Dienstag, 23. April 2024

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Attraktivität der Bundeswehr
"Es ist ein richtiger Ansatz"

Die Pläne von Verteidigungsministerin von der Leyen für eine attraktivere Armee gingen in die richtige Richtung, sagte der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, im DLF. Lebensumstände und die Ausrüstung der Soldaten müssten sich bessern - auch, um internationale Verpflichtungen einhalten zu können.

Harald Kujat im Gespräch mit Sandra Schulz | 30.01.2015
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr ( picture alliance / ZB)
    Sandra Schulz: Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz - das ist ein Wort, an dem Mark Twain seine Freude gehabt hätte. Es ist ganz einfach, jedenfalls sprachlich: Die Bundeswehr soll attraktiver werden, oder, um es im Nominalstil zu sagen, die Attraktivität der Bundeswehr soll gesteigert werden. Und über das Gesetz, das die Große Koalition dazu vorgelegt hat, hat der Bundestag heute in erster Lesung diskutiert.
    Wir wollen das weiter einordnen - am Telefon ist Harald Kujat, früher Generalinspekteur der Bundeswehr. Guten Tag!
    Harald Kujat: Guten Tag, Frau Müller.
    Schulz: Schulz mein Name, aber das nur der Vollständigkeit halber. - Herr Kujat, wird die Bundeswehr attraktiver mit dem Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz?
    Kujat: Ich hoffe das sehr! Sie muss attraktiver werden, denn die Bundeswehr hat eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, und dazu braucht sie Personal, und zwar nicht nur Personal in der notwendigen Anzahl, sondern auch in der notwendigen Qualität. Deshalb begrüße ich diese Maßnahme, die jetzt auf den Weg gebracht wird. Das ist ein richtiger Ansatz, auch wenn man mehr tun muss. Das ist völlig klar. Aber es ist ein richtiger Ansatz. Ich habe ja zunächst mal den ersten Anstoß - Stichwort Flachbildschirme - kritisiert, weil er mir zu vordergründig war, zu oberflächlich und nicht die eigentlichen Probleme angepackt hat. Dieses ist jetzt der richtige Weg, aber es muss auch noch mehr geschehen.
    Schulz: Das heißt, die Bundeswehr wird attraktiver, aber nicht attraktiv?
    Kujat: Sie wird sicherlich attraktiver, das hoffe ich jedenfalls, man muss das abwarten. Wir sind ja auch immer, oder die Bundeswehr ist ja immer auch in Konkurrenz zur Wirtschaft. Aber alleine diese Maßnahmen werden nicht das bewirken, was eigentlich bewirkt werden muss, nämlich dass die Bundeswehr die nötigen Soldaten auch in der nötigen Qualität bekommt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt und dazu gehört - das ist ja auch in Ihrer Einspielung aus dem Bundestag angeklungen - auch, dass die Lebensumstände der Soldaten in den Kasernen verbessert werden, dass also die maroden Kasernen insbesondere im Westen Deutschlands endlich auf einen modernen Stand gebracht werden, dass wir die Zimmerbelegungszahlen reduzieren, dass wir Sanitäreinrichtungen für die Soldaten schaffen. Also man wird natürlich nicht die gleichen Verhältnisse wie zuhause schaffen können, aber die Lebensumstände in den Kasernen müssen sich deutlich verbessern.
    Und als drittes muss hinzukommen unbedingt, dass auch die Ausrüstung der Soldaten verbessert wird. Die Soldaten müssen die Gewissheit haben, dass ein Land wie Deutschland, ein wirtschaftlich starkes Land, ihnen die beste Ausrüstung zur Verfügung stellt, die überhaupt nur zur Verfügung gestellt werden kann, damit sie, wenn sie in einen Einsatz gehen, auch sicher sind, dass sie den Auftrag, der ihnen vom Parlament gestellt wird, erfüllen können, und das beim Höchstmaß an Sicherheit für sie selbst.
    "Wichtig ist, dass es überhaupt geschieht"
    Schulz: Herr Kujat, wenn wir noch mal bei diesem Gesetzentwurf bleiben. Es geht da um bessere Möglichkeiten für teilzeitgeregelte Arbeitszeiten. Ist das denn jetzt der Gesetzentwurf einer Verteidigungsministerin, oder, um jetzt diese Kritik noch mal aufzugreifen, ist das doch die frühere Familienministerin von der Leyen?
    Kujat: Es schadet ja nichts, wenn die Verteidigungsministerin Erfahrungen mitbringt, die sie als Familienministerin gesammelt hat. Ich bin der Überzeugung, dass diese Maßnahmen schon lange hätten erfolgen müssen, unabhängig davon, wer nun tatsächlich dieses Amt besetzt. Dass das nun Frau von der Leyen macht, die vorher Familienministerin war, das mag einen positiven Einfluss auf diese Maßnahmen haben, weil sie die Sachkenntnis mitbringt. Aber wichtig ist, dass es überhaupt geschieht, denke ich.
    Schulz: Aber erklären Sie uns das noch mal: teilzeitgeregelte Arbeitszeiten. Wie geht das überhaupt bei der Bundeswehr?
    Kujat: Es geht nicht in allen Bereichen. Man kann also nicht sagen, jeder wird Teilzeit machen können. Zum Beispiel Disziplinarvorgesetzte. Ein Disziplinarvorgesetzter ist man nicht sieben Stunden oder drei Stunden am Tag, sondern 24 Stunden am Tag. Es gibt also Funktionen, bei denen das nicht möglich ist. Aber es gibt eben auch Funktionen, bei denen es möglich ist, und da muss man alles, was dazu führen könnte, dass das attraktiv ist, dass der Dienst attraktiv wird für Bewerber, das muss man machen. Durch die Neuausrichtung der Reformen haben wir die Bundeswehr in eine Zwangsjacke gesteckt, die aus zwei Elementen besteht. Das eine Element ist der sogenannte demografische Faktor, der zum Tragen kam mit dem Wegfall der Wehrpflicht, wo uns die Bewerber nicht nur nach Zahlen, sondern insbesondere auch nach Qualität weggebrochen sind. Und das zweite ist die finanzielle Unterfinanzierung der Bundeswehr. Diese beiden Aspekte muss man überwinden, und dieses ist ein erster Schritt dazu.
    Schulz: Wie soll das überwunden werden? Rechnen Sie damit, dass die Bundeswehr absehbar mehr Geld bekommen wird, dass das gesellschaftlich vermittelbar ist?
    Kujat: Ob das gesellschaftlich vermittelbar ist, da habe ich meine Zweifel. Aber die Aufgabe der Bundesregierung ist es, das zu tun, was notwendig ist, damit die Streitkräfte ein wirksames Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik sind. Das ist das eine. Und zweitens muss die Bundesregierung zu ihren Verpflichtungen stehen. Die Bundeskanzlerin hat sich Anfang September auf dem NATO-Gipfel zu drei Maßnahmen persönlich verpflichtet. Erstens: Der Anteil der Aufwendungen für Verteidigung am Bruttoinlandsprodukt ist zu steigern von 1,3 Prozent auf zwei Prozent. Zweitens: Der Negativtrend des Verteidigungshaushalts ist sofort zu stoppen. Und drittens: Der Anteil an Ausgaben für die Ausrüstung und Bewaffnung der Streitkräfte ist auf über 20 Prozent des Haushaltes anzuheben. Das sind die drei Verpflichtungen, die die Bundeskanzlerin persönlich eingegangen ist. Wie auch immer die Einstellung der Bevölkerung dazu ist, es gibt hier eine internationale Verpflichtung innerhalb des Bündnisses, und diese Verpflichtung ist zu erfüllen, nicht nur, weil es eine Verpflichtung ist, sondern weil es auch richtig ist.
    "Wir müssen Zahl und Qualität der Bewerber erhöhen"
    Schulz: Aber das mit den Verpflichtungen - das wollte ich gerade noch sagen -, das ist ja auch so eine Sache für sich. Die Verteidigungsministerin von der Leyen hat im letzten Jahr eingeräumt, dass es wegen der erheblichen Materialmängel passieren könnte, dass Deutschland seinen Bündnisverpflichtungen nicht entsprechen könnte wegen des Materials.
    Kujat: Richtig.
    Schulz: Laufen wir jetzt auf eine Situation zu, in der das auch wegen Personalmängel passieren könnte?
    Kujat: Das könnte passieren, das ist durchaus möglich. Es gibt in der NATO keine Vorschriften, was den Personalumfang betrifft. Aber es gibt natürlich Vorschriften, die einen gewissen Anteil und eine gewisse Qualität des Personals voraussetzen. Beispielsweise wenn ich keine Flugzeugführer habe, um eine bestimmte Anzahl von Flugzeugen in einer bestimmten Zeit zur Verfügung zu stellen, dann kann ich die Verpflichtung auch nicht erfüllen. Deshalb sage ich, wir müssen beides tun: Wir müssen Zahl und Qualität der Bewerber erhöhen, wir müssen vielleicht auch darüber nachdenken, ob wir mit den Umfangszahlen, die wir durch die Neuausrichtung der Bundeswehr eingenommen haben bisher, ob wir da überhaupt in Zukunft mit zurechtkommen. Und drittens: Wir müssen auch die notwendige Ausrüstung und Bewaffnung zur Verfügung stellen. Sonst sind wir kein zuverlässiger Bündnispartner mehr und das bedeutet, dass auch unsere eigene Sicherheit auf lange Sicht nicht gewährleistet werden kann.
    Schulz: Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, heute hier in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Vielen Dank Ihnen.
    Kujat: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.