten mit einer verschiedenen Packungsdichte, oder die sind unterschiedlich groß, oder die bilden zum Beispiel kleine Gruppen von Zellen. Und das sind jetzt Merkmale, die uns helfen, verschiedene Areale im Gehirn voneinander zu unterscheiden. Und ein Areal, was zum Beispiel Seheindrücke verarbeitet, sieht ganz anders aus von seiner Architektur, also von seinem Schichtenaufbau, wie ein Areal, was wir zum Beispiel dafür brauchen, um die Hände zu bewegen und Klavier zu spielen.

Müller-Schmid: Weiß man, warum das so ist, warum diese unterschiedlichen Strukturen da angelegt sind?

Amunts: Man weiß zumindest einen Teil. Also ein Areal, was Seheindrücke verarbeitet, ist ja eines, was besonders Informationen empfangen muss und dann weiterverarbeitet. Ein Areal, mit dem ich zum Beispiel mich bewegen kann, ist ein Areal, wo besonders die Informationen rausgehen, also ein Output-Areal. Und wir wissen nun schon relativ gut, in welchen Schichten die Zellen liegen, die eben Informationen rausschicken, oder Zellen, die zum Beispiel Informationen bekommen. Also diese Unterschiede in der Verbindung von Arealen, die können wir durchaus auch unter einem Mikroskop sehen. Leider muss ich sagen, dass wir da erst am Anfang sind, und gerade bei diesen höheren, komplexen kognitiven Funktionen wissen wir häufig noch nicht gut, wie jetzt die Zellstruktur, der mikroskopische Bau und die Funktion zusammenhängen.

Müller-Schmid: Nun haben Sie ja einen großen Nachteil. Wenn ein Gehirn zu Ihnen kommt, dann ist es immer schon tot. Wie kann man überhaupt die Brücke schlagen? Also Sie sehen ja im Grunde das Gehirn nie in Funktion, sondern leblos vor sich. Können Sie da überhaupt genaue Zuordnungen treffen?

Amunts: Ja, das ist natürlich viel schwieriger, als wenn man mit Experimentaltieren arbeitet. Aber wir haben den folgenden Zugang gewählt: Wir untersuchen also Gehirne unter dem Mikroskop von Verstorbenen und haben da eine riesig hohe räumliche Auflösung, kartieren diese Gehirne dann und nehmen dann diese Karten und gehen hin zu funktionell bildgebenden Untersuchungen, wo wir Patienten in einer ganz konkreten experimentellen Situation bitten können, eine Aufgabe zu erfüllen. Dann kommt es zu Aktivierungen im Gehirn, und wir können dann unsere Karten von den Gehirnen der Verstorbenen nehmen um zu lokalisieren, wo ist denn jetzt das Gehirn aktiv. Wir versuchen also, Struktur und Funktion zusammen zu bringen, indem wir also Karten, die wir an Gehirnen Verstorbener gewonnen haben, übereinander legen mit funktionellen Befunden, die wir eben bei Probanden oder bei Patienten bekommen können. Und das hilft uns natürlich, die Funktionen dann besser zu verstehen.

Müller-Schmid: Sie legen im Grunde so aus der Satellitenperspektive eine Landkarte an und gehen dann in die belebte Stadt und gucken, wo die Autos, wo die Verbindungen und wo der Verkehr tatsächlich fließt. Kann man das so sagen?

Amunts: Ja, so kann man sich das gut vorstellen.

Müller-Schmid: Frau Amunts, ein Dauerbrenner der populärwissenschaftlichen Debatte, das sind die Unterschiede zwischen Mann und Frau. Welche Unterschiede gibt es denn zwischen Männer- und Frauenhirnen?

Amunts: Also es gibt viele Unterschiede überhaupt zwischen Gehirnen. Also Gehirne unterscheiden sich genauso stark, wie wir uns in Größe, Gesicht und Körperbau unterscheiden. Und da gibt es eben auch immer wieder Befunde, die zeigen, dass Männergehirne etwas anders aufgebaut sind als Frauengehirne. Das betrifft zum Beispiel die Hirnregionen, die für Bewegung verantwortlich sind, aber das sind zum Beispiel auch Hirnregionen, die für Sehen verantwortlich sind. Und ich denke, dass es wichtig ist, solche Unterschiede zu verstehen und zu kennen, denn wir wissen andererseits, dass bestimmte neurologische oder psychiatrische Erkrankungen Männer und Frauen unterschiedlich betreffen, oder dass Männer und Frauen auch unterschiedlich auf Medikamente reagieren. Um da ein besseres Verständnis zu haben, macht es sicher Sinn, dass man guckt, was sind denn nun die baulichen Unterschiede.

Müller-Schmid: Welche funktionellen Unterschiede knüpfen sich denn an diese baulichen Unterschiede? Kann man vielleicht doch zeigen, dass es Gründe im Hirn gibt dafür, dass Männer besser einparken können als Frauen?

Amunts: Einparken ist nun wieder eine sehr komplizierte Fähigkeit, die also nicht nur davon abhängt, wie das räumlich visuelle Vorstellungsvermögen von Mann und Frau ist, sondern hat natürlich auch etwas mit Bewegung und Bewegungskoordination zu tun und hat vielleicht auch etwas mit Stressverarbeitung zu tun. Vielleicht reagieren Männer und Frauen verschieden, wenn da ein nörgeliger Beifahrer daneben sitzt. Vielleicht macht auch so etwas was aus. Und um da zu abstrahieren, was jetzt die kulturellen, sozialen Unterschiede sind und die ganz klar neurobiologischen, muss man eben wieder sehr konkret gucken. Und wir haben die Sehrinde in Bezug auf Unterschiede zwischen Männern und Frauen deshalb genauer untersucht.

Müller-Schmid: Was konkret haben Sie da gesehen?

Amunts: Wir haben uns verschiedene Areale in der Sehrinde angeguckt, also Areale, die für die Verarbeitung von visueller Information verantwortlich sind. Und eines dieser Areale, das springt genau dann an, wenn wir bewegte Objekte in unseren Gesichtsfeld haben. Es ist also ein bewegungssensitives Areal. Und dieses Areal haben wir gefunden, ist von der Größe her, vom Volumen bei Frauen symmetrischer, also linke und rechte Gehirnhälfte haben etwa das gleiche Volumen dieses Areals, wohingegen es bei Männern so ist, dass die in der rechten Hirnhälfte ein größeres Areal als in der linken Hirnhälfte haben, und dieses Areal ist auch größer als das vergleichbare von Frauen. Und aus diesem Größenunterschied kann man schließen, dass es Unterschiede in der Informationsverarbeitung von solchen bewegten Szenen im menschlichen Gehirn gibt bei Männern und bei Frauen.

Müller-Schmid: Was heißt das konkret, können Männer irgendetwas in Hinblick auf Sehen, auf Bewegungswahrnehmung schlechter oder besser als Frauen?

Amunts: Das ist genau der Punkt. Wir sprechen hier erst über diesen allerersten Schritt, der sagt, Information wird verschieden verarbeitet. Wie sich das dann auf der Verhaltensebene letztlich niederschlägt, das können wir jetzt mit dieser rein anatomischen Untersuchung nicht sagen. Wir können nur sagen, dass offensichtlich bei Frauen die Information zur Verarbeitung von Bewegungsinformation mehr konvergiert, also sich mehr verdichtet, als das bei Männern der Fall ist, und dass die vielleicht mit diesem Areal dann eventuell etwas andere Aufgaben erfüllen, als das gleiche Areal das bei Frauen eben tut. Das muss sich jetzt auf der Verhaltensebene, also auch im täglichen Leben nicht unbedingt auswirken, weil es ja noch ganz viele andere Gehirnareale gibt und letztendlich auch andere Faktoren, die unser Verhalten beeinflussen, nicht nur neurobiologische.

Müller-Schmid: Bleibt man nicht letztendlich dann immer in diesem Widerspruch, den es auch früher mal gab, wenn es darum ging, Frauenhirne sind etwas kleiner, Männerhirne etwas größer, beziehungsweise leichter und schwerer. Da gab es mal so eine politisch korrekte Lesart, die sagte, o.k., kleiner, aber dafür funktionell aufwendiger gestrickt und letztendlich gleichberechtigt. Laufen Sie in diese Falle nicht auch immer hinein, wenn Sie sagen, auf der einen Seite gibt es da einen Teil der ist größer, der andere ist kleiner, über die Funktion wissen wir noch nichts genaues. Muss man da nicht sehr vorsichtig sein?

Amunts: Ja, ich denke schon, man muss sehr vorsichtig sein. Und man muss natürlich dann gucken, was gibt es denn für funktionelle Befunde. Und wenn wir da schauen, finden wir in der Tat, dass also Gehirne von Frauen bei funktionellen Kernspinuntersuchungen, dass die zum Beispiel symmetrischer aktivieren, als das Männergehirne tun. Und diese anatomischen Unterschiede, die wir gefunden haben, die sind zumindest ein Hinweis, ja wirklich, das kann neurobiologische Ursachen haben. Man wird immer dann in einer Sackgasse sich wiederfinden, wenn man einfach nur sagt, große Hirne sind besser oder kleiner Hirne sind cleverer. Das ist auf so einer allgemeinen Ebene, da hat das keinen Zweck.

Müller-Schmid: Nun haben Sie natürlich auch diese Frage ganz geschickt umschifft, was können denn Frauen und Männer im Alltag unterschiedliches. Also wenn man dann sagt, na ja, auf den bildgebenden Verfahren, da sehen wir unterschiedliche Aktivierungen von Hirnregionen, dann ist man immer noch nicht bei der Frage, wer parkt jetzt besser ein oder wer kann besser bewegte Objekte wahrnehmen.

Amunts: Ja, das ist richtig. Aber wir sehen ja durchaus auch, wenn wir statistisch überprüfte experimentelle Untersuchungen machen, dass es eben Unterschiede im Verhalten von Männern und Frauen gibt. Also wir wissen ja, dass Mädchen zum Beispiel sehr viel früher lernen zu sprechen und dass das bei Jungs etwas später kommt, dass es umgekehrt sehr viel mehr Männer und Jungs gibt mit herausragenden mathematischen Fähigkeiten als Frauen. Ich denke, dass es da eben sehr viele ernst zu nehmende Hinweise in der Neurobiologie gibt, und den Beitrag, den ich jetzt erstmal dazu beitragen möchte, ist, dass ich schaue, wie kann man dann das erklären aufgrund des Hirnbaus. Und da haben wir erst die ersten ganz kleinen, vorsichtigen Schritte unternommen.

Müller-Schmid: Wenn man an Unterschiede im Hirnbau denkt, dann liegt natürlich immer die Vermutung nah, dass diese Merkmale und Eigenschaften sozusagen von Geburt an vorbestimmt sind, also in unseren genetischen Informationen festgelegt. Ist in einem solchen Modell denn überhaupt Platz für erworbene Eigenschaften, also durch Erziehung zum Beispiel? Weil wenn Sie zum Beispiel den unterschiedlichen Spracherwerb bei Jungs und Mädchen ansprechen, dann kann man sich ja vorstellen, dass da das soziale Umfeld riesigen Einfluss hat.

Amunts: Ja, unbedingt gibt es da Spielraum. Unsere Genetik gibt uns bestimmte Rahmenbedingungen vor, nicht jeder wird 100-Meter-Olympiasieger werden, egal wie gut und ordentlich er auch trainiert. Das sind sicherlich feste genetische Rahmenbedingungen. Andererseits haben wir schon die Möglichkeit durch Erziehung, durch Training, durch unser Verhalten das Gehirn auch einen Schritt weit mit zu verändern. Das Gehirn ist ein sehr dynamisches System. Es ist nicht einfach ein fest verdrahteter Computer, den man einmal geschenkt bekommen hat und dann muss man damit klar kommen. Und wir haben gerade in unseren Untersuchungen an Musikern zum Beispiel zeigen können, dass die Veränderungen in den Bereichen, die Handmotorik kontrollieren bei Klavierspielern, dass die bei Musikern offensichtlich umso stärker verändert sind, je früher die angefangen haben eben vierhändig Klavier zu spielen. Und das deutet schon darauf hin, dass das eben nicht nur die Genetik ist, sondern das Wechselspiel zwischen Genetik und Umwelteinfluss, was letztendlich auch unser Gehirn ein Stück weit beeinflusst.

Meyer: Karin Amunts vom Forschungszentrum Jülich im Gespräch mit unserem Wissenschaftsredakteur Ralf Müller-Schmid in unserer Reihe, wie wir denken, was wir fühlen.