Erster Weltkrieg und seine Folgen

Versöhnung statt Sieg

Versailler Vertrag
Die Unterzeichnung des Friedensvertrages im Schloss von Versailles am 28.6.1919. Eröffnung der Sitzung durch den französischen Ministerpräsidenten Georges Benjamin Clemenceau (Zeichnung von George Scott). © picture alliance/dpa
Von Gunnar Lammert-Türk · 10.09.2017
Am Ende des Ersten Weltkrieges erhoben Papst Benedikt XV. und andere unbekannte Pfarrer ihre Stimmen, um das Töten zu stoppen und starteten Friedensinitativen. Der spätere Versailler Vertrag war für den Papst auch kein Schritt zu Völkerversöhnung, sondern bot Zündstoff für neue Konflikte.
Aus der Friedensresolution des Reichstages vom 19. Juli 1917:
"Der Reichstag erstrebt einen Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker. Mit einem solchen Frieden sind erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirtschaftliche oder finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar."
So hieß es in einer Resolution, die der Reichstag am 19. Juli 1917 verkündete. Bislang war gegen den von politischer und militärischer Seite in Deutschland propagierten sogenannten "Siegfrieden" und die damit verbundene Weigerung, auf gemachte Eroberungen zugunsten eines Friedensschlusses zu verzichten, nicht nennenswert opponiert worden. Nun war von einem "Frieden der Verständigung und Versöhnung" die Rede. Die treibende Kraft hinter der Resolution war der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger.
Zu Beginn des Krieges war der Katholik noch ein Verfechter weitreichender Annexionen gewesen. Die Zahl der Opfer unter den Soldaten und die Leiden der Bevölkerung unter Lebensmittel- und Kohlemangel ließen ihn zunehmend davon Abstand nehmen. Hinzu kam, dass er aufgrund internationaler Kontakte wusste, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Darauf wies er in einer Rede im Reichstag am 6. Juli 1917 eindringlich hin. Die daraus resultierende Friedensresolution signalisierte dem Ausland gegenüber die Friedensbereitschaft des Deutschen Reiches. Ein Signal, das auch für Papst Benedikt XV. wichtig war. Denn es erhöhte die Erfolgsaussichten einer von ihm vorbereiteten Friedensinitiative. Über seinen Nuntius Eugenio Pacelli ließ er diesbezüglich in Deutschland vorfühlen.
"Pacelli hat die Reichskanzler Bethmann-Holweg und Michaelis gesprochen und auch konkrete Vorschläge für einen politischen Interessenausgleich im Marschgepäck gehabt. Dem Papst ging es also nicht nur um gegenseitige politische Annäherung, um vertrauensbildende Maßnahmen, sondern es gab auch wirklich ganz konkrete Inhalte. Und dazu gehört von Seiten des Papstes, was nachher auch in die Friedensnote einfloss, die Souveränität Belgiens wiederherzustellen."
Sagt der Historiker Stefan Samerski, der über die Friedensaktivitäten der Päpste publiziert hat. Die Wiederherstellung der Neutralität Belgiens, das zu Kriegsbeginn vom Deutschen Reich überfallen worden war, war eine Forderung der Entente, vor allem von Frankreich und Großbritannien. Der Papst sah in einem Ausgleich der Interessen der am Krieg beteiligten Länder die Grundlage des angestrebten Verständigungsfriedens. Allerdings unter Beachtung wesentlicher Kriterien. Neben Abrüstung und der Einrichtung internationaler Schiedsgerichte für die Beilegung von Konflikten ging es dabei vor allem um die Räumung besetzter Gebiete und den Verzicht auf Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen. Diese Grundsätze teilte Benedikt XV. in seiner Friedensnote an die Krieg führenden Mächte am 1. August 1917 mit.

Mangelnde Kompromissbereitschaft aller Seiten

Intensive diplomatische Bemühungen waren vorausgegangen. In Deutschland hatte der päpstliche Nuntius Pacelli, in engem Kontakt mit Matthias Erzberger, die Lage sondiert. Von Großbritannien und Frankreich kamen positive Signale. Aber die Friedensinitiative Benedikts XV. scheiterte. An der mangelnden Kompromissbereitschaft aller Seiten, am Taktieren des Reichskanzlers Michaelis und wohl auch daran, dass dem Papst trotz der von ihm strikt eingehaltenen Unparteilichkeit immer wieder zum Vorwurf gemacht wurde, eine Seite bevorzugen zu wollen. Statt Friedensverhandlungen wurden die Kämpfe wieder aufgenommen. Der Papst konnte nur tun, was er parallel zu seinen seit Kriegsbeginn immer wieder vorgebrachten Mahnungen zum Frieden – die erste erfolgte am 8. September 1914, fünf Tage nach seinem Amtsantritt – getan hatte. Er bemühte sich, mäßigend auf die Art der Kriegführung einzuwirken und die Not leidende Bevölkerung zu unterstützen – vor allem in Deutschland und in Österreich-Ungarn verhungerten infolge der Seeblockade Großbritanniens nach wie vor viele Menschen.
Stefan Samerski: "Der Papst versuchte hier, gerade durch sozial-humanitäre Aktivitäten den Menschen, die wirklich direkt von Krankheiten und vom Tod bedroht waren, zu Hilfe zu kommen. Lebensmittellieferungen und Einsatz für Kriegsgefangene beziehungsweise für Leute, die in Not geraten sind, die gingen ja bis 1919, bis 1920."
Als der Weltkrieg im November 1918 zu Ende ging, versuchte Benedikt XV., die Siegermächte zur Zurückhaltung zu bewegen. Erfolg hatte er nicht. Es wurde nicht nach dem Prinzip der Gleichheit von Siegern und Besiegten vorgegangen, wie es der Papst für notwendig erachtete. Es kam kein Verhandlungsfrieden, kein Frieden der Verständigung zustande, wie er von ihm und von Matthias Erzberger angestrebt worden war. Statt eines Verzichts auf Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen, wie sie Benedikt XV. in seiner Friedensnote vom August 1917 gefordert hatte, stellten die Siegermächte kaum erfüllbare materielle und finanzielle Forderungen und schränkten die Lebensumstände in Deutschland dramatisch ein. Für Benedikt XV. war der Versailler Vertrag ein Dokument des Hasses und der ungezügelten Rachegelüste. Kein Schritt auf dem Weg zu echter Völkerversöhnung, vielmehr der Zündstoff für neue Konflikte.
"Denn er wusste ganz genau, ein Friede, der nicht auf Ausbalancierung der Kräfte und der Interessen basierte, der ist zum Scheitern verurteilt. Und so hat 1920 der Chefdiplomat des Heiligen Stuhls, der Kardinalstaatssekretär Gasparri, schon weise gesagt: Dieser sogenannte Friede von den Pariser Vorortverträgen wird nicht nur einen, sondern mindestens zehn Kriege im Gefolge haben."

Auswirkungen des Versailler Vertrages

Zu den Auswirkungen des Versailler Vertrages gehörte auch, dass die revanchistischen Kräfte in Deutschland Aufwind bekamen. Matthias Erzberger war schon nach der Friedensresolution des Reichstages als kurienhöriger Hochverräter und Vaterlandsverschacherer angegriffen worden. Als Unterzeichner des Waffenstillstandsabkommens von Compiègne, der im Wissen um die Unausweichlichkeit die Annahme des Versailler Vertrages befürwortet hatte, wurde er zu einem der bestgehassten Politiker der Weimarer Republik.
Am 26. August 1921 wurde er von zwei Mitgliedern der rechtsterroristischen Vereinigung Organisation Consul ermordet. 1917, als er in Zusammenarbeit mit dem päpstlichen Nuntius Eugenio Pacelli versuchte, einen Verständigungsfrieden in die Wege zu leiten, gab es in dieser Richtung auch einen kleinen Versuch von protestantischer Seite. Aus Anlass des 400. Jubiläums der Reformation veröffentlichten fünf Berliner evangelische Pfarrer in der Zeitung "Die christliche Welt" im Oktober 1917 einen Aufruf. Während die Mehrzahl ihrer Kollegen Luther als Vorbild für neuen Durchhaltewillen stilisierte, hieß es bei ihnen:
Zitat aus dem Aufruf Berliner Friedenspfarrer vom Oktober 1917:
"Wir deutschen Protestanten reichen im Bewusstsein der gemeinsamen christlichen Güter und Ziele allen Glaubensgenossen, auch denen in den feindlichen Staaten, von Herzen die Bruderhand. Wir erkennen die tiefsten Ursachen dieses Krieges in den widerchristlichen Mächten, die das Völkerleben beherrschen, in Misstrauen, Gewaltvergötterung und Begehrlichkeit, und erblicken in einem Frieden der Verständigung und Versöhnung den erstrebenswerten Frieden."

Krieg zu beenden, verlief im Sand

Auch dieser Versuch, den Krieg zu beenden, verlief im Sand. Und so blieb die Frage, die Otto Umfrid bereits im Frühjahr 1914 gestellt hatte, vorerst unbeantwortet. Eine Frage, die ähnlich Benedikt XV. und mehr noch Matthias Erzberger umgetrieben haben wird. Der württembergische evangelische Friedenspfarrer hatte damals in einer Schrift mit dem Titel "Der deutsche Wehrverein - eine Gefahr für das deutsche Volk" – veröffentlicht im pazifistischen Verlag Wilhelm Langguth – geschrieben:
Zitat aus "Der Wehrverein – eine Gefahr für das deutsche Volk" von Otto Umfrid:
Wenn dann die Blüte der deutschen männlichen Jugend auf dem Schlachtfeld zerrissen daliegen wird, dann wird das deutsche Volk vielleicht die Antwort finden auf die Frage, ob derjenige sein Vaterland mehr geliebt habe, der seine ganze Kraft daransetzte, ihm diese Schrecken zu ersparen, oder derjenige, der Blut säte und dafür Blut erntete. Ob sie ihm wohl zujubeln werden, wenn er auf stampfendem Ross über die Leichenfelder der Zukunft dahinreiten wird, während das Gespenst des Hungers aus zerfallenden Hütten grinst?
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