"Es gibt keine Nordkorea-Spezialisten"

Hannes Heer im Gespräch mit Gabi Wuttke · 08.04.2013
Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un ist 30 Jahre jung und droht der Welt mit der Atombombe. Es sei völlig unklar, auf welche Berater und Koalitionen sich dieser "junge Rüpel" stützen könne, sagt der Historiker Hannes Heer.
Gabi Wuttke: Wie haben Sie Ihren 30. Geburtstag gefeiert? Sicher nicht mit dem Aufmarsch Ihrer Soldaten, der Erklärung des Kriegszustandes und einer Atombombendrohung. Kim Jong Un, der nordkoreanische Diktator, Enkel und Sohn von Diktatoren, hat das getan und die Welt fragt sich, was ist von seinen Worten zu halten. Sind sie Schall und Rauch, oder könnte daraus doch Schlimmes erwachsen? – Blicken wir deshalb in die Geschichte mit dem Historiker Hannes Heer. Schönen guten Morgen, Herr Heer!

Hannes Heer: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Welchen Zweck erfüllt denn üblicherweise die Kriegsrhetorik? Schürt sie einen Konflikt, oder dient sie letztlich der Deeskalation?

Heer: Kriegsrhetorik ist natürlich ein Mittel, die eigene Bevölkerung hinter einen bestimmten Plan, eine Aggression oder einer Drohgebärde oder eines Krieges zu bringen. Sie ist ein Mittel im Rahmen eines Mobilisierungsprogramms. Das ist immer schon so gewesen und das funktioniert manchmal gut, manchmal funktioniert es gar nicht.

Im Fall des Zweiten Weltkriegs war die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion so heimlich vorbereitet als Überfall organisiert, dass es gar nicht möglich war, eine Kriegsrhetorik in einem längeren Zeitraum zu entwickeln, und da mussten dann andere Techniken gefunden werden. Aber Kriegsrhetorik ist ein übliches Mittel zur Vorbereitung von Konflikten, oder von Erpressungen, die man mit diesen Drohungen erreichen will.

Wuttke: Also können wir möglicherweise im Fall von Nordkorea festhalten, dass da innenpolitisch die Hütte brennt?

Heer: Das kann sein. Es ist ein junger Diktator oder Machthaber und man weiß nicht, auf welche Fraktionen er sich stützen kann. Man weiß nicht, wie groß der Druck ist, auch der ökonomischen Lage Nordkoreas, so dass bestimmte Schichten des Volkes ruhig gehalten werden müssen. Das ist alles ganz schwer zu entscheiden, weil es gibt keine Nordkorea-Spezialisten.

Wir wissen, von fast allen übrigen Ländern der Welt gibt es Spezialisten, Politologen, Historiker, Ökonomen, die sich auskennen. Das setzt voraus, dass sie längere Zeit dort auch gelebt haben, dass sie über Kontakte innerhalb des Landes verfügen. Das alles fällt aus und das macht die Einschätzung so schwierig.

Wuttke: Wie bemerkenswert ist es denn für Sie als Historiker, dass – es ist ja schon erwähnt worden – Kim Jong Un ein junger Diktatorenenkel ist?

Heer: Das hat es immer gegeben in der Geschichte. Das war natürlich früher sozusagen das Gesetz, als dynastische Erbfolge das Normale war. Da gab es dann mal, wenn die Thronfolger zu jung waren, gab es dann Interims-Kaiser und Könige, Verwandte meistens, auf die man vertrauen konnte. Aber es gibt viele, viele Beispiele, dass Machthaber mit 15, 16, 17 Jahren den Thron bestiegen haben. Das setzte aber dann eine gewisse Stabilität des jeweiligen Systems voraus, so dass genügend Berater da waren, die loyal, ohne eigene Interessen zu verfolgen, einen solchen jungen Monarchen gestützt haben.

Und das ist eben in dem vorliegenden Fall so schwierig: Man weiß nicht, ob dieser junge Rüpel, wie er ja manchmal jetzt in den letzten Tagen dankenswerterweise genannt wird, man weiß nicht, worauf er sich stützen kann. Das vergrößert natürlich die mögliche Instabilität und die Spekulationen, wie man aus so einer Krise herausfinden kann.

Wuttke: Es gibt ja immer als Berater durch die Historie die Überbringer schlechter Nachrichten. Für die endete es oft schlecht. Wenn wir jetzt mal auf diesen Konflikt schauen, der ja erst mal nur von Worten begleitet wird, aber schon dazu geführt hat, dass sich zum Beispiel die USA bewegen, die EU nachdenkt, wie sie sich gegenüber diesen Provokationen verhält, gehen Sie davon aus, oder haben Sie eben andeuten wollen, dass Kim Jong Un möglicherweise auf seine Berater nicht hört, die ja noch aus der alten Schule kommen, also mindestens aus der Ära seines Vaters?

Heer: Es ist natürlich immer die Möglichkeit einzukalkulieren, dass da jemand sich grenzenlos überschätzt. In einem solchen System mit gewachsenen Strukturen erbt man ja nicht nur ein politisches Amt, sondern man erbt natürlich ein fast auf eine Art Gottheit zugeschnittenes System. Das heißt, man ist von einem auf den anderen Tag der Weise, der Philosoph, man ist der Ökonom, der Anordnungen trifft, man ist der Vertreter der Partei.

Das kann natürlich dazu führen, dass eine Art von Cäsaren-Wahnsinn entsteht. Nero ist ja eine Figur, die man gerne so interpretiert, dass er einfach von dieser gottgleichen Position, - ja, dass er nicht in der Lage war, in irgendeiner Weise darauf zu reagieren, sondern sofort in diesen Anspruch, den das System mit dem Amt formuliert, einzusteigen. Also das kann natürlich sein.

Wuttke: Der Cäsaren-Wahn, von dem Sie gerade sprachen, mich beruhigt das nicht. Beruhigt Sie der Verlauf der Geschichte mit Blick auf diesen jungen Nordkoreaner?

Heer: Na überhaupt nicht, weil es natürlich in einer Zone der Welt passiert, in der eine Menge Konfliktpotenzial vorhanden ist. Es ist ja nicht nur das gespaltene Korea, Süd- und Nordkorea, sondern da ist im Hintergrund natürlich auch eine sich im Moment ökonomisch artikulierende, aber jederzeit natürlich auch andere Formen annehmende Hintergrundauseinandersetzung zwischen den USA und China, und China ist natürlich nicht abhängig von Nordkorea.

Es ist natürlich völlig umgekehrt die Situation: Die gesamte Ökonomie wird von China unterstützt, die ganze Ernährungsbasis liegt nicht im Land, sondern liegt in China. Aber China befürchtet nichts mehr, glaube ich, als eine Instabilität von seinen südlichen Grenzen, und verfügt aber nicht über die Mittel, einzumarschieren oder auf normale Weise diplomatischen Druck auszuüben. Denn wenn man einen Verrückten auf der anderen Seite hat, dann nützen keine Argumente, und das macht die Situation schwierig.

Auf der anderen Seite stehen die Vereinigten Staaten unter Druck, was das iranische Atomprogramm angeht, und ich habe so ein bisschen manchmal den Eindruck gehabt, als ob hier so eine Art Stellvertreterpolitik stattfindet: Wir demonstrieren gegenüber Pjöngjang eine gar nicht zu bezweifelnde Festigkeit, wir lassen Flugzeugträger in das Gebiet einschwimmen, wir stationieren Flugzeuge, wir führen Manöver durch und so weiter, um zu zeigen, quasi allen Kritikern, vor allen Dingen Israel, wir sorgen dafür, dass nicht eine weitere Atommacht mit unkalkulierbaren Risiken entsteht. Das ist noch mal so eine andere weitere Dimension dieses ganzen Konfliktes.

Wuttke: … sagt der Historiker Hannes Heer im Deutschlandradio Kultur. Besten Dank für Ihre Einschätzungen.

Heer: Danke!

Wuttke: Schönen Tag!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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