Erzählband von Ilf und Petrow

Groteskes aus der sowjetischen Zeit

Blick auf die Inschrift Odessa am Denkmal des Herzog de Richelieu am Primorsky Boulevard
Ilja Fainsilberg und Jewgenij Katajew alias Ilf und Petrow wurden beide in Odessa geboren. © picture alliance / ZB / Daniel Gammert
Von Olga Hochweis · 13.02.2016
Es gibt viel zu lachen in "Kolokolamsk und andere unglaubliche Geschichten" von Ilf und Petrow. Das sowjetische Autoren-Duo übte in den Erzählungen aus den späten 20er- und frühen 30er-Jahren deutliche Kritik am Staat - erstaunlicherweise ohne dafür behelligt zu werden.
Welche enorme Popularität das sowjetische Autoren-Duo Ilf und Petrow bis heute in Russland genießt, beweist nicht nur der anhaltende Erfolg ihrer mehrfach verfilmten Romane "12 Stühle" von 1928 und "Das goldene Kalb" von 1931. Die Ausnahme-Position der beiden als Lichtgestalten des sowjetischen Humors wird besonders plastisch in einem Kleinplaneten namens "3668 IlfPetrov". Diesen Namen erhielt er offiziell nach der Entdeckung durch eine russische Astronomin im Jahr 1982.
Ilja Fainsilberg und Jewgenij Katajew alias Ilf und Petrow wurden in Odessa geboren, der quirligen, lange Zeit multikulturellen Stadt am Schwarzen Meer, die von jeher für einen besonderen Menschenschlag voller Witz und Schlagfertigkeit steht. Allerdings lernten sich die beiden Odessiten, die sich zunächst in diversen Berufen ausprobierten, in Moskau kennen. Sie schrieben für dieselbe Zeitung, und machten sich aus Initiative von Petrows Bruder, eines Schriftstellers, schließlich an ihre erste gemeinsame Prosa-Arbeit. Wie "12 Stühle" erschienen auch "Die unglaublichen Geschichten aus dem Leben der Stadt Kolokolamsk" im Jahr 1928. Der Zyklus aus je zwei-dreiseitigen Geschichten gibt diesem nun vorliegenden Sammelband mit drei weiteren Erzählzyklen aus den späten 20er- und frühen 30er-Jahren den Titel.
Spaß an der Groteske
Kolokolamsk ist ein Fantasie-Ort – auch wenn die beiden Verfasser Gegenteiliges behaupten und betonen, er läge genau an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine und sei deshalb auf keiner Landkarte zu finden. Die klangliche Anspielung (Kolokol = die Glocke) auf Wolokolamsk, 120 km nördlich von Moskau, skizziert eine prototypische russische Kleinstadt mit ihren mehr oder weniger durchschnittlichen Bewohnern. Es sind Kleinbürger, die gern in die Kneipe "Zum Magenfreund" gehen und auf finanzielle Vorteile bedacht sind, ansonsten aber ihre Ruhe haben wollen. Die neue sowjetische Zeit stellt nun ganz neue Herausforderungen – und birgt Gefahren.
Da ist der einfache Schuhwachs-Hersteller Sawitkov, der nächtelang davon träumt, wie hochgestellte Parteigenossen sich nach russischem Brauch auf der Straße vor ihm verbeugen. Als er den Nachbarn von den sich ständig steigernden Alpträumen berichtet, (zuletzt küsst ihm sogar der Vorsitzende des Exekutivkomitees die Hand), wollen diese aus Angst Sawitkow nur noch loswerden. Als eine Filmcrew durch den Ort fährt – auf dem Weg nach Kamtschatka , um das "Blockhaus" am Baikalsee" zu drehen – und der Regisseur noch "einen Idioten" für seinen Film sucht, wird Sawitkow gefesselt den Filmleuten geschenkt. Endlich können die Bürger von Kolokolamsk wieder friedlich schlafen.
Der Spaß an der Groteske, der Satire und dem Spiel mit Klischees verbindet Ilf und Petrow mit dem Werk Gogols. Vor ihm und dessen Novelle über eine abhanden gekommene Nase verbeugen sie sich in der Erzählung "Die Lichtgestalt". Sie handelt von einem Mann, der aufgrund einer Zauber-Seife gänzlich verschwindet und die Machtverhältnisse und Intrigen des Ortes damit in fulminante Bewegung setzt.
Die Unfähigsten haben das Sagen
Es gibt viel zu lachen in diesem Buch, doch es ist kein naiver Humor. Ilf und Petrow nehmen schonungslos die neue Herrschaft aufs Korn, zum Beispiel den Übereifer solcher Sowjetbürger, die nicht nur Zirkel "zur Erziehung der sowjetischen Mutter" gründen, sondern auch gleich solche "zur Weiterbildung des "sowjetischen Säuglings". Im Zyklus "Das Wachsfigurenkabinett oder im Land der unerschrockenen Idioten" geht es in immer wieder neuen Varianten um den Typus des faulen Büromenschen, der den Tag mit Nichtstun, aber auch Belehrung und Bevormundung anderer verbringt. Eine weitere Geschichte erzählt, wie ein Besucher problemlos eine Fabrik mit einer Irrenanstalt verwechselt. Es sind ausgerechnet immer die Unfähigsten, die das Sagen und die Macht haben.
Heute fragt man sich, wie es möglich war, dass Ilf und Petrow so deutlich Kritik an ihrem Staat üben konnten. Es mag den vergleichsweise politisch liberalen Jahren und der enormen Popularität der beiden zu verdanken sein, dass sie nicht behelligt wurden. Im Gegenteil genossen sie sogar Privilegien: 1935 wurden die beiden von der "Pravda" auf eine zweijährige Amerika-Reportage-Reise geschickt. Wenige Monate nach der Rückkehr starb Ilf an Tuberkulose – und die Zeit des dunklen Stalinschen Terrors nahm ihren Anfang. Erst nach dem Tod des Diktators wurden Ilf und Petrow wieder veröffentlicht.

Ilja Ilf & Jewgenij Petrow: Kolokolamsk und andere unglaubliche Geschichten
Aus dem Russischen von Helmut Ettinger
Originalausgabe, nummeriert und limitiert, konstruktivistisch anmutende Innentypografie mit 4 Collagen und einem blind geprägten, roten Bezug, Fadenheftung, Lesebändchen, Buchgestalter: Drushba Pankow
Die andere Bibliothek, Berlin 2015
338 Seiten, 42,00 Euro

Mehr zum Thema