"Es geht nicht ums Ausschließen"

06.04.2011
Der ungarische Botschafter in Deutschland, József Czukor, hat die bevorstehende Verfassungsreform seines Landes verteidigt. Das Bekenntnis zum Christentum habe etwas mit Identität zu tun, Minderheiten sollen damit aber nicht ausgeschlossen werden.
Nana Brink: Ungarn, das gerade die Ratspräsidentschaft innehat, ist in der letzten Zeit sehr kritisiert worden. Nachdem sich die Aufregung um das Mediengesetz von Ministerpräsident Viktor Orbán gelegt hat und er, von der EU-Kommission gescholten, ein paar Änderungen für die Pressefreiheit umsetzen musste, steht das neue Verfassungsgesetz Ungarns in der Kritik. Zu Ostern soll es mithilfe der verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit der rechtskonservativen Regierungspartei in Kraft treten. Und im Studio ist jetzt der ungarische Botschafter in Deutschland, József Czukor – einen schönen guten Morgen, Herr Botschafter!

József Czukor: Guten Morgen!

Nana Brink: Ungarn bereitet eine Verfassungsreform vor, die kurz vor Ostern verabschiedet werden soll, ein ziemlich einmaliger Vorgang in Europa um diese Zeit. Und ich habe ein bisschen in die Präambel geguckt und mich gewundert, dass dort sehr viel von der Einheit der Nation, vom Christentum, der heiligen ungarischen Krone die Rede ist – und das klang ein bisschen wie, ja, ein Text aus dem letzten Jahrhundert.

Czukor: Vielleicht für solche Ohren, die nicht daran gewöhnt sind, in einem Land wie Ungarn über die Zugehörigkeit der Nation oder Identifizierung der Nation mit historischen Vorgängen oder Vorvätern zu hören. Diese Präambel ist eine feierliche Einführung eines Gesetzestextes, und natürlich gibt es auch feierliche Aussagen in der Präambel, und dies sind solche Themen, die für die Ungarn, für unsere Geschichte wichtig sind. Und deswegen, weil halt die Geschichte nicht mit dem 21. Jahrhundert beginnt, gibt es auch Hinweise auf unsere Vorfahren, auf unseren ersten König und vieles mehr. Aber das ist in Ungarn nicht ungewöhnlich. Die Modernität eines Staates schließt auch nicht die historischen Zusammenhänge aus.

Nana Brink: Dann habe ich Sie richtig verstanden, wenn es auch ein bisschen Sentimentalität ist, um es mal wohlwollend zu formulieren?

Czukor: Das darf man und muss man auch wohlwollend formulieren, weil es vor allem darum geht, dass man seine eigene Identität bestimmen möchte. Und diese Identität ist auch mit sentimentalen Sachen verbunden. Und …

Nana Brink: Aber es ist ja auch, Pardon, eine Art Glaubensbekenntnis, worauf dann auch die Verfassung ja fußt, und da steht ein Satz drin: Wir anerkennen die Nationen erhaltende Rolle des Christentums. Nun haben Sie 17 Bevölkerungsgruppen in Ungarn, die ganz unterschiedliche Religionen auch haben – schließen Sie die damit aus?

Czukor: Nein, das stimmt nicht. Erstens, wir haben 13 Minderheiten, die meisten davon sind übrigens auch Minderheiten, die dem Christentum angehören, aber es geht nicht ums Ausschließen, sondern es geht darum, dass bei uns in der Entstehung des Staates und in der Geschichte des Ungarntums das Christentum eine wichtige Rolle spielte, und das ist ein Bekenntnis zu diesen Tatsachen und kein Ausschließen von anderen Gruppen, die eventuell nicht dieser Religion angehören würden.

Nana Brink: Aber was sagen dann, Pardon, die Minderheiten zu diesem Entwurf? Fühlen sie sich denn nicht doch ausgeschlossen?

Czukor: Ich glaube nicht. Ich glaube nicht. Die Minderheiten wurden gefragt, es gab nicht nur eine große Befragung der Bevölkerung, fast eine Million Fragebogen wurden ins Land geschickt, und die Leute wurden gefragt über bestimmte Fragen, aber auch de Minderheiten, alle 13 Minderheiten wurden gefragt über diese Verfassung.

Nana Brink: Kommen wir dann jetzt auf die Verfassung zu sprechen, die ja noch vor Ostern, wie gesagt, verabschiedet werden soll. Etwas, was auch innerhalb Europas kritisiert wird, zum Beispiel von der Venedig-Kommission – das ist eine Kommission des Europarates, die Sie auch beraten hat bei dieser Verfassung –, und die sagte, dort werden weitreichende Rechte auch des Verfassungsgerichtes ausgehebelt.

Czukor: Ja, das ist ein Kritikpunkt, das nimmt man sehr ernst, uns liegt nur der Vorschlag oder einer der Vorschläge für den späteren Gesetzestext vor. Wir müssen abwarten, wie die Diskussion über die Verfassung, mit welchem Ergebnis das abgeschlossen wird. Ich kann nicht in die Zukunft sehen, aber ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass insgesamt die Befugnisse des Verfassungsgerichtes ausgeglichen werden oder ausgeglichener werden, vielleicht auch ein bisschen stärker werden als sie vorher waren.

Nana Brink: Nun muss man sagen, in der Vergangenheit ist es ja schon passiert, die Regierung Orbán, die ja eine Zweidrittelmehrheit im Parlament hat, hat schon Rechte des Verfassungsgerichtes ausgehebelt, nämlich unter anderem, dass sie verfassungswidrige Haushalts- und Steuergesetze zurücknehmen kann. Nun steht ja zu vermuten, dass sie mit einer Zweidrittelmehrheit auch dieses Verfassungsgesetz durchbringt. Wo sind denn da noch Korrekturen?

Czukor: Zunächst, man muss auch die konkreten Diskussionen sehen, und darauf haben Sie auch hingewiesen, aber es gibt auch andere wichtige Zusammenhänge, zum Beispiel im Allgemeinen, wie ist die Stellung, wie ist die Stärke eines Verfassungsgerichtshofes. Und aufgrund des jetzigen oder der bekannt gewordenen Verfassungsvorschläge, die Stellung des ungarischen Verfassungsgerichtes ist nicht weniger oder nicht … also das ist genauso stark wie im Durchschnitt der Positionen der Verfassungsgerichte in Europa. Es gibt keine großen Unterschiede. Es gibt Verfassungsgerichte, die mehr Befugnisse haben, aber das ungarische Verfassungsgericht steht sehr im Trend, sehr im Durchschnitt, was die Befugnisse, was die Rechte des Verfassungsgerichtes angeht in Europa.

Nana Brink: Deshalb muss es trotzdem noch nicht gut sein. Ich glaube, ich mache mir deshalb auch nur Gedanken, weil sie eben eine Zweidrittelmehrheit, also die Regierung Orbán, eine Zweidrittelmehrheit im Parlament hat, mit der sie ja im Endeffekt alles ändern kann. Das ist doch der springende Punkt.

Czukor: Ja, aber die Zweidrittelmehrheit hat nichts damit zu tun, wie die verfassungsmäßige Position eines Verfassungsorgans ist. Ich habe gesagt, dass dieses Verfassungsorgan hat ungefähr die gleiche Stellung wie die anderen verfassungsmäßigen Organe gleicher Art in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Zweidrittelmehrheit ist ein Ergebnis eines demokratischen Wahlganges, also die ungarischen Wählerinnen und Wähler haben so viel Stimmen einer Koalition gegeben, die am Ende eine Zweidrittelmehrheit ergab, in Mandaten, und diese Zweidrittelmehrheit hat diese große Anzahl von abgegebenen Stimmen so interpretiert und so verstanden, dass sie damit auch die Verfassung ändern können. Das ist eine verfassungsändernde Mehrheit. Und sie haben das auch vor den Wahlen gesagt. Übrigens, die Verfassung in Ungarn, die Diskussion über die Verfassung und die Diskussion über die Erarbeitung einer neuen Verfassung geht wesentlich länger zurück, geht bis Mitte der 90er-Jahre zurück.

Nana Brink: Nun ist ja Ungarn immer mal wieder in der Kritik gewesen in der Vergangenheit, wir nehmen das umstrittene Mediengesetz, was ja auch in Teilen jetzt korrigiert worden ist, jetzt die Kritik an der Verfassung – fühlen Sie sich manchmal, ja, massiv unter Beschuss? Als kleines Land in Europa?

Czukor: Unter Beschuss zu fühlen, ja, also ich würde mir auch eine Diskussion über die Sache wünschen. Jetzt haben wir auch über die Präambel ein paar kritische Worte oder ich habe ein paar kritische Fragen bekommen, aber eigentlich der Text ist sehr wichtig – was regelt die Verfassung? Ich bitte nur diejenigen, die sich für die ungarische Verfassung interessieren, auch den Text zu sehen, die rechtsstaatliche Ordnung meines Landes zu sehen, die diese Verfassung sicherlich stärken wird und nicht schwächen wird. Also ein bisschen mehr ausgeglichene Diskussion über Ungarn würde ich mir wünschen.

Nana Brink: Der ungarische Botschafter in Deutschland, József Czukor. Schönen Dank für das Gespräch!

Czukor: Danke schön!
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