"Es gab Zeiten, in denen man ruhiger schlafen konnte"

Michael Krämer im Gespräch mit Ute Welty · 06.08.2011
Es fehle an Experten, die überzeugend argumentieren könnten, was jetzt in der Finanzkrise zu tun sei, kritisiert der Psychologe und Ex-Banker Michael Krämer. Das "Gambling" an den Börsen widerspreche unserer Ratio, verantwortlich mit Geld umzugehen.
Ute Welty: Bankenkrise, Eurokrise, Schuldenkrise, und wer die Aktienkurse der vergangenen Tage beobachtet, der sieht eine Altersvorsorgekrise und eine Vermögensvernichtungskrise auf sich zukommen, wenn er nicht schon mittendrin steckt. Also versuchen wir ein Stück Krisenbewältigung mit professioneller Hilfe in Gestalt eines Gespräches mit Diplompsychologe Michael Krämer, er forscht als Professor an der Fachhochschule Münster über Wirtschaftspsychologie und Personalentwicklung. Guten Morgen!

Michael Krämer: Einen guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Befinden wir uns in einer gefühlten oder in einer tatsächlichen Krise oder spielt das womöglich gar keine Rolle, weil die Reaktion eh dieselbe ist?

Krämer: Für den Betroffenen spielt das keine Rolle. Es gibt eine tatsächliche Krise, die durch wirtschaftspolitische Fakten bedingt ist, und diese kommt bei uns mehr oder weniger deutlich auch an.

Welty: Und die gefühlte Krise?

Krämer: Die gefühlte Krise ist dann, was ich für mich persönlich daraus ableite. Ob ich jetzt mit Angst in die Zukunft sehe oder ob ich sage, wirtschaftspolitische Fakten sind zwar wichtig, aber ich persönlich bin ja nicht so stark betroffen.

Welty: Was macht das denn mit mir oder vielleicht auch mit Ihnen, wenn tagtäglich die Medien alte und neue Schreckensmeldungen verkünden?

Krämer: Dass Medien Schreckensmeldungen verkünden, dass die hohen Nachrichtenwert haben, daran haben wir uns ja schon gewöhnt. Die Frage ist, wie interessiert bin ich, was gesellschaftspolitische Belange betrifft, was wirtschaftspolitische Fragen betrifft. Wenn ich mich näher dafür interessiere, dann kann ich schon sagen, es gab Zeiten, in denen man ruhiger schlafen konnte als heute. Wir haben ja Befragungsdaten, die deutlich machen, dass die Vertrauenswerte in unsere politisch Verantwortlichen wie auch in unsere wirtschaftlich Verantwortlichen gesunken sind. In Deutschland noch etwas dramatischer als im europäischen Ausland, aber das ist ja ein Ergebnis dieser Krisen, die in engem zeitlichen Abstand aufeinander folgen.

Welty: Im Grunde geht das ja jetzt schon seit drei Jahren so, seit der Lehman-Pleite 2008. Sie haben eben von einem gewissen Gewöhnungseffekt gesprochen, aber auf der anderen Seite stapelt sich ja der Stoff, aus dem die Sorgen sind, auf.

Krämer: Genau. Also, wir hatten eine Krise in den Finanzmärkten, diese wurde abgelöst durch einen konjunkturellen Aufschwung. Das können wir ja auch noch hören, das sind ja sehr zwiespältige Nachrichten, dass dieser konjunkturelle Aufschwung im Moment in Deutschland nach wie vor andauert. Und jetzt, in den letzten Wochen wird es ja immer deutlicher, deutet sich eine neue Wirtschaftskrise an. Also, das Aufstapeln führt ja eher dazu, dass wir merken, dass unsere bisher eingesetzten Instrumente nicht geeignet sind, eine deutliche Veränderung hinzukriegen. Aber es fehlt auch an den Experten, die überzeugend argumentieren können, was jetzt zu tun ist.

Welty: Gerade in dieser Woche haben wir das ja gesehen, da sollten zwei Maßnahmen die Märkte beruhigen, wie es so schön heißt, nämlich die Erhöhung des amerikanischen Schuldenlimits und die Aufstockung des europäischen Rettungsschirms. Warum hat das beides so wenig bis überhaupt nicht funktioniert?

Krämer: Also, zwei Fakten sind mir als Beobachter aufgefallen. Das eine war das lange Tauziehen, bis die Entscheidung in den USA getroffen wurde, welches deutlich gemacht hat, dass da unterschiedliche Konzepte aufeinandertreffen, wie diese Volkswirtschaft aus der Krise kommt. Das hat sehr verunsichert. Und das andere, dass im europäischen Rahmen ja unterschiedliche bekannte Verantwortliche sich direkt widersprochen haben – indem die einen gesagt haben, wir haben eine Lösung, wir gehen so vor, und von anderer Seite gesagt wurde, ja, das reicht ja alles überhaupt nicht aus und es muss noch mehr geleistet werden. Solche Widersprüche kann der Laie ja überhaupt nicht auflösen. Und das verunsichert.

Welty: Es verunsichert aber auch offensichtlich die Fachleute, nämlich diejenigen, die mit Aktien handeln?

Krämer: Richtig. Und im Moment deutet sich zumindest an den Börsen an, dass Gewinne mitgenommen werden, und das führt dann dazu, dass die Aktienkurse sinken und dass dann eben weiter verkauft wird.

Welty: Können Sie uns noch ein Stückchen mehr in das Innere, in die Psychologie eines Börsenhändlers hineinschauen lassen? Was geht da in einem Menschen vor, der dann auch wiederum umgeben ist von anderen, die ähnlich ticken?

Krämer: Nur soweit man das als Laie überhaupt kann, da reinzuschauen. Das eine ist, dass Personen, die an solchen zentralen Schaltstellen sitzen, mit großen Summen umgehen. Große Summen, die für viele von uns im täglichen Handeln gar nicht vorstellbar sind, und dadurch natürlich auch eine gewisse Distanz deutlich machen für Effekte, die ausgelöst werden, wenn man mit vielen Millionen, mit Milliarden und noch größeren Summen handelt. Das Zweite ist, dass dort primär der kurzfristige Erfolg zählt, dass es nicht so ist, dass entscheidend ist, ja, was kann eine heutige Entscheidung in einem halben Jahr, in einem Jahr auslösen, sondern da werden ja sogar in Sekundendifferenzen Kursunterschiede genutzt und es wird reagiert. Auch das ist für eine solche Person was ganz Entscheidendes. Und das Dritte, was mir einfällt, was ich selbst als Banker – war ich mal in meinem früheren Leben – gelernt habe, dass auch an der Börse so etwas wie ein spielerisches Handeln, das sogenannte Gambling eine Rolle spielt. Und das ist ja etwas, was unserer Ratio, verantwortlich mit Geld umgehen, total widerspricht.

Welty: Würden Sie sagen, dass Menschen überhaupt für dieses Spiel an der Börse gemacht sind?

Krämer: Das ist die Frage, wie sehr dann dieses gerade geschilderte Verhalten für eine Volkswirtschaft dienlich ist, wie sehr gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge dabei Berücksichtigung finden und langfristige Auswirkungen vernachlässigt werden. Also, gemacht schon, sonst hätten wir nicht über Jahre, Jahrzehnte einen wirtschaftlichen Aufschwung und ja auch enormen Wohlstand angesammelt. Aber die Kriterien, nach denen gehandelt wird individuell, sind nicht unbedingt die Kriterien, die für die Gemeinschaft dienlich sind.

Welty: Und was könnte helfen, dass die Gemeinschaft wieder stärker profitiert? Mit richtigem Atem allein ist es ja noch nicht getan.

Krämer: Ja. In Krisenzeiten haben diejenigen, die über Ethik und Werte sprechen, Konjunktur. Natürlich würde das helfen, wenn verantwortliches Handeln an bestimmten gemeinschaftlich verbindlichen Werten orientiert würde. Aber gut, das ist etwas, was in Krisen sicherlich gut klingt. Sobald die Krise nachlässt, gibt es ja auch egoistische Strömungen, die für unser Verhalten sehr einflussreich wirken.

Welty: Bis die nächste Krise kommt …

Krämer: Genau!

Welty: Krisenbewältigung per Interview zusammen mit Diplompsychologe Professor Michael Krämer. Danke dafür!

Krämer: Ich bedanke mich auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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