Erster Erfolg vor "großartiger Kulisse"

Martina Voss-Tecklenburg im Gespräch mit · 27.06.2011
Fürs erste Spiel eine sehr gute Leistung, beurteilt die Fußballtrainerin Martina Voss-Tecklenburg die Partie Deutschland gegen Kanada. Die Austragung der Weltmeisterschaft im eigenen Land sei eine Chance, den Frauenfußball in die Welt hinauszutragen.
Jörg Degenhardt: Gestern ging es schon mal gut los: zwei zu eins gegen Kanada. Die Frauenfußball-WM in Deutschland könnte ein voller Erfolg werden. Über 720.000 verkaufte Tickets, eine perfekte Organisation, dazu ein gewaltiges Medieninteresse. Skandale, Randale und sonstige negative Begleiterscheinungen, wie wir sie gelegentlich vom Männerfußball kennen, sind nicht zu erwarten. Und statt eines dritten Platzes von Jogis Jungs bei der WM im letzten Jahr wollen die Frauen ja den Titel holen. – Martina Voss-Tecklenburg ist am Telefon, sie wurde zweimal zu Deutschlands Fußballerin des Jahres gewählt, 2003 hat sie ihre Laufbahn beendet. Sie gilt als Entdeckerin von Spielerinnen wie Lira Bajramaj, Inka Grings oder Simone Laudehr. Guten Morgen, Frau Voss-Tecklenburg!

Martina Voss-Tecklenburg: Guten Morgen!

Degenhardt: Wie haben sich die deutschen Frauen gestern im Spiel gegen Kanada verkauft?

Voss-Tecklenburg: Also ich war positiv überrascht, weil ich finde, dass die Mannschaft sehr früh ihre Nervosität abgelegt hat bei dieser großartigen Kulisse und bei einem WM-Eröffnungsspiel nach zehn Minuten in Führung gegangen ist und auch sehr dominant und präsent gespielt hat. Man hätte sicherlich dann noch das Ergebnis höherschrauben können zum zwei und drei und vier zu null. Das ist dann leider nicht gelungen und kurz vor Schluss gab es dann den Freistoß, da gab es noch mal eine kleine Phase der Aufregung. Aber insgesamt fand ich es fürs erste Spiel schon eine sehr gute Leistung.

Degenhardt: Ich habe ganz bewusst von "verkaufen" gesprochen. Wie wichtig ist es, dass die Frauen nicht nur siegen, sondern dass sich das auch noch schön ansieht?

Voss-Tecklenburg: Ja. Es ist, glaube ich, gar nicht die Frage, ob es sich nicht alles noch schön ansieht, sondern ob tatsächlich beides zusammenhängt. Basis ist immer erst mal die sportliche Leistung, dass die Fans, die jetzt auch vielleicht zum ersten Mal Frauenfußball auf dem Niveau sehen, wirklich sagen, Mensch, dieses Spiel war mitreißend, das hat mir gut gefallen. Ich habe hier schon Reaktionen bekommen: Kanada war ja ganz toll, haben wir gar nicht so erwartet! Und ich finde, das ist sehr, sehr wichtig für den Wert einfach, den die Mädchen dort jetzt zeigen, und den fußballerischen Inhalt.

Degenhardt: Es gibt einen Werbespot, der mehrere Nationalspielerinnen beim Schminken zeigt, und es gibt Nationalspielerinnen, die ihre Kolleginnen genau dafür kritisieren. Gehört Schminke aufs Spielfeld?

Voss-Tecklenburg: Ja! Natürlich gehört auch die Schminke aufs Spielfeld und ich finde es auch richtig und wichtig, dass jede Spielerin sich so präsentiert, wie sie vom Typ her ist. Es gibt ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Die Birgit Prinz schminkt sich halt nicht so gerne wie die Lira Bajramaj und beide bringen das zum Ausdruck und stehen zu ihrem Typ, was ich ganz wichtig finde, und das ist im Männerfußball nicht anders. Da gibt es auch Männerfußballer, die als Unterwäschen-Models aufgetreten sind, und für andere käme das, glaube ich, nie in Frage.

Degenhardt: Das heißt, Sie hätten auch keine Einwände gegen erotische Fotos, oder wo ist da die Grenze der Vermarktung?

Voss-Tecklenburg: Die muss jede für sich selber entscheiden. Also ich habe die Einwände sowieso nicht und maße mir das auch nicht an. Ich bin damals als sehr junge Fußballerin auch gefragt worden, ob ich mich für den "Playboy" ausziehen möchte. Ich habe es damals nicht getan, ich fand den Zeitpunkt auch noch nicht für angesehen und angemessen. Aber wenn es jetzt Spielerinnen tun, dann sind das ja nicht die ersten Sportlerinnen, die sich ausziehen, und da habe ich hohen Respekt vor, wenn sie es denn dann wollen.

Degenhardt: Finden Sie den Fokus in der öffentlichen Berichterstattung richtig gesetzt, oder ist zu sehr das Äußere im Vordergrund stehend und zu wenig das Sportliche?

Voss-Tecklenburg: Ja, für mich als Trainerin und ehemalige Fußballerin ist es oft zu viel, dass es immer in eine Richtung geht, aber ich denke, wir haben jetzt so langsam, wo die WM jetzt auch losgegangen ist, die Balance gefunden. Und auch da muss man sehen, dass es nicht in die eine oder andere Richtung abdriftet. Anders herum ist es so, dass wir tolle Persönlichkeiten haben, und dass es jetzt auch, glaube ich, eine wichtige Phase ist, die Frauen auch als Frauen darzustellen, vielleicht noch mal so ein paar Klischees und Ängste abzubauen, die oft immer noch bei Eltern auch vorhanden sind. Vielleicht gehört das einfach mit dazu.

Degenhardt: Sind die Deutschen eigentlich ein Volk, das Großveranstaltungen wie diese Weltmeisterschaft besonders liebt - wir haben das ja gestern in Berlin gesehen, diese Begeisterung -, oder sind plötzlich ganz viele dabei, den Frauenfußball zu entdecken?

Voss-Tecklenburg: Ich glaube, beides. Aber es ist schon so, dass anscheinend Deutschland ein gutes Pflaster ist für tolle große sportliche oder auch kulturelle Veranstaltungen, und ich war gestern sehr angetan. Mich hat viel mehr überrascht, dass in Sinsheim beim Spiel Nigeria - Frankreich auch so eine tolle Stimmung war, weil man hatte ja befürchtet, dass das nur bei den Spielen der deutschen Mannschaft ist. Und ich finde das großartig, wie sich gestern Deutschland präsentiert hat und wie wir selber jetzt die Chance haben, den Frauenfußball in die Welt hinauszutragen.

Degenhardt: Und werden die Frauen die Männer rächen, wie es auf den Werbeplakaten heißt, und statt Dritter Weltmeister?

Voss-Tecklenburg: Ja, das wäre natürlich wunderbar, wenn das gelänge, aber es ist noch ein weiter Weg und wir werden jetzt in den folgenden Tagen sehen, wenn die anderen Mannschaften auftreten, dass mindestens noch fünf, sechs andere Teams das Potenzial haben und den Willen haben, Weltmeister zu werden. Aber ich tippe auf unsere Mannschaft.

Degenhardt: Der Weltmeister erhält von der FIFA eine Prämie von einer Million. 18 Millionen kassierte Spaniens Männerteam für seinen Triumph 2010 in Südafrika. Sollte der Weltverband da nicht ein bisschen spendabler sein?

Voss-Tecklenburg: Ja, das wäre schön. Aber anders herum ist die Wirtschaftlichkeit bei einer Frauen-WM ungleich geringer und die Umsatzzahlen sind ungleich geringer als beim Männerfußball. Ich denke, das steht schon in einer tollen Relation, und wenn wir mal sehen, was sich dort in den letzten Jahren entwickelt hat, gerade eben auch von der FIFA, von der UEFA und beim DFB, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Dann sollten wir die Messlatte nicht überziehen und nicht so hoch legen und sollten uns einfach an dem erfreuen, dass wir noch Potenzial nach oben haben.

Degenhardt: Die ehemalige Nationalspielerin Martina Voss-Tecklenburg war das. Vielen Dank für das Gespräch und uns allen viel Spaß mit dieser deutschen Mannschaft.

Voss-Tecklenburg: Sehr gerne! Danke!

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