"Es gibt in Libyen garantiert keine Demokratiebewegung"

Gabriele Riedle im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 21.02.2011
Von einer Demokratiebewegung könne man bei den Protesten in Libyen nicht sprechen, sagt die GEO-Autorin Gabriele Riedle. Sie rechne weiter mit blutigen Niederschlagungen der Aufstände und lang anhaltenden Repressionen.
Jan-Christoph Kitzler: Es herrscht nach wie vor gewaltiger Wirbel in der arabischen Welt nach dem Sturz der Regimes in Tunesien und in Ägypten. Am vergangenen Wochenende haben uns bittere Meldungen aus Libyen erreicht. Es ist ziemlich schwer, an gesicherte Informationen aus dem Land zu kommen, aber es gab Demonstrationen gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi und bei der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste hat es viele Tote gegeben. Von mehr als 230 Opfern berichten inzwischen Menschenrechtsorganisationen. Westliche Journalisten können aus Libyen nicht mehr berichten. Als letzte war die GEO-Autorin Gabriele Riedle im Land. Bis vergangenen Freitag hat sie in Libyen recherchiert und ich bin jetzt mit ihr in Berlin verbunden. Schönen guten Morgen!

Gabriele Riedle: Guten Morgen.

Kitzler: Sie haben dort ja für eine Geschichte für GEO recherchiert. Unter welchen Bedingungen konnten Sie überhaupt zum Schluss in Libyen noch arbeiten?

Riedle: Na ja, ich konnte von Anfang an nicht richtig arbeiten und bin schon am Flughafen – das war dann schon vor drei Wochen – von so einer Art Stasi-Mann abgeholt worden. Der ist vom Informationsministerium geschickt worden, um uns, also den Fotografen und mich, ständig zu bewachen. Wir konnten nirgendwo hingehen, wo wir hingehen wollten, wir sind behindert worden, wo es nur ging. Die Nervosität war auch schon in den letzten Wochen ganz beträchtlich. Irgendwann haben wir uns dann einfach versucht, so unter die Leute zu mischen, dass man nicht mehr so aufgefallen ist, aber immer waren irgendwelche Geheimdienstleute hinter uns her.

Kitzler: Haben Sie denn etwas mitbekommen von der Stimmung gegen das Gaddafi-Regime?

Riedle: Na ja, das ist sehr schwierig. Ich war zum Beispiel vorige Woche im Osten, in Bengasi und Al Bejda. Da ging der Aufstand als solcher noch nicht ganz los. Aber man wollte uns zum Beispiel überhaupt nicht in den Osten lassen, das ist uns dann nur mit sehr viel Mühe geglückt. Die Polizei war überall, der Geheimdienst war auch überall. Der Osten brodelt schon eine ganze Weile, also eigentlich schon seit Jahren, und da ist niemand gut aufs Regime zu sprechen. Warum, wäre wahrscheinlich die nächste Frage, die Sie stellen würden.

Der Osten ist schon immer sehr, sehr aufständisch, das sind ganz, ganz große, ganz mächtige Stämme. Was man nicht weiß ist, dass Libyen sehr stark von der Stammesgesellschaft oder von der Stammeskultur geprägt ist, und die haben schon seit Jahren offene Rechnungen mit dem Regime in Tripolis und das droht schon seit Jahren immer wieder auszubrechen, gibt auch immer wieder kleine Ausbrüche, die dann immer blutig niedergeschlagen werden.

Kitzler: Die Frage ist ja: Wie passen diese Proteste, die es jetzt gibt, in dieses Bild von den demokratischen Bewegungen in der arabischen Welt? Was ist denn Ihr Eindruck? Kann man überhaupt von einem demokratischen Flächenbrand sprechen? Gibt es in Libyen überhaupt so etwas wie eine Demokratiebewegung?

Riedle: Nein, das gibt es in Libyen nicht, das kann man auf gar keinen Fall sagen. Alle Informationen, die dazu gegeben werden, oder wenn das behauptet wird, dann hat das mehr so was mit Wunschdenken zu tun als mit der Realität. Also es gibt in Libyen garantiert keine Demokratiebewegung, wie wir uns das vorstellen. Das Wort Demokratie ist, glaube ich, auch im Prinzip unbekannt und hat auch gar keinen großen Wert, sondern das sind eigentlich mehr oder weniger, was ich gerade schon gesagt habe. Da gibt es viel Rache von Stämmen, die nicht an der Macht sind, dann gibt es Rache dafür, dass es früher schon Übergriffe auf Vertreter dieser Stämme gab. Es gibt Rache von islamistischer Seite, die in den Knast gewandert sind schon vor Jahren.

Also die Verhältnisse da sind völlig anders, zumal ja auch die sozialen Verhältnisse völlig anders sind. Libyen ist beispielsweise anders als die Nachbarn ein extrem reiches Land, was die Ressourcen betrifft, und auch die Bevölkerung kriegt da immerhin so ein bisschen was ab. Beispielsweise gibt es so was wie Arbeitslosengeld und der Machthaber verteilt das Geld auch einfach immer an die, die ein bisschen Aufstand machen wollen. Die kriegen sofort unglaublich viel Geld reingeschoben und dann sind sie wieder für ein Stück ruhig.

Kitzler: Also es geht nicht um eine große Bewegung, um eine Reform des Staates, sondern eher um einzelne Interessen einzelner Gruppen. Heißt das in Ihren Augen, dann ist die Schlussfolgerung, dass das Regime von Gaddafi weiterhin fest im Sattel sitzt?

Riedle: Na ja, jetzt nach dem, was jetzt passiert ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass das Regime fest im Sattel sitzt, weil einfach wenn sie in einem Land leben, in dem auf ihre Nachbarn oder auf ihre Familienangehörigen mit scharfen Waffen geschossen wurde, dann sind sie dem Regime sicher nicht mehr so wahnsinnig wohl gesonnen. Aber da es keine Alternative gibt und nicht ernsthaft jemals irgendjemand auch eine Alternative gesehen hat, ich gehe mal davon aus, dass der auch dann einfach blutig niedergeschlagen wird und es dann sehr lange sehr große Repressionen geben wird, ähnlich wie vor 20 Jahren in China nach dem Massaker am Tian'anmen-Platz.

Kitzler: Eigentlich sollte man ja meinen, nach so einer gewaltsamen Niederschlagung, von der die Menschen dort ja auch was mitbekommen, kann es eigentlich nicht so weitergehen wie bisher. Immerhin gab es jetzt ja Meldungen aus der Nacht, Gaddafis Sohn hat angekündigt, man wird sich mit dem Thema Reformen befassen. Ist in Ihren Augen dieses Regime überhaupt reformierbar?

Riedle: Also Gaddafis Sohn hat das schon öfters immer mal gesagt. Er hat ja mehrere Söhne. Jetzt ist die Rede von dem Sohn Saif al Islam. Schwert des Islam heißt der. Der galt früher schon als Nachfolger und als Reformer, ist dann aber - Die Reformen, die er immer angekündigt hat, waren übrigens keine demokratischen Reformen, sondern es waren immer Wirtschaftsreformen und Bildungsreformen, um das Land zu modernisieren. Er hat sich durchaus einen autoritären Staat immer vorgestellt wie beispielsweise in Singapur oder so. Der ist dann entmachtet worden von den anderen Söhnen, die so militär sind, und vom Vater, und der hat jetzt praktisch die Seiten gewechselt, weil er stellt sich auch hin und behauptet, dass diese Aufstände von ausländischen Firmen beispielsweise angezettelt worden sind. Also er führt jetzt praktisch so was wie einen Propagandakrieg gegen Ausländer oder ausländische Firmen im Land, das wird das Land auch nicht gerade voranbringen.

Kitzler: Also das, was wir von den Protesten in Libyen hier vermittelt bekommen, das passt nicht so ganz in das Bild der Aufstände in der arabischen Welt. – Das war die GEO-Autorin Gabriele Riedle zur Lage in Libyen. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen.

Riedle: Ich danke Ihnen.
Saif al-Islam, Sohn des lybischen Machthabers Muamar al Gaddafi, spricht in einer Videobotschaft an das Volk
Saif al-Islam, Sohn des lybischen Machthabers Muamar al Gaddafi, spricht in einer Videobotschaft an das Volk© AP