"Es gibt sehr viel faulen Pessimismus"

Matthias Horx im Gespräch mit Katrin Heise · 07.12.2009
Der Zukunftsforscher Matthias Horx vermutet, dass die Amerikaner die Deutschen im Umweltschutz letztlich überholen werden. Während die US-Bürger dem Klimawandel pragmatisch begegneten, werde in Deutschland Weltuntergangsstimmung erzeugt. "Es ist ja auch sehr bequem, dann hat man keine Verantwortung."
Katrin Heise: Wir blicken eher skeptisch in die Zukunft angesichts von Klimawandel, Finanzkrise und Hunger in der Welt. Zu Unrecht meint der Zukunftsforscher Matthias Horx. Die Zukunft muss gestaltet werden, nicht erlitten. Aber gerade die Deutschen neigten seiner Meinung nach zu apokalyptischen Zukunftsvisionen und verharren deshalb in einer gewissen Angststarre. Im Gegensatz etwa zu den Amerikanern, die werden uns, so glaubt er, auch in Sachen Umweltschutz bald überflügeln. Matthias Horx, schön, dass Sie mein Gast sind. Schönen guten Tag!

Matthias Horx: Hallo!

Heise: Blicken wir mal in die nahe Zukunft, nach Kopenhagen. Wie wird da unsere Zukunft gestaltet werden? Glauben Sie, dass auf der Klimakonferenz was rauskommt?

Horx: Ich bin kein Prophet, ich bin Zukunftsforscher, das ist ein bisschen was anderes. Wie letzten Endes da die verschiedenen Handelformen laufen werden, das kann man wahrscheinlich heute nicht vorbestimmen, aber es wird ein Abkommen dabei herauskommen, und es ist die erste große Konferenz, wo im Grunde genommen alle Länder auch wissen, dass das Problem eklatant ist und dass man sich darum kümmern muss. Und es wird wie immer ein großes Hauen und Stechen geben, wie in Europa zum Beispiel sagt man immer, die Europäer werden sich nie einigen, am Ende einigen sie sich doch. Wir leben in einer globalen Welt, und mittel- und langfristig werden wir immer mehr zur Zusammenarbeit gezwungen, und dann werden wir das auch tun.

Heise: Und jetzt sind die Amerikaner auch mit am Tisch, was man ja erst so gar nicht erwartete, das Hauen und Stechen wird wahrscheinlich deshalb aber noch schärfer werden, auch die Chinesen, da da die Klimaziele noch etwas anders gesteckt sind. Sie rechnen sehr mit den Amerikanern, trotz dieser bisher wenig ambitionierten Ziele, die mussten ja bisher doch eher zum Jagen getragen werden. Warum rechnen Sie so sehr mit den Amerikanern?

Horx: Also ich glaube einfach, dass wir die amerikanische Gesellschaft und Kultur immer unterschätzen. Es gibt ja so einen auch latenten Antiamerikanismus in Deutschland, der letzten Endes von auch ein bisschen Verachtung geprägt ist, und wir wissen aber, dass die Amerikaner immer auch sehr innovationsfreudig sind. Und wenn Sie sich heute anschauen, welche ungeheuren Mengen von Geld in die neuen grünen Technologien fließen, in Deutschland können Sie immer noch kein Elektroauto kaufen. Also ich baue gerade ein Zukunftshaus und versuche dafür ein Plug-in, also ein Elektroauto zu bekommen, das man auch über die Steckdose aufladen kann – gibt es nicht. Die Amerikaner haben schon mehrere tolle Elektroautos fahren, die erst mal Sportwagen sind – natürlich sind die alle ein bisschen größenwahnsinnig und verrückt. In Kalifornien ab nächstem Jahr muss jedes zehnte Auto "zero emission" haben. Also das sind einfach, wenn es dann kommt, nach einer langen Zeit, wo man das natürlich auch negiert hat und nicht wahrgenommen hat, dann geht das doch relativ schnell.

Heise: Was könnte das auslösen, also wenn man dann tatsächlich sich vielleicht anstecken lässt doch von dieser Innovationsfreude?

Horx: Also grundsätzlich muss man sich wahrscheinlich ein bisschen in die ganze Frage von Klimawandel und kulturellem Wandel hineinbegeben, um das beurteilen zu können. Das Problem ist, dass wir im Hintergrund der Klimadebatte religiöse Schwingungen haben, also da geht es auch ganz stark um Schuld, um Apokalypse, um Weltuntergang und all diese Fragen. Und was wahrscheinlich dem Wandel hin zu neuen Technologien in der Energieerzeugung am besten hilft, ist auch eine gewisse Unbekümmertheit, auch eine gewisse, ja, Dreistigkeit, wie die Amerikaner es eben haben …

Heise: Fällt allerdings sehr schwer …

Horx: Wir machen das jetzt, und es ist hip und es ist sexy, wir erfinden neue Technologien, es ist einfach … Also es gibt diese wunderbare Szene, ich glaube es war Gene Paltrow oder eine von den Filmstars, die vor fünf Jahren vorfuhr bei der Oscar-Verleihung mit ihrem Prius. Das war damals ganz neu das Ding. Und dann hat so ein großer, schwerer Leibwächter gesagt: Oh, Lady, that’s not a car. You’re not allowed to get in here. Und sie hat gesagt, "Oh yes, it is!" und ist durchgebraust. Und diese Szene war dann irgendwie, trat dann eben eine riesige Welle los, wo alle Filmstars sich Priuse gekauft haben. Man kann das alles als Greenwashing bezeichnen, aber ich glaube, es ist eben mehr. Es erzählt auch etwas von der Wandlungsfähigkeit einer Gesellschaft, und darum geht es mir ja in meinem neuen Buch.

Heise: Aber ist denn tatsächlich die Gesellschaft dabei sich zu wandeln oder ist es eine Schicht weit oben?

Horx: Nein, es ist immer so, dass bestimmte Role Models damit anfangen. Also wenn – das können wir ja heute in Deutschland sehen – wenn die ersten Regierungskarossen umgestellt werden auf Elektro oder Hybrid, das werden wir noch bald erleben, glaube ich, und wenn berühmte Menschen mit dem Elektrofahrrad herumradeln, dann hat das natürlich Auswirkungen auf die Bevölkerung.

Heise: Sie haben wohl gerade in Deutschland große Enttäuschung erlitten, was jetzt Ihr Elektroauto beispielsweise angeht, aber andererseits haben sich die Deutschen, gerade was den Umweltschutz ja angeht, nicht davon abhalten lassen zu forschen und sind da ja auch relativ weit, also bisher jedenfalls noch führend in der Entwicklung ökologischer Energieerzeugung. Also da kann man, muss man ja eigentlich jetzt auch nicht so tiefstapeln.

Horx: Also es gibt so ein Double Speed, also alle sind grün, alle reden ungeheuer grün, aber ob das dann auch in der Wirklichkeit so ist, ist eine ganz andere Frage. Wir leben in einer Gesinnungs- und Erregungskultur, und da geht es vor allen Dingen darum, die richtige Meinung zu zeigen und noch nicht mal so sehr um Fakten. Und wir wissen natürlich, dass letzten Endes technologische Veränderungen, neue Technologien, die sind immer keine Dinge, wie man das normalerweise denkt, es sind auch keine Erfindungen, sondern das sind neue Verhaltensformen. Und wir sind nicht unbedingt sehr pragmatisch, aber wir möchten doch schon sagen, dass wir sehr überlegen sind gegenüber diesem bösen, Umwelt verschmutzenden Chinesen und Amerikanern, das ist uns sehr wichtig. Es geht hier auch um tiefgreifende mentale Fragestellungen in der ganzen Klimadebatte, das merkt man ja. Also egal, was man da sagt, man sticht sofort in mentale Wespennester, die Leute regen sich wahnsinnig auf, es gibt Dogmen, es gibt fast religiöse Kreuzzüge auf diesem Bereich. Und das dient unbedingt nicht der Realität, sondern es dient eigentlich eher dem, ich sag mal dem Feuilleton und der Erregungskultur selbst.

Heise: Sie hören im Deutschlandradio Kultur den Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx. Herr Horx, wenn Sie das aber jetzt sagen, haben Sie dann denn doch noch einen Optimismus, dass sich das auch ändern wird und tatsächlich in einen Wandel, in einen positiven Wandel ummünzen lässt?

Horx: Ja, ich finde, diese Frage ist immer so etwas hilflos: Wird es sich denn ändern? Natürlich wird es sich ändern. Also das ist …

Heise: Weil wir gezwungen sind, es zu ändern durch Umstände.

Horx: Ja natürlich. Also in dem Moment …

Heise: Aber so ist doch der Wandel in der Geschichte immer gewesen.

Horx: Das Öl geht zu Ende. Das Problem ist, dass es zu billig ist momentan. Wir haben die neuen Technologien einer nachhaltigen Energiewirtschaft, wir können heute absehen, dass der Umbau unserer gesamten Siedlungsmobilität und so weiter, Struktur, zu einem gigantischen Investitionsprogramm wird. Also auch wirtschaftlich ist das sehr sinnvoll. Wir müssen ja die Häuser umbauen zu Energieproduzenten, die Autos können Energiespeicher werden. Dadurch entstehen natürlich auch Verluste bei diesen klassischen Hierarchien, die wir zum Beispiel in der Energieversorgung haben, diese großen Energiekathedralen, die alle Leute versorgen. Das wird die Gesellschaft umkrempeln, so wie das Internet auch die Gesellschaft verändert. Das Energienetz der Zukunft wird evolutionär erzwungen. Jetzt kann man da zappeln und hin und her und machen und tun und kann versuchen, es zu vermeiden, wie ja Teile der deutschen Industrie das auch lange gemacht haben, aber am Ende wird natürlich ein neues, ja interagierendes Netzwerk von Energieproduzenten stehen.

Heise: Das wird ja in Ihrem aktuellen Buch genauso eigentlich auch beschrieben. Da gehen Sie ja sozusagen der Geschichte des Wandels nach, dass eigentlich Wandel immer etwas ist, was Menschen nicht freiwillig machen, sondern durch die Umstände gezwungen dann diesen Wandel auch in die Hand nehmen. Also so verläuft es jetzt dieses Mal auch?

Horx: Ja, wobei man immer unterscheiden muss – ich unterscheide in dem "Buch des Wandels" ja zwischen zwei Kategorien, nämlich Veränderung und Wandel. Veränderung ist das, was uns von außen angemaßt wird, also wir müssen uns ändern, wir sind gezwungen, uns zu ändern, und Wandel ist das, wo Menschen bewusst ihre Umwelt neu gestalten. Und Gesellschaften, die das können, sind natürlich sehr viel adaptiver, sie sind evolutionsfähiger, sie sind auch fröhlicher, sie sind auch glücklicher. Und wir erleben halt immer wieder in der Geschichte, dass Wandel eben scheitert.

Also das berühmteste Beispiel sind die Maya, die ich dem Buch ausführlich beschreibe, warum die Maya untergegangen sind. Das hat etwas damit zu tun gehabt, dass sie ihre mentalen Wahrnehmungsformen, ihre Umwelt nicht synchronisieren konnten mit dem, was real passierte. Die sind regelrecht verrückt geworden. Also sie haben sich dermaßen in die Panik reingesteigert, dass es wieder Vulkanausbrüche gibt, Stürme und so weiter, was es ja in ihrem Lebensraum eine ganze Menge gab, dass sie dann diese verrückte Religion erfunden haben mit dem Herzrausreißen, also so Bannungskulturen. Und das versuche ich ein bisschen zu parallelisieren zu dem, was wir heute in den Medien haben. Wir haben so richtige Beschwörungskulturen, es wird ungeheuer getrommelt und getanzt, es werden vielleicht noch keine Herzen rausgerissen, aber wir versuchen gewissermaßen, uns ein bisschen damit zu beruhigen. Und was mich interessiert, sind die Kulturtechniken, in denen Wandel passiert. Gelassenheit zum Beispiel ist ganz, ganz wichtig.

Heise: Jetzt kann man aber weder Optimismus noch Gelassenheit verordnen.

Horx: Nein, das kann man nicht, aber ich kann versuchen, aus der Erfahrung auch der Zukunftsforschung selber die Beispiele, die es in der Geschichte gab, wo Gesellschaften, Kulturen, Menschen sich angepasst haben, sich verändert haben, zu schildern und zu sagen: Moment mal Leute, es ist möglich! Also das Buch endet in Island, und Island ist ja eine der Gesellschaften, die von der Finanzkrise quasi auseinandergenommen wurden, also da funktioniert die Ökonomie ja überhaupt nicht mehr. Und es ist faszinierend zu beobachten, wie die Isländer sich neu reorganisieren, wie sie ihren Wandel gestalten. Es gab im letzten Monat eine Versammlung von 1500 Isländern – das ist ja eine große Menge, es sind ja nicht viele Menschen, 300.000 Isländer gibt es –, die haben gemeinsam in einem geführten Prozess über die Zukunft ihres Landes diskutiert. Und es war ungeheuer faszinierend zu beobachten, wie sich eine Zivilgesellschaft auch neue Ziele setzen kann, wenn sie nicht von Angst und Misstrauen geprägt ist. Die Isländer haben natürlich ein großes Vertrauen auch in ihre Gesellschaft, auch in ihren Staat am Ende.

Heise: Das heißt, für Sie ganz persönlich als Mensch Matthias Horx überwiegt dann doch auch der Optimismus trotz all dessen, was Sie ja auch in Ihrer Arbeit die ganze Zeit eben lesen, die Zukunftsvisionen, die Horrorvisionen nehmen Sie ja auch zur Kenntnis?

Horx: Also ich glaube, es gibt falschen Optimismus, also Blauäugigkeit ist auch eine Art der Dummheit, es gibt aber eben auch sehr viel ich sag mal faulen Pessimismus. Es ist ja auch sehr bequem, sich auf die Seite der Untergeher zu begeben, dann hat man keine Verantwortung. Der Grund, weshalb auch die Propheten des Untergangs immer recht haben und so endlose Einschaltquoten bei uns im Fernsehen, liegt ja daran, dass sie nicht irren können. Das heißt, wenn es nicht so kommt, wie sie es gesagt haben – und es kommt nie so –, dann lag es ja eben nur daran, dass sie so gut gewarnt haben. Also gewissermaßen der apokalyptische Ort ist immer der sicherste Ort. Und das ist gefährlich, weil die Geschichte eben auch zeigt, dass die Gesellschaften an ihren Panikreaktionen, an ihren Paranoias scheitern, an ihren Hysterien. Und in dem Moment, wo eine Gesellschaft nicht mehr unterscheiden kann, was ist wirklich gefährlich, was ist Realität, dann haben wir ein großes Problem. Und das sehe ich als die Gefahr für die Zukunft.

Heise: Sagt Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher. Sein letztes Buch heißt "Das Buch des Wandels. Wie Menschen Zukunft gestalten". Herr Horx, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!

Horx: Ich danke Ihnen auch!