Donnerstag, 28. März 2024

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Tote Schafe und Ziegen in Sachsen
"Das Problem sind weniger die Wölfe"

Nahe der ostsächsischen Ortschaft Förstgen haben Wölfe 43 Schafe und Ziegen getötet. Um die Tiere besser schützen zu können, brauche es höhere Fördersätze für Schäfereien, sagte Annett Hertweck, Leiterin der Naturschutzstation Östliche Lausitz, der die Herde gehört, im Dlf. Denn die Wölfe seien weniger das Problem.

Annett Hertweck im Gespräch mit Jule Reimer | 11.10.2018
    Tote Schafe der Herde der Naturschutzstation Östliche Oberlausitz liegen auf einer Wiese
    "Unser Schäfer und ein Kollege haben vier Wölfe selbst gesehen und ich habe auch einen Wolf gesehen", sagte Annett Hertweck im Dlf. (picture alliance/Benno Bilk/dpa)
    Jule Reimer: Es muss kein schöner Anblick gewesen sein, der sich gestern nahe eines kleinen Ortes in Sachsen bot. Über 40 tote Schafe und Ziegen fanden die Betreiber der Naturschutzstation Östliche Lausitz - die liegt in der Nähe von Bautzen – gestern Morgen vor. Rund 60 Tiere waren außerdem erst einmal verschwunden, davon die Hälfte bis heute.
    Eine Wolfsattacke sei es gewesen, hieß es gestern. 550 Schafe und Ziegen hält die Station und pflegt mit den Tieren Feuchtwiesen, Heideflächen und Trockenrasen.
    Kurz vor dieser Sendung fragte ich Annett Hertweck, die die Naturschutzstation in Förstgen leitet, ob sich der Verdacht des Wolfsangriffs bestätigt habe.
    Annett Hertweck: Es ist sicher. Unser Schäfer und ein Kollege haben sogar vier Wölfe selbst noch gesehen und ich habe auch einen Wolf gesehen. Wir gehen da zu 100 Prozent von einer Wolfsattacke aus.
    "Herdenschutzhunde sind momentan keine Option für uns"
    Reimer: Wieviel Schaden bilanzieren Sie bis jetzt?
    Hertweck: Bis jetzt ist es so, dass wir 43 tote Schafe und Ziegen dokumentieren konnten. 28 Tiere sind noch vermisst.
    Reimer: Jetzt sagen ja die Naturschutzverbände, man muss die Tiere schützen in bestimmter Form, zum Beispiel mit Zäunen. Wie passiert das bei Ihnen?
    Hertweck: Wir haben diese mobilen Euronetze. Die sind 1,10 Meter hoch. Und wie gesagt: Wir koppeln die Tiere täglich um, so dass auch jeden Tag ein Schäfer bei den Tieren vor Ort da ist. Das ist der Hauptgrund. An bestimmten Stellen haben wir auch einen Nachtpferch. Da werden die Tiere nachts eingebracht und am nächsten Morgen wieder rausgeholt und dann tagsüber gehütet.
    Reimer: In Italien zum Beispiel war der Wolf immer da. Dort werden die Herden mit speziell ausgebildeten Hütehunden betrieben.
    Hertweck: Genau. Diese Herdenschutzhunde sind momentan keine Option für uns. Wir haben fünf Herden und bräuchten damit auch zehn Herdenschutzhunde. Wir haben teilweise auch kleine Flächen, mal einen Hektar oder zwei Hektar, worauf bloß zehn Schafe stehen und die beweiden. Das wäre unpraktikabel. Und es ist auch ein Kostenfaktor. Die Hunde sind sehr teuer, nicht nur in der Anschaffung, sondern in der Unterhaltung. Wir sagen immer, sobald die Herdenschutzhunde Gras fressen, werden wir sie nehmen, denn sonst ist der Aufwand sehr groß, weil unsere Schäfer auch noch Hütehunde haben.
    "Ein wahnsinniger logistischer und arbeitsintensiver Aufwand"
    Reimer: Jetzt gibt es ja Stimmen, vor allen Dingen in Sachsen unter anderem hat sich das gemehrt, den Wolf in das Jagdrecht wieder aufzunehmen. Wäre das für Sie eine sinnvolle Lösung?
    Hertweck: Wir sind ja eine Naturschutzstation und werben auch dafür, als Vermittler zwischen Landnutzer und Naturschützer und Wolfsgegner zu sein, und das machen wir auch weiterhin. Wie gesagt: Wie das jetzt praktikabel gemacht werden soll, ob Problemwölfe entnommen werden, in welcher Form und ob und ob nicht, das müssen wir die Experten entscheiden lassen.
    Reimer: Was wäre denn für Sie eine sinnvolle Unterstützung in Sachen Vorsorge vor solchen Angriffen und auch in Sachen Kompensation? Ich weiß jetzt nicht, ob Sie jetzt Entschädigungen bekommen für die Tiere, oder wie muss man sich das vorstellen?
    Hertweck: Normalerweise wird das alles aufgenommen. Der Schaden wird dann bearbeitet und dann gibt es einen Schadensausgleich. Im letzten Jahr hatten wir leider den Fall, dass 29 Tiere entlaufen sind und diese Tiere nicht als Schaden durch den Wolf anerkannt worden sind.
    Reimer: Das heißt, die sind auch nicht wiedergekommen?
    Hertweck: Die sind nicht wiedergekommen. Ob sich das jetzt ändert durch die neue Wolfsattacke, das kann man ja bloß hoffen, dass es da den Ausgleich gibt, und ansonsten vorsorgen. Wie gesagt: Wir können eigentlich bloß die Euronetze bauen und dann versuchen, an strategisch wichtigen Plätzen Nachtpferche zu errichten, wobei ich da auch sagen muss: Mit diesen Fördersätzen, die wir in Sachsen haben, dieser ganze Arbeitsaufwand, man muss ja die Personalstellen dann irgendwie auch einteilen, früh müssen die Schafe rausgetrieben werden, abends muss dann wieder jemand kommen und sie reintreiben. Das ist ein wahnsinniger logistischer und auch arbeitsintensiver Aufwand und der wird mit den Fördersätzen definitiv nicht refinanziert.
    Es braucht "mehr Wertschätzung der Schäfereien"
    Reimer: Das heißt, wenn Sie mehr Finanzhilfe hätten, dann kämen Sie auch mit den Wölfen besser zurecht?
    Hertweck: Na ja. Wenn ich die Nachtpferche ordentlich aufbauen kann und auch dafür einen Zuschuss bekomme – in Sachsen sind die stationären Nachtpferche nicht förderwürdig. Das ist auch so eine Sache, die man mal ansprechen sollte.
    Reimer: Das heißt, grundsätzlich mehr Unterstützung durch die Politik?
    Hertweck: Auf alle Fälle! Auch mehr Wertschätzung der Schäfereien. Das größte Problem sind eigentlich bei uns in unserem Naturschutzverein weniger die Wölfe als mehr noch die ganze Situation darum herum. Wir haben Flächen verloren. Wir müssen uns in Konkurrenz begeben mit Wirtschaftsbetrieben. Die Mahd ist viel billiger als eine Beweidung. Das wird jetzt in den Ausschreibungen auch immer mehr gefordert, wenn man sparen will. Das sind die eigentlichen Probleme, die wir haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.