"Es geht ja nicht nur darum, ein schönes Buch in der Hand zu haben"

Von Gerd Brendel · 24.07.2010
Menschen, die einen kleinen Verlag ihr Eigen nennen, haben sich nicht selten eine paradox anmutende Kombination zweier Wesenszüge angeeignet: Sie sind knallharte Realisten und idealistische Träumer zugleich - quasi ein Muss für diesen Job.
Kleinverleger sind knallharte Realisten.

"Ich hab auch viel Buchhaltung gemacht."

Und Kleinverleger sind hartnäckige Träumer

"Man muss einen missionarischen Eifer haben , weil man versuchen muss, das unter die Leute zu bekommen, es geht ja nicht nur darum, ein schönes Buch in der Hand zu haben , sondern man will die Leute dazu bekommen, das zu lesen und genauso begeistert zu sein wie man selbst."

Andreas Rötzer von Matthes und Seitz und sein Verleger-Kollege Axel von Ernst vom Lilienfeld Verlag machen Bücher, weil sie Bücher lieben und weil sie rechnen können. Heute, wo vom Lektorat bis zum Layout ein Buch am Computer entsteht, kann ein Verlag mit einer Handvoll Mitarbeiter ein Sortiment mit 50 Büchern im Handumdrehen zusammenstellen. Die Frage allerdings , die über Erfolg und Misserfolg entscheidet, stellt sich, wenn das Buch von der Druckerei kommt:

"Wie komm ich in den Buchhandel? Das ist die Hauptfrage."

Kleine Verlage verfügen über keine mehrköpfige PR-Abteilung und kein Heer von Vertretern beglückt die Buchhandlungen in ihrem Auftrag mit Pappaufstellern und Reklamematerial. Stattdessen setzen Kleinverleger auf die Nische: Sie produzieren Bücher für den Sonderstapel-Platz neben der Kasse, für die Giftschrankecke im Bücherregal oder den besonderen Ehrenplatz in der Glasvitrine.

Beim Sommerfest der "kleinen Verlage" im literarischen Colloqium am Berliner Wannsee drängeln sich die Besucher vor den Tischen und blättern neugierig in der Leseware. "Unbekanntes von Bekanntes" - das ist das eine Konzept, mit dem Kleinverlage ihren Platz auf dem Büchermarkt behaupten: Am Stand von Matthes und Seitz zum Beispiel stehen Weisheiten des großen Napoleons neben bisher unveröffentlichtem von Roland Barthes. Daneben bietet "Speaklow" Hörbücher mit dem Briefwechsel zwischen Gretel Adorno und Walter Benjamin. Dem zweiten Konzept folgt Axel von Ernsts "Lilienfeld Verlag": "Unbekanntes von Unbekanntem"

"Das, was wir machen, sind ja Entdeckungen vor allem Dingen. Und da stellt man fest, dass es Bücher gibt, die sind überraschend gut, die es aber schon lange nicht mehr gab. Und dann will man so aufdringlich sein und das unter die Leute bringen."

"Samoa- die Perle der Südsee" zum Beispiel von Otto Ehrenfried Ehlers

"War absolut hingerissen von diesem Dandy der Südsee."

Das Original hatte von Ernst vor Jahren auf dem Flohmarkt entdeckt. Die Neuauflage erheitert auch das Publikum im literarischen Colloquium.

"Wir müssen entweder schneller sein oder in die abwegigeren Sachen gehen, Wege gehen, auf denen grade niemand sucht. Das ist unsere Strategie wenn's eine Strategie gibt , also vieles ergibt sich und man folgt so seiner eigenen Passion."

Instinkt – neben der Liebe zum Gedruckten eine Eigenschaft , die für Kleinverleger überlebenswichtig ist: Ob der Roman "die sechzigjährige und der junge Mann" der rumänischen Schriftstellerin Nora Iuga seine Leser finden wird, wird Verleger Andreas Rötzer erst in ein paar Wochen wissen. Bis jetzt haben die Verkaufzahlen seinem verlegerischen Instinkt Recht gegeben.

"Wir kämpfen für jedes Buch,dass es an die Leser kommt und dann gibt es irgendwie so ...Zeitgeist ... irgendwas liegt in der Luft und dann klappt es plötzlich."

Der Zeitgeist - beim Sommerfest der kleinen Verlage zeigt er sich nicht nur in den Inhalten, sondern auch in der Form: Nach wie vor gilt für Bücher aus kleinen Verlagen der hohe ästhetische Anspruch. Kleine Verlage machen vor allem schöne Bücher - egal ob von bekannten oder unbekannten Autoren.

"Wir machen sehr besondere Bücher. Die sind leinengebunden, fadengeheftet. Das sind kleine Schätze."

An diesem Nachmittag im literarischen Colloquium sind viele gekommen, um diese Schätze zu heben. Ein paar Buchhändler, ein Suhrkamp-Chef, Buchliebhaber zwischen 30 und 80 - fast wie ein großes Familientreffen. Ob er nicht auch manchmal davon träumen würde mit seinen Büchern in den Bestseller-Listen vertreten zu sein und statt vier 100 Mitarbeiter anzustellen? Andreas Rötzel schüttelt den Kopf:

"Es gibt tatsächlich, glaub ich, eine kritische Größe für Verlage und dass ist irgendwann , wenn ein Verlagsprogramm zu erfolgreich ist, dann gibt's ne Dynamik , dass sozusagen das geistige Interesse nachlässt dann kommt so eine wirtschaftliche Dynamik, die dem Programm nicht gut tut , Da hab ich bis jetzt keine Angst."