"Es gibt eine starke Bürgerbewegung"

Moderation: Margarete Limberg · 12.11.2005
Der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka sieht die Bürgerbewegung auf dem afrikanischen Kontinent im Kommen. Die Bürger selbst begännen zu begreifen, dass sie sich, wenn es um Leitlinien für die Zukunft geht, nicht auf den Staat verlassen könnten.
Deutschlandradio Kultur: Afrika ist im Westen zu einem Synonym geworden für Chaos, Katastrophe, Krieg und Bürgerkrieg, Menschenrechtsverletzungen und Aids. Der Kontinent scheint sich immer mehr einem Abgrund zu nähern. Haben Sie erfreulichere Assoziationen zu bieten?

Wole Soyinka: Diese Wahrnehmung ist natürlich nicht völlig falsch. Es gibt Bürgerkriege und Krankheiten wie Aids, die ganze Nationen ruinieren. Das ist alles wahr. Aber es gibt auch Programme und Projekte, die einen ermutigen und Hoffnungen für die Zukunft wecken.

Deutschlandradio Kultur: Können Sie Beispiele nennen?

Wole Soyinka: Ja , nehmen Sie z. B. die Situation in Südafrika. Vor zehn Jahren hätte niemand vorhersagen können, dass dieses Land einmal beispielhaft zeigen würde, was erreicht werden kann, und zwar sowohl im Blick auf die rassischen Fragen wie auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Erholung. Es gibt Organisationen, die die Entwicklung in Afrika wirklich ernst nehmen, dazu gehört sogar die EU, aber auch die Transformation der früheren Organisation für afrikanische Einheit zur Afrikanischen Union. Dazu gehört auch der von den afrikanischen Staatschefs eingerichtete Mechanismus der Selbstkontrolle, der Fragen der Menschenrechtsverletzungen und der Korruption anpacken soll. Diese Strukturen sind noch neu, aber sie funktionieren bis zu einem gewissen Grade. Und sie zeigen, dass die Politiker selbst begreifen, dass Afrika nicht weiter von Krise zu Krise stolpern darf. Es gibt auch beispielhafte Politiker wie in Ghana. Das Land hat sich aus einem tiefen Morast von Schulden und innenpolitischen Krisen herausbewegt, während nebenan in Togo die Lage sehr unruhig ist. Wir haben diese Nischen, die belegen, dass es Chancen einer neuen Ordnung auf dem Kontinent gibt.

Deutschlandradio Kultur: Hängen diese neuen hoffnungsvollen Möglichkeiten von Persönlichkeiten ab?

Wole Soyinka: Es ist mehr als das. Es gibt eine starke Bürgerbewegung. Die Bürger selbst, die Völker des Kontinents selbst beginnen zu begreifen, dass sie sich, wenn es um Leitlinien für die Zukunft geht, nicht auf den Staat verlassen können. Deshalb gibt es eine phänomenale Zunahme von Nichtregierungsorganisationen, von denen einige gegen Mangel - und Unterernährung von Kindern kämpfen, andere beschäftigen sich mit dem Missbrauch von Kindern, sie engagieren sich für Wiedereingliederungsprogramme für Kindersoldaten. Für mich ist das Problem der Kindersoldaten genau so verheerend wie Aids. Man muss auch in diesem Zusammenhang von der Zerstörung einer neuen Generation sprechen. Es gibt inzwischen Einrichtungen, die sich für die Rehabilitierung dieser entmenschlichten Jugendlichen einsetzen. Für mich beweist dies, dass die Zivilgesellschaft bereit ist, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn man auf die letzten Jahrzehnte zurückblickt, dann muss man doch feststellen, dass Afrika immer ärmer geworden ist, der Anteil am Welthandel schrumpfte auf rund ein Prozent, es ist jetzt weniger wohlhabend als kurz nach der Unabhängigkeit in den 60er Jahren, Teile des Kontinents sind offenbar in ein dunkles Loch zurückgefallen. Gibt es so etwas wie einen Wendepunkt, an dem diese Abwärtsspirale begonnen hat?

Wole Soyinka: Ich glaube, einen spezifischen Moment zu definieren ist unmöglich. Es ähnelt einer ansteckenden Krankheit. Teile einer Struktur brechen zusammen, und wie beim Dominoeffekt bringen sie das nächste Teil ebenfalls zum Einsturz. Nehmen Sie das Flüchtlingsproblem bei Bürgerkriegen. Der Flüchtlingsstrom ergießt sich in die Nachbarländer - ich spreche vor allem von Zentral - und Westafrika - und destabilisiert Länder politisch und wirtschaftlich, die bis dahin ziemlich stabil waren. Die Elfenbeinküste ist ein Beispiel. Es gibt dort eine entsetzliche nationalistische Politik, die Zuwanderer ausgrenzt und sie sogar vom Wahlrecht ausschließt. Dies hat sicher einige der gegenwärtigen Probleme verursacht. Aber wenn man genau hinsieht, dann hat die Destabilisierung der Elfenbeinküste auch etwas mit dem zu tun, was in Liberia und Sierra Leone passiert ist. Deshalb ist es schwer zu sagen: es begann an diesem Punkt.

Deutschlandradio Kultur: Es scheint in Teilen Afrikas einen Virus der Selbstzerstörung zu geben.

Wole Soyinka: Ich weiß nicht, ob das Selbstzerstörung ist. Wir haben sehr korrupte und ihren Völkern entfremdete Politiker, aber gleichzeitig gibt es Gegenbeispiele, die zeigen, was möglich ist. Wir haben vor allem ein Machtsyndrom. Was Sie einen Virus nennen, würde ich als Machtsyndrom bezeichnen. Schauen Sie, was in Zimbabwe geschieht. Das war eine stabile, prosperierende, sich selbst versorgende Gesellschaft. Dann wurde der Präsident vom Virus der Macht erfasst und spielte die rassistische Karte. Niemand bestreitet, dass es in Zimbabwe Probleme gibt. Die Landfrage war immer präsent. Aber die Handhabung dieses Problems war immer sehr opportunistisch. Und sie wurde allein für den Zweck benutzt, einem machtbesessenen Individuum die Kontrolle über die Gesellschaft zu sichern – mit dem Ergebnis der Verwüstung des Landes. Aber lassen Sie uns nicht vergessen, dass der Virus der Destabilisierung durch die mangelhafte Lösung der Landfrage, so wie sie die weißen Siedler hinterlassen haben, freigesetzt wurde. Also - wie weit müssen wir zurückgehen, um zum Kern des Problems zu gelangen? Gehen wir zurück zur künstlichen Aufteilung organischer ethnischer Einheiten in nicht lebensfähige nationale Einheiten, oder berufen wir uns darauf, dass die Kolonialmächte Afrika entgegen aller Annahmen nie völlig verlassen haben, sondern tatsächlich Stellvertreter als willige Werkzeuge zurückgelassen haben?

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir noch einen Augenblick bei Zimbabwe. Die anderen afrikanischen Führer schweigen, einige verteidigen Präsident Mugabe sogar. Wo bleibt der Aufschrei anderer afrikanischer Länder, vor allem der Nachbarn wie Südafrika?

Wole Soyinka: Einige erklären, sie zögen die stille Diplomatie vor. Es sei besser, das Problem hinter den Kulissen zu erörtern, sagt zum Beispiel Tabo Mbeki, der Präsident Südafrikas. Es gibt darüber hinaus Bemühungen Mbekis und seines nigerianischen Kollegen Obasanjo um eine konstruktive Lösung. Ich glaube, alle haben mittlerweile begriffen, dass sie es mit einem Mann zu tun haben, der alle Grenzen überschritten hat. Aber wir haben es hier auch mit dem Old - Boys' - Netzwerk zu tun, zu dem die OAU sich entwickelt hatte. Da gilt: man verurteilt ein anderes Mitglied dieses Clubs nicht, denn vielleicht hat man selbst eine Leiche im Keller. Aber diese Strategie funktioniert ganz offenkundig nicht. Die Menschen in Zimbabwe werden unterdrückt, und das hat nichts mit Rasse zu tun. Jene, die verprügelt und ins Gefängnis geworfen werden, sind schwarze Afrikaner, nicht weiße Siedler. Die rassische Karte wird dennoch in verachtenswerter Weise gespielt.

Deutschlandradio Kultur: Was müssen Ihrer Ansicht nach die afrikanischen Nachbarn Zimbabwes und die internationale Staatengemeinschaft tun?

Wole Soyinka: Beginnen wir mit den Afrikanern. Sie stehen vor der Wahl, sich entweder auf die Seite eines sehr kleinen, eines winzigen Teils der Gesellschaft zu schlagen oder das Volk zu unterstützen. Wenn sie die richtige Entscheidung treffen – und das kann meiner Ansicht nach nur die für das Volk sein, dann müssen sie wenigstens danach streben, den üblen Machtmissbrauch von Leuten wie Mugabe in die Schranken zu weisen. Ich glaube, die afrikanischen Nationen müssen bereit sein, auch einen der Ihren mit wirksamen Sanktionen zu belegen. Die neue Afrikanische Union hat Regeln für ihre Mitglieder aufgestellt, zu denen auch die Anerkennung fundamentaler Menschenrechte gehört. Gegen jene, die diese Regeln nicht beachten, sollten Sanktionen verhängt werden.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben auf das Erbe des Kolonialismus hingewiesen. Jeder weiß um die zerstörerischen Folgen der Sklaverei und des Kolonialismus. Sie gehören, glaube ich, zu jenen, die eine Art Entschädigung fordern.

Wole Soyinka: Das Wort Entschädigung habe ich nie gebraucht, ich mag es auch nicht. Ich meine nur, wenn wir überzeugt sind, dass zumindest ein erheblicher Teil der afrikanischen Probleme von heute ein Erbe der kolonialen Erfahrung ist, dann sind uns die ehemaligen Kolonialmächte etwas schuldig. Wir haben die moralische Verantwortung, darüber zu diskutieren, wie die Geschichte einer ungleichen Partnerschaft, einer aufgezwungenen, gewaltsamen Beziehung gelöst werden kann. Die moralische Kernfrage steht für mich außer Frage . Restitution muss aus meiner Sicht Teil der Lösung der Bewältigung der ungleichen Partnerschaft sein, die Afrika ohne Zweifel von Europa gewaltsam aufgezwungen wurde.

Deutschlandradio Kultur: Nigeria ist ein Land mit riesigen Ölreserven, aber kaum etwas von dem Reichtum hat die Masse der Menschen erreicht. Können Sie die Lage in Ihrem Land beschreiben?

Wole Soyinka: Das Problem Nigerias ist die Überzentralisierung.
Unglücklicherweise leidet Nigeria noch immer unter der militärischen Mentalität. Das Militär hat die föderale Struktur zerstört und sie durch Zentralismus ersetzt. Und natürlich kontrollieren Militärs den Reichtum, versorgen sich und ihre zivilen Helfer und sind eine abscheuliche Kumpanei mit ausländischen Unternehmen eingegangen, um die Ressourcen des Landes auszubeuten. Solange wir keine wirklich demokratisierte, dezentrale Ordnung haben, wird Nigeria die völlig zu Recht bestehenden Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Soyinka, Fundamentalismus ist ein zunehmendes Problem in Afrika. In Nigeria hat er sehr extreme und gewaltsame Formen angenommen. Vor allem im Norden Ihres Landes, aber auch in anderen Teilen des Kontinents. Ist dies eine neue Gefahr für die Entwicklung in Afrika?

Wole Soyinka: Ja, das ist eine Gefahr, nicht nur für Nigeria. Wenn man von Virus und Ansteckung spricht – dann ist dies einer der gefährlichsten der Welt. Extremismus, Bigotterie, Intoleranz, das Gefühl, zu den Auserwählten zu gehören, das findet unglücklicherweise Eingang in gewisse Religionen, besonders in den Islam. Nigeria ist keine Insel. Es ist von den Entwicklungen in anderen Teilen der Welt natürlich auch betroffen. Es ist gar keine Frage, dass Fundamentalismus eine der Gefahren für die Einheit und Integrität des Landes ist.

Deutschlandradio Kultur: Gibt es eine Verbindung zwischen Armut und zunehmendem Fundamentalismus, so dass man den Fundamentalismus zurückdrängt, wenn man die Armut beseitigt?

Wole Soyinka: Das würde ich gerne glauben, aber wie wir wissen, befällt der Fundamentalismus auch die Wohlhabenden und extrem Reichen. Diese sind es doch, die das Fußvolk finanzieren. Glauben Sie mir, ich habe in aller Welt viele Fundamentalisten getroffen und 75 Prozent ihrer Überzeugungen haben mit Armut nichts zu tun.

Deutschlandradio Kultur: Die Europäer und andere Industrieländer haben Afrika, wenn man so will, neu entdeckt. Es gibt Initiativen wie die des Bundespräsidenten, des britischen Premierministers, der G8. Einige fordern einen neuen Marshall Plan für Afrika. Welchen Reim machen Sie sich auf dieses neue Interesse?

Wole Soyinka: Nun, die Europäer wissen, dass ihre eigene Stabilität bedroht ist, wenn ein Teil der Welt so tiefgehend verarmt ist. Man kann nicht erwarten, von diesen Krisen überbevölkerter Staaten unberührt zu bleiben. Ob das Marshall Plan heißt oder neue Partnerschaftsinitiative ist egal. Es geht um das Bewusstsein, dass Afrika über einen Teil der Welt -Ressourcen verfügt und für den Fortschritt der Welt unverzichtbar ist.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt Kritiker der Entwicklungshilfe, die sagen : hört mit dieser schrecklichen Hilfe auf, sie macht korrupt, abhängig und passiv. Können Sie das nachvollziehen?

Wole Soyinka: Ich verstehe das nicht nur, ich unterstütze das, sofern es nicht bedeutet, macht Schluss mit jeder Initiative. Ich will, dass die Beziehung zwischen Geber und Empfänger nicht auf eine Bettlerschale reduziert wird. Ich hoffe, was diese Leute fordern, ist eine neue Art der Beziehungen. Es gibt immer Dinge, bei denen Europa auf Afrika angewiesen ist. Lasst uns einen egalitäreren Ansatz für den Austausch finden, so dass er nicht einem Diktat folgt, sondern auf Verhandlungen zwischen gleichberechtigten Partnern beruht. Ich möchte eine Beziehung, die auf Respekt gründet, auf Selbstachtung und gegenseitigem Respekt.

Deutschlandradio Kultur: Sollen die Geber ihre Hilfe an Bedingungen knüpfen wie Kampf gegen Korruption, gute Regierungsführung?

Wole Soyinka: Das ist von sehr entscheidender Bedeutung. Die ausländischen Partner können doch nicht ignorieren, was im Innern passiert. Länder, die mit einem afrikanischen Land zusammenarbeiten wollen, haben das Recht, Bedingungen zu stellen. Was wir allerdings nicht akzeptieren ist eine unangemessene, opportunistische Einmischung. Wir hatten in Nigeria den inzwischen verstorbenen Diktator Abacha. ,der brutalste und räuberischste Diktator , den wir in Jahrzehnten hatten. Er hat dem Staat viele Millionen gestohlen und z.T. bei Schweizer Banken deponiert. Als man dies später entdeckte und ein Gericht forderte, das Geld müsse an Nigeria zurückgegeben werden, erklärte ein Vertreter der Schweiz, bevor das Geld zurückgegeben werde, müsse man sicherstellen, dass es auch ordentlich verwendet werde. Ich finde das unerträglich arrogant, das Geld hätte überhaupt nicht erst auf diese Konten gelangen dürfen. Gebt es zurück und überlasst die Verwendung den Nigerianern. Ihr könnt das ruhig beobachten lassen, aber nicht solche Bedingungen stellen.

Deutschlandradio Kultur: Es gab eine Zeit, in der Afrikaner und Nichtafrikaner von afrikanischen Werten, afrikanischer Kultur sprachen. Negritude war der Slogan des damaligen senegalesischen Präsidenten Leopold Senghor. War das alles Unsinn oder ist die Zeit gekommen, diese Debatte neu zu beleben?

Wole Soyinka: Das war nie Unfug und wird es nie sein. Es gibt gewisse kulturelle Unterschiede zwischen den Nationen. Wie langweilig wäre es, wenn die kulturellen Werte überall gleich wären. Aber Negritude war eine kulturelle Waffe im Unabhängigkeitskampf, ein Versuch, die Würde und die Selbstachtung der afrikanischen Völker wiederherzustellen und zwar in ihren Beziehungen zum Rest der Welt, vor allem aber zu den Europäern und den Arabern. Aber wahr ist auch, dass die Vorstellung einzigartiger kultureller Werte in Afrika, Asien und anderswo als Werkzeug der Unterdrückung missbraucht wird. Ich bin davon überzeugt, dass bestimmte Menschenrechte niemals relativiert werden dürfen. Alle Gesellschaften wissen im Grunde, dass das menschliche Leben zu respektieren ist. Keine wird akzeptieren, dass in ihrer Kultur Folter akzeptabel ist. Selbst jene, die sie anwenden, werden dies bestreiten, wenn sie an einem Verhandlungstisch sitzen. Sie werden niemals sagen, Folter sei mit dem Christentum, dem Islam oder dem Konfuzianismus vereinbar.

Es gibt also grundlegende universelle Werte, an denen nicht gerüttelt werden darf. Davon abgesehen sollten wir aber die Kulturen anderer Gesellschaften akzeptieren. Das gilt auch für bestimmte, von der kulturellen Tradition geprägte Formen des Wirtschaftens.

Deutschlandradio Kultur: Herr Soyinka, Sie waren immer sehr politisch, Sie haben sehr offen Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung , diktatorische Herrschaft und Korruption angeprangert. Wie verhalten sich andere Intellektuelle in Afrika. Haben sie überhaupt die Chance, Gehör zu finden oder ziehen sie sich lieber in eine ruhige Ecke zurück?

Wole Soyinka: Sie werden feststellen, dass afrikanische Autoren sehr kritisch sind. Einige etwas lauter als andere. Aber sie haben auch besonders unter der Unterdrückung gelitten. In diesen Tagen gedenken wir des 10. Jahrestages der Hinrichtung von Ken Saro - Wiwa, dem nigerianischen Schriftsteller aus dem Ogoni -Volk. Dies ist ein Beispiel für die Unterdrückung, die verschiedene Schriftsteller erleiden. Einige sind ins Exil gezwungen worden, einige fielen Bürgerkriegen zum Opfer. Kritiker, Künstler, Schriftsteller, Filmemacher, Musiker haben besonders in Nordafrika grauenvoll unter den geistig beschränkten fundamentalistischen Horden gelitten. Und die Geschichte Südafrikas ist zugleich eine von Schriftstellern, die gegen die Apartheid gekämpft haben. Ich bin sicher, afrikanische Schriftsteller und Künstler kämpfen als aktive Bürger für die Sache ihrer Völker.

Deutschlandradio Kultur: Gehört es zu der Verantwortung eines Schriftstellers, politisch zu handeln?

Wole Soyinka: Das ist eine Forderung, der ich mit Vorsicht begegne. Wir müssen sehen, dass die Menschen sehr unterschiedlich sind. Es gibt Schriftsteller, die einfach von ihrem Temperament her nicht geeignet sind, als soziale Agitatoren zu agieren. Auch sie erfüllen aber eine bestimmte gesellschaftliche Rolle. Schreiben, Literatur – das hat doch auch etwas mit der Ausweitung des geistigen Horizonts von Menschen zu tun. Einige können diese Aufgabe nur erfüllen, wenn sie nicht abgelenkt werden. Es gibt diejenigen, die nicht anders können als sich mehr oder weniger intensiv einzumischen und jene, die einfach nur schreiben wollen. Ich respektiere jede dieser Haltungen.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie je daran gedacht, in die Politik zu gehen?

Wole Soyinka: Ich gestehe, ein paar mal daran gedacht zu haben, wenn der Druck zu groß wurde. Manchmal, bei manchen Themen denkt man , es wäre nicht schlecht, an einem Beispiel zu zeigen, wie man auf einem bestimmten Gebiet etwas so gut machen könnte, dass es als Modell dienen könnte. Aber als kreativer Mensch muss man über so einen Schritt sehr ernsthaft nachdenken. Ich bin letztlich immer zu dem Schluss gekommen, dass es für mein Temperament schwierig wäre, wenn ich Politiker würde.


Der Schriftsteller Wole Soyinka wird 1934 in Abeokuta/Nigeria geboren, 1986 bekommt er als erster Afrikaner den Literaturnobelpreis für sein Werk als Dichter und Romancier. Er studiert zunächst in seinem Heimatland Geschichte und Griechisch, verlässt nach dem Studium Nigeria und geht nach Großbritannien, um dort Literaturwissenschaften zu studieren.

Soyinka, der sich nie scheute, Machtmißbrauch und Korruption in seinem Land offen anzuprangern, mußte deshalb mehrere Jahre im Gefängnis verbringen . Viele Jahre seines Lebens musste er Zuflucht im europäischen bzw. amerikanischen Exil suchen.