Erzgebirge

Spielzeug aus dem Osten

Stoffpferd, aufgenommen in der Werkstatt von Renate Müller in Sonneberg aufgenommen.
Stoffpferd, aufgenommen in der Werkstatt von Renate Müller in Sonneberg aufgenommen. © Deutschlandradio - Marietta Scharz
Von Marietta Schwarz · 29.01.2014
In Ostdeutschland, von Thüringen bis zum Erzgebirge, hat die Spielzeugherstellung eine lange Tradition, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht: Eine Reise zu Manufakturen und Werkstätten in der erzgebirgischen Provinz, die unprovinzieller nicht sein könnten.
Es ist bereits früher Abend, als ich im Erzgebirge bei Barbara Seidler eintreffe. Die 21 Mitarbeiter ihrer Firma SINA sind längst nach Hause gegangen. Draußen riecht es nach Holzfeuer. Das Werksgelände in der 3000-Seelen-Gemeinde Neuhausen liegt im Dunkeln, alles ist still - bis auf den elektrischen Weihnachtsmann, der im Fenster des kleinen Showrooms monoton seinen Arm auf- und ab bewegt.
Ein Raum voll mit Holzspielzeug: bunte Baukästen, Großverpackungen mit sog. "Fröbel-Spielmaterial", kleine Zylinder, Kugeln, Quader oder rechteckige Plättchen aus Holz. An der Wand hängen diverse Auszeichnungen mit Designpreisen. Barbara Seidler greift nach den farbigen Holzwürfeln im Regal ...
Seidler: "Jede Farbe hat einen anderen Klang. Wenn ich den hellgrünen schüttle, ist das ein zarter Klang. Und bei dem blauen habe ich einen dunklen Klang. Das sind die Klingenden Bausteine, die sind in den 90er-Jahren auch schon zu kaiserlichen Ehren gekommen ..."
Die "Klingenden Bausteine" sind innen hohl und passen gut in eine Kinderhand. Der Entwurf, so simpel wie genial, stammt von der SINA-Geschäftsführerin höchstpersönlich, einer Autodidaktin, was Gestaltung betrifft.
Seidler: "Und damit haben wir in Japan so einen richtigen Run gestartet."
Holzwürfel aus der erzgebirgischen Provinz lösen einen "Run" in Japan aus. Barbara Seidler erzählt diese Erfolgsgeschichte ganz still und bescheiden. Als ob es ihr unangenehm wäre. Man muss nachfragen. Wie war das? Wie gelangten die bunten Würfel in den 1990er-Jahren nach Japan, und dann ins japanische Kaiserhaus, in die Hände der kleinen Prinzessin Ayako?
Seidler: "Wir haben das nicht gewusst. Wir hatten gar keine Ahnung ..."
Frau Seidler, heute 57 Jahre alt, holt ein bisschen aus, erzählt von der erzgebirgischen Spielemachertradition des 19. Jahrhunderts. Unzählige Familienbetriebe gab es hier in der Gegend, die über Generationen Spielzeug drechselten und schnitzten.
Spielzeugproduktion auch im VEB-Betrieb
Zu DDR-Zeiten wurden sie allesamt verstaatlicht, die hiesige Spielzeugtradition aber fortgeführt. Frau Seidler und ihr Mann arbeiteten damals im Volkseigenen Betrieb VERO, in dem Holzspiele aller Art hergestellt wurden Er als Produktionsleiter und sie im kaufmännischen Bereich. Dann kam der Mauerfall. Und für Frau Seidler die Chance, ihre kreative Leidenschaft auszuleben.
Seidler: "VEB-Betrieb wurde einfach liquidiert. Und mein Mann ... wollte einfach nicht sang- und klanglos zugucken, wie die damals 140-jährige Baukastentradition eingestampft wurde. Und dann hat er beschlossen, die Baukastentradition fortzusetzen, damals gab es auch einen Partner in Baden-Württemberg, und mit dieser Firma haben wir dann zusammen nach der Wende die SINA Spielzeug GmbH gegründet."
1993 der erste Auftritt bei der Spielzeugmesse in Nürnberg. Kleiner Stand, kaum Produkte, keine Unterlagen. Aber ein Jahr später, da waren es bereits zehn Produkte und SINA bekam für einen Baukasten einen Designpreis.
Seidler: "Also das war schon für uns als Ostfirma, neu auf dem Markt, also ich bin damals fast aus allen Wolken gefallen."
Und dann waren da die Japaner. Von Anfang an hätten sie sich für ihr Holzspielzeug interessiert, erzählt Barbara Seidler. Richtig feste Bande zwischen Sina und dem Land der aufgehenden Sonne knüpft aber erst Frau Nishikawa. Sie taucht eines Tages auf der Spielwarenmesse auf und beschließt, die Produkte von SINA und einigen anderen erlesenen Herstellern aus Ostdeutschland in ihre Heimat importieren. Spielzeug "Made in Germany" ist in Japan bis heute ein Gütesiegel, ein Statussymbol.
Seidler: "Wenn die Japaner zu uns an den Messestand treten, dann nehmen die das Spielzeug in die Hand, man sieht richtig die Hochachtung und die Wertschätzung, die lieben das. Die lieben die einfachen Formen."
Für SINA ist Japan der wichtigste Absatzmarkt. Barbara Seidler lobt die Geschäftsbeziehungen. Streng, aber korrekt, zuverlässig und wertschätzend seien die Japaner.
Irgendwann erscheinen dann in Japan Fotos: Darauf die kaiserliche Familie mit den "Klingenden Bausteinen" aus dem Erzgebirge in der Hand ...
Seidler: "Und ich wurde gefragt, ob ich mir diese Fotos mal anschauen würde und bestätigen könnte, dass es sich wirklich um unsere klingenden Bausteine handelt. Und dann habe ich die Bilder bekommen und da sitzt wirklich die japanische Kaiserin und hat diesen Baustein in der Hand, und der Kaiser auch.
Und die Ayako sitzt am Boden und spielt mit den Bausteinen. Und wenn in der kaiserlichen Familie ein Kind mit dem Spielzeug spielt, dann möchte die Bevölkerung das auch haben. Und so war es dann wirklich auch."
Das Erzgebirge ist berühmt für seine Spielzeugproduktion. Die Firma SINA gehört mit ihren schlichten Bauklötzen hier allerdings eher zu den Exoten. Die Region lebt heute von Volkskunst und Weihnachtsschmuck.
Nur fünf Kilometer von Neuhausen entfernt liegt Seiffen, ein Ort, in dem rund ums Jahr traditionelle Schnitzwaren produziert werden: Schwibbögen, Nussknacker, Räuchermänner in allen Variationen. Busladungen mit Touristen, vor allem Rentner, kommen täglich nach Seiffen, viele von ihnen verlassen den Ort mit sehr großen Tüten und hunderte Euro ärmer.
Fast jedes Haus im Ortszentrum beherbergt ein Geschäft mit "Original Erzgebirgskunst". Die Werkstatt ist gleich nebenan. Vieles wird hier in Handarbeit produziert. Vieles nur in kleinen Auflagen. Wie schon vor 250 Jahren.
Damals löste das Drechseln nach und nach den Zinnbergbau als Einnahmequelle im Erzgebirge ab. Die Zinnvorräte gingen zur Neige. Holz hingegen gab es genug, und in bürgerlichen Kreisen wurde Kinderspielzeug immer beliebter: Figuren, Tiere, Häuser, ganze Städte, die man aus Holz zusammensetzen konnte, in einer Schachtel verpackt, fanden vom Erzgebirge ihren Weg in die weite Welt. Zum Beispiel die sog. "Arche Noah": ein hölzernes Behältnis, das mit kleinen Tieren gefüllt ist. Sie wurde im 19. Jahrhundert zum Exportschlager. Vor allem bei strenggläubigen Familien in England und Amerika gehörte sie zu den wenigen erlaubten Sonntags-Spielzeugen.
Auch der Spielzeuggestalter Gerd Kaden, 64 Jahre alt, ist in Seiffen geboren und mit der "Arche Noah" aufgewachsen. Dort hat er in den 1960er-Jahren das Handwerk des Spielzeugmachers gelernt.
Kaden: "Also ich hab meine Wurzeln in der Tradition des Erzgebirges mit Engel, Bergmann, die Pyramiden. Aber eher von der Tradition her das Alte und sehe natürlich im Spielzeug die eigentliche Überlebenschance fürs Erzgebirge."
Gerd Kaden lebt in Neuhausen, am Ortsrand. Unten im Wohnhaus hat er eine kleine Manufaktur, wo Unmengen von Buchenholz verarbeitet werden. Zusammen mit seinem Sohn stellt Kaden hochpräzise, aber auch hochpreisige Kugelbahnen her.
In Gerd Kadens Kugelbahnen rollt die Kugel, obwohl es kein Gefälle gibt. Sie rollt und rollt und rollt.
Kaden: "Meine Kugelbahn basiert auf dem Baukastenprinzip. Die Kugel rollt immer in der Waagrechten, dann kommt wieder ein Viertelkreis und sie rollt in die andere Etage. Es gibt keine schiefe Ebene Da sind manchmal Ingenieure und Architekten schon verzweifelt. Wo ist die Schräge, haben die gedacht?"
Minimalistisch und genial
Oben, im Wohnzimmer, das einem kleinen Holzspielzeug-Museum ähnelt, zeigt Gerd Kaden das Grundmodul seiner Kugelbahnen, auf dem alles basiert: Es ist ein halber Würfel, in den ein Viertelkreis gefräst ist. Setzt man die beiden Würfelhälften zusammen, schaut man oben in ein kreisrundes Loch. Die Kugel, die hier reinfällt, kommt mit allerhand Schwung an der Seite wieder raus. Dieser Drall reicht, um die nächste Waagrechte zu überwinden bis zum nächsten Loch.
Minimalistisch und genial - trotzdem jahrzehntelang nicht beachtet.
Kaden: "Die Kugelbahn geht zurück auf das Jahr 1975. Aber man war ja in der DDR nicht in der Lage, in der Industrie ein Produkt zu landen von der Gestaltung her. Die Industrie war geprägt von der Herstellung für den Export und da kamen die Dinge, die exportiert werden mussten, meist von außen. Der Gestalter hatte in seiner Anstellung eher die Aufgabe, nicht eigene Ideen groß einzubringen, sondern die Produkte, die für den Export geeignet waren, so anzupassen, dass sie funktionierten."
Und so landet der Kugelbahnbaukasten neben vielen anderen Spielzeug-Prototypen in der Schublade, beziehungsweise im großen Wohnzimmer-Schrank, den Gerd Kaden für mich öffnet.
Kaden: "Das ist so ein bisschen mein Schrank der Inspiration."
Ein Schrank voller Ideen, die Gerd Kaden nach dem Mauerfall in seiner eigenen Firma produziert. Doch das Geschäft läuft zunächst nur schleppend an. Bis zum Jahr 2000...
Kaden: "Und da sind wir dann nach Nürnberg zur Spielzeugmesse. Und dann gings richtig los."
Zuerst ein kleiner Schock: Gerd Kaden erblickt die Kugelbahn eines Schweizer Herstellers, die fast baugleich ist. Ein Moment des Misstrauens – wer hat die Idee von wem gestohlen? Doch es ist ein Zufall, eine Parallelentwicklung in Ost und West.
Am Ende geben sich die Konkurrenten die Hand, heute sind sie Freunde. Ihre Produkte sind Designklassiker. Beide exportieren nach Japan.
Kaden: "Und das kostet ja unglaublich viel in Japan, das Spielzeug, das Sechsfache der Herstellung. Die wollen die Authentizität, die wollen die Geschichte mitverkaufen. Da siehste dein Porträt neben dem Baukasten und ne Geschichte dazu ..."
Gerd Kaden sieht sich wie viele herausragende Spielzeugdesigner aus dem Osten in der Tradition des Bauhauses und des Deutschen Werkbundes. Kein Wunder, denn die Bauhaus-Lehre wurde in der DDR auch speziell im Bereich Spielzeuggestaltung weitergegeben. Spielzeuggestaltung konnte man in der DDR anders als in der Bundesrepublik studieren.
Nicht nur in Halle, an der "Burg Giebichenstein", sondern auch an Fachschulen für angewandte Kunst, zum Beispiel in Schneeberg im Erzgebirge und in Sonneberg in Thüringen. Reinhild Schneider, Direktorin des Deutschen Spielzeugmuseums dort, sieht darin einen Grund, weshalb besonders viele herausragende Spielwarengestalter aus dem Osten kommen:
Schneider: "Das ist jetzt eine kühne Behauptung, aber ich glaube, dass die Entwicklung in der DDR sich insofern von der der westlichen Länder unterschied, als dass nicht allein der Markt die Spielzeuggestaltung bestimmte. Auch nicht die Ideologie. Mir erscheint es vor allem wichtig, dass man in der DDR auch in der Heranbildung auch des Spielzeugdesign, der Gestalter, viel Wert darauf gelegt hat, dass Spielzeug pädagogisch wirksam sein musste. Es musste also eine gute Gestaltung haben."
Spielzeugmuseum in Sonneberg
In der Spielzeugstadt Sonneberg bauten die Gestalter dabei auf einer mehr als 150-jährigen Tradition auf. Schon im frühen 19. Jahrhundert schaffte es die Stadt mit der Erfindung des Papier-Machés und der daraus folgenden seriellen Produktion von Puppen und Tieren an die Weltmarktspitze.
Die Eröffnung der Fachschule für angewandte Kunst - einer Institution, an der Spielzeugentwicklung großgeschrieben wurde - förderte in der 24.000-Einwohner-Gemeinde Innovation und Gestaltung von Spielen nach den Wirren des Krieges neu. Die Lehrer hier hatten teilweise bei Bauhäuslern studiert. Reinhild Schneider nennt das Beispiel der Designerin Helene Haeusler, die 1953 als Lehrende nach Sonneberg kam:
Schneider: "Helene Haeusler ist eine Frau, die ihre Inspiration und Philosophie des Arbeitens vom Deutschen Werkbund herleitet. Sie folgte einem Ruf an die damalige Fachschule für angewandte Kunst, und sie hatte dort die Fachrichtung 'Puppe, Textil" inne. Diese Zeit war eine gute Zeit für die Sonneberger Ausbildung der Spielzeuggestaltung. Man machte Entwürfe für die damals noch in kleinen Formationen arbeitende Spielzeugindustrie in den umliegenden Orten."
Im Spielzeugmuseum Sonneberg kann man die Werke Helene Haeuslers und ihrer Schüler sehen. Darunter ein Püppchen aus den 1930er-Jahren, das dem damaligen Ideal der Puppe mit festem Kopf und Kleidern im Geiste der Zeit so gar nicht entspricht, sondern ganz weich ist , nur aus Stoff besteht, kindliche, aber nicht naturalistische Züge besitzt. Im Laufe der 50er-Jahre widmete sich Haeusler dann ganz der Spielzeugentwicklung für Behinderte:
Schneider: "Das Innovative war dieser neue Oberstoff Rupfen bzw. Sackleinen. Das war also kein Plüsch, kein Molton, ein raues, sehr derbes Material, das vollkommen neue Eigenschaften aufwies für den Spielgebrauch."
Die Werkstatt von Renate Müller ist nur ein paar Meter vom Spielzeugmuseum in Sonneberg entfernt. Alles, was hier herumliegt und steht, trägt Geschichte in sich: Die vergilbten Schnittmusterbögen an der Wand, die gusseisernen Nähmaschinen, die alten Stopfeisen. Und eben der Rupfen, dieses grobe, extrem haltbare Zellwoll-Jute-Gemisch, das das Aussehen ihrer Tiere so prägt.
Müller: "Ich muss sehr große Formen wählen, weil das Material sehr starr ist und sehr grob, und weil sich das gar nicht so fein ausformen lässt."
Die Geschichte der Müllerschen Krokodile, Nashörner oder Giraffen beginnt in den 1960er-Jahren mit der Gestalterin Helene Haeusler. Und sie erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt 2012, als die Rupfen-Tiere im New Yorker Museum of Modern Art präsentiert werden als Designobjekte der Nachkriegszeit mit DDR-Vergangenheit.
Frau Müller ist heute 68 und hat einen Exklusiv-Vertrag mit einer New Yorker Galerie, die ihre Werke zu Höchstpreisen, teilweise mehrere tausend Euro, verkauft. Eine neue Lieferung steht reisefertig verpackt in der Werkstatt. Knapp 50 Tiere, ein Jahr hat sie daran zusammen mit ihrer Tochter gearbeitet.
"Das sind jetzt die großen Spielelemente, ein Krokodil, eine Giraffe. Giraffen verfolgen mich eigentlich seit meiner Studienzeit ..."
Die Tiere sind teilweise riesig - ein Krokodil so groß wie ein Sofa. Eine Schildkröte zum Draufsitzen. Oder ein Elefant in der Größe eines Schaukelpferdes. Keine Stofftiere im herkömmlichen Sinne, sondern therapeutisches Spielzeug - auf wenige Farben und Materialien reduziert. Zudem extrem fest gestopft und mit Haltegriffen versehen. Fast unkaputtbar. Und deswegen bestens geeignet für Turnübungen in der Therapie:
Müller: "Das Krokodil ist entstanden in Zusammenarbeit mit der Neuropsychiatrischen Kinderklinik in Nordhausen. Ich wollte etwas ins Figürliche machen, aber mit mehr Möglichkeiten: Viel Greifmöglichkeiten, Materialkontraste, kalt, rau, warm, glatt..... Das ist für Kinder gewesen mit Verhaltensstörungen, welche die sehr depressiv waren, aber auch für hyperaktive Kinder."
Jedes Tier, sagt Renate Müller, hat seine eigenen therapeutischen Ideen, aber auch sein eigenes Maß. Es muss halten, was es verspricht, sagt sie. Also nicht leicht sein, wenn es schwer aussieht. Nicht weich sein, wenn es fest aussieht und so weiter. Es muss ehrlich sein und darf einen nicht betrügen. Typische Bauhaus-Sätze, die ihre Dozentin Helene Haeusler ihr Anfang der 60er-Jahre an der Fachschule in Sonneberg mitgegeben hat:
Müller: "Die hat uns auch gelehrt, sehr elementar zu denken. Überlegt euch, für wen ihr das macht, sonst ist es Materialvergeudung und Kraftvergeudung. Macht was 'Gscheites!', wie die Sonneberger sagen, dass es dann auch Sinn und Zweck hat."
Nach ihrem Studium stieg Renate Müller 1967 in den elterlichen Betrieb ein, damals eine Manufaktur mit rund 50 Mitarbeitern, in der unter anderem Plüschtiere hergestellt wurden. Sie beginnt auf Drängen Helene Haeuslers, die Rupfen-Tiere in Produktion zu bringen. Haeusler hatte drei Prototypen mit Studenten entwickelt.
Stofftiere im DDR-Kindergarten
In den kommenden Jahren erweitert Renate Müller die Palette der Tiere. Sie werden bis zum Mauerfall produziert, trotz Verstaatlichung, und stehen fast in jedem DDR-Kindergarten. Zehn Leute sind mit der Produktion beschäftigt, von der Zuschneiderin bis zum Stopfer. Die einzige, die jeden Arbeitsgang beherrscht, ist Renate Müller, doch man versetzt sie in eine andere Abteilung.
Erst nach der Wende sollte sie wieder Herrin über jeden einzelnen Arbeitsschritt werden.
"So, gehen wir mal runter , in meine Katakomben, das ist der etwas staubigere Teil meiner Arbeit. Das ist der Raum, wo das Leder gestanzt wird und die Holzwolle gestopft wird."
Im Keller ist es kalt. Ein Tisch in der Ecke mit einem Berg Holzwolle. Daneben die alte Stanze aus DDR-Zeiten, mit der unter beträchtlichem Lärm die farbigen Lederteile für die Tiere ausgeschnitten werden.
Renate Müller zieht ein L-förmiges Stück Stoff hervor. Oben schmal, hinter der Biegung etwas bauchiger, rechts und links hängen vier Lappen herunter. Es ist eine Hülle aus Rupfen, die bereits mit Lederteilen benäht ist. Sie greift nach einem langen Eisenstab, stülpt eine Handvoll Holzwolle oben über. Und schiebt dieses Stopfeisen samt Holzwolle durch ein handgroßes Loch ins Innere der Hülle ...
"Und dann wird es hier Stück für Stück mit Handkraft und Muskelkraft ausmodelliert. Jede Figur muss Stück für Stück modelliert werden ..."
Noch eine Ladung Holzwolle. Noch ein, zwei gekonnte Schläge.
Reporterin: "Frau Müller, das sieht wahnsinnig anstrengend aus!"
Renate Müller: "Ist es auch."
Und plötzlich ist er unverkennbar: der Kopf eines Seehundes.
Einen ganzen Monat braucht Renate Müller für manche Tiere vom Zuschneiden bis zum Stopfen. Ihre Finger sind taub vom Nähen. Aber sie macht weiter. Mit großer Lust. Nur der Rupfen, der noch aus alten DDR-Beständen stammt, geht langsam zur Neige. Bis zu ihrem 80. Lebensjahr, hat sie ausgerechnet, könnte er noch reichen. Danach ist Schluss.
Müller: "Ich werde immer wieder gefragt: Wer macht denn da mal weiter? Und dann sage ich immer: Wenn morgen ein Maler stirbt, der kann auch nicht sagen: Mein Sohn malt morgen die Bilder weiter. Das geht einfach nicht. Das ist meine künstlerische Handschrift, und die will ich auch nicht durch Fremde verfälschen lassen. Es kann nur schlecht werden. Schlechter."
Ein schöner Abschlusssatz. Aber eine Frage muss ich noch stellen, Frau Müller. Waren Sie jemals bei der Spielwarenmesse in Nürnberg und sind Sie dort Japanern begegnet?
Müller: "Bei mir war das so, ich hatte einen zehn Quadratmeter großen Stand. Und da stand dann am zweiten Tag der Herr Tadashi Zusi vor mir, verbeugte sich und klatschte in die Hände und sagte: Bitteschön, sind Sie Frau Müller? Wer macht diese Sachen? Und ich: Ja, das ist zufällig von mir, mache ich auch selber.
Und er: Sie machen diese tollen Sachen?! Seit zwölf Jahren arbeite ich als Sonderpädagoge in Japan mit diesen Tieren. Ich habe die von einem Kunden in Westdeutschland gekauft und der hat mir nicht verraten, dass die aus Sonneberg in Thüringen sind! Seitdem sind die Kontakte, seit Frühjahr 1992. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis."