Erziehung, Unterdrückung und ihre Folgen

Von Bernd Sobolla · 15.10.2009
Selten startet ein Film mit so vielen Vorschusslorbeeren wie "Das Weiße Band" von Michael Haneke. Er erzählt von den menschlichen Abgründen in einer Dorfgemeinschaft in Norddeutschland vor dem Ersten Weltkrieg und gewann bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme.
"Die Frau heute, was hat die gehabt? / Welche Frau? Ach so, die war tot. / Was ist das? / Was? / Tot! / Was tot ist? Mein Gott, was für eine Frage?"

Was ist der Tod? Was ist Gewalt? Und vor allem: Wodurch wird Gewalt verursacht? Das sind Fragen, die Michael Haneke immer wieder in seinen Werken stellt. So auch in "Das weiße Band". Der Film spielt in den Jahren 1913/14: In einem protestantischen Dorf in Norddeutschland bilden der Baron, der Arzt und der Pastor eine klassische Hierarchie. Sie herrschen über Frauen, Kinder und Bauern. Der Baron und Gutsherr unterdrückt seine Arbeiter. Der Arzt kümmert sich freundlich um die Kinder im Dorf, aber demütigt seine Haushälterin. Und der Pastor redet seinen Kindern für kleine Vergehen ein schlechtes Gewissen ein und lässt sie ein weißes Band tragen als Mahnung, sich tugendhaft zu benehmen. Dann plötzlich geschehen mysteriöse Unfälle, die allmählich den Charakter ritueller Bestrafungen annehmen. Michael Haneke hat den Film in schwarz-weiß gedreht, unter anderem, weil die Epoche so im kollektiven Bewusstsein verankert ist.

Haneke: "Also wir alle kennen sehr viel Bildmaterial aus dieser Zeit und das ist schwarz-weiß. Schwarz-weiß ist aber gleichzeitig immer eine Abstraktion. Das heißt der Film kann von Anfang an gar nicht behaupten, Wirklichkeit zu schildern, sondern er gibt sich als Artefakt von vornherein zu erkennen."

Das Schwarz-weiß betont aber auch den düsteren Charakter der Geschichte. In diesem Sinne steht "Das weiße Band" ganz in der Tradition von Hanekes vielfach preisgekrönten Filmen, die immer wieder um menschliche Abgründe kreisen: In "Bennys Video" zum Beispiel schildert der Regisseur, wie ein Junge eine Freundin mit einem Bolzenschussgerät tötet, um zu sehen "wie das ist". In "Funny Games" wird eine Familie von zwei Besuchern gefangen und gequält. Und "Wolfzeit" handelt vom Ende der Zivilisation nach einer Atom- oder Naturkatastrophe. Dabei zeigt Haneke die Gewaltausbrüche nie explizit.

Haneke: "Die Frage ist, wie kann man in diesem Medium ein bisschen von dieser Freiheit, die der Rezipient in den anderen Kunstformen hat, auch dem Zuschauer im Film wieder geben. Und da gibt es nicht so wahnsinnig viele Möglichkeiten. Es gibt die Verwendung des Nichtgezeigten. Dass man damit sehr viel spielt. Und die Verwendung der offenen Dramaturgie. Ich sage immer: Filme sollten sein wie eine Sprungschanze. Gut gebaut, weil, wenn sie nicht gut gebaut sind, kann man nicht springen. Aber springen muss der Zuschauer."

Und so fordert Haneke auch mit "Das weiße Band" die Zuschauer auf zu springen, das heißt nachzudenken über Erziehung, Unterdrückung und ihre Folgen. Dabei kommt Burkhard Klaußner eine Schlüsselrolle zu, der als Pastor seinen Kindern immer mahnend gegenüber steht.

"Was willst du? / Ich hätte eine Bitte, Herr Vater. / Ja. / Ich habe ihn gefunden. Er hat sich wehgetan. / Und? / Darf ich ihn behalten? / Wie willst du denn das machen? / Ich mache ihn wieder gesund. / Und wenn er wieder gesund ist? Glaubst du nicht, dass er dir dann ans Herz gewachsen sein wird? Willst du ihn dann wieder frei lassen?"