Erste Hilfe

Von Annette Weiß · 22.04.2013
Für frisch gebackene Eltern und ihre Säuglinge gibt es in Deutschland eine gute Versorgung mit Ärzten, Hebammen und Kinderkrankenschwestern, auch Jugendamt und Sozialdienst können weiterhelfen. Aber manchmal reicht auch das nicht aus. Hier setzt das Projekt "Babylotse plus" an.
"Alles schick? Ja, ja, bis jetzt noch. Ist relativ ruhig."

Das Schwesternzimmer ist die erste Anlaufstelle von Babylotsin Nurina Nazmy. Hier auf Station 37 der Geburtsklinik im Virchow-Klinikum der Charité liegen die Wöchnerinnen. Ab und zu schlurft eine vor wenigen Tagen entbundene Frau die hellen Flure in Schlabberpulli und Trainingshose entlang. Im Schwesternzimmer rotieren die Pflegekräfte im blauen Kasack, dem Dress aus Hemd und Hose. Nurina Nazmy wirft einen Blick auf die Tafel mit den Krankenzimmern, bei einigen hängt ein kleiner Kühlschrankmagnet mit einem Leuchtturm darauf. Das Symbol der "Babylotsen".

"Und dann in Zimmer 9 hier, das habe ich gesehen, dass ein Türmchen auf mich wartet."

"Das haben wir gemacht, weil die Frau sieben Schwangerschaften hatte ... und stand "Geschieden", war auch nur ´ne Freundin dabei beim Kaiserschnitt. Okay, ich geh da mal rein, ich kümmere mich darum und sehe, ob ich irgendwas tun kann."

Das ist der häufigste Satz der Sozialarbeiterin: "Ich kümmere mich darum". Nurina Nazmy macht sich einen Vermerk. Auf dem Screeningbogen sind die Daten der Patientin erfasst: Wie alt ist die Mutter, ist sie unter 21 oder sogar unter 18 Jahren alt? Ist das Kind gewollt? Ist sie alleinerziehend? Hat sie schon mehrere Kinder unter fünf Jahren zu Hause? Liegt eine Erkrankung vor, zum Beispiel eine Depression?

Die Beratung ist freiwillig und vor allem: die Eltern nehmen sie gerne an, sie schämen oder ängstigen sich nicht so wie vor dem Sozialdienst.

Nurina Nazmy:"Ich helfe damit, dass ich mich anbiete zuzuhören. Es gibt die Situation in der Wochenbettzeit, in der die Eltern sehr offen sind, wo sie auch sehr gefühlvoll sind und sehr mitteilungsbedürftig sind."

Acht Screeningbögen hält Nurina Nazmy in der Hand, acht Geburten waren es in den vergangenen 24 Stunden - eine ruhige Nacht für Berlins größte Geburtsklinik, die es an ihren zwei Standorten auf 5.000 Geburten jährlich bringt. Von den acht Frauen gibt es bei drei von ihnen Hinweise auf Belastungen.

Dabei verlassen sich die Babylotsinnen auch auf das Bauchgefühl der Schwestern, so wie bei Kinderkrankenschwester Dagmar Daudert:

"Na, wenn zum Beispiel sozialmäßig was nicht stimmt, wenn man merkt, da kommt kein Besuch oder es kommt sehr merkwürdiger Besuch, der komisch riecht, sich komisch verhält, wo die Geschwisterkinder ungepflegt sind. Oder wenn die Frau nicht spricht, nicht aus sich rauskommt, so in sich gekehrt ist, das ist für mich auch immer ein Alarmzeichen, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte."

Problemen beim Stillen
Nurina Nazmy rafft die Bögen zusammen und greift ihr schnurloses Telefon. Die dunkelbraunen gekräuselten Haare hat die junge Frau zum Pferdeschwanz gebunden. Braune Augen, helle Haut - arabisch spreche sie leider nicht, aber ihr Vater ist Ägypter.

"Das ist manchmal schon ein Türenöffner. Ganz viele sagen auch, sobald sie meine Karte und meinen Namen sehen: Ah, sie haben auch einen ausländischen Hintergrund."

Ihre erste Patientin: eine junge türkische Mutter mit Problemen beim Stillen.

"Wie geht es Ihnen?"

"Gut."

"Sie spricht kein Deutsch. Nazmy: Doch, das schafft sie, das merke ich schon!"

Die junge Mutter, Esma Enkinschi, ist schon auf den Beinen. Ihr Neugeborenes liegt in ihrem Bett, unter den Laken ist es kaum zu sehen, nur ein dichter schwarzer Haarschopf scheint hervor. Es ist ihr erstes Kind, Mehmet, ein Sohn. Er trinkt noch nicht gut. Die Babylotsin schlägt eine Hebamme vor.

"Ist schon gut, aber ich denke mal, dass meine Mutter auch helfen kann. Gut, ich kümmere mich darum. Wenn Sie dann sagen, es reicht, es ist okay, dann geht sie wieder."

Sie zeigt, wie sie das Baby hält, wie sie das Kind an die Brust legt, und wie es dem Bauchnabel geht.

"Okay- Ja?"

"Ja, ich muss ihr das auf türkisch erklären."

Vater Eihan sieht müde aus. Vor drei Tagen, genau als sein Sohn kam, hat er einen Pizza-Service eröffnet. Seine Frau Esma wird zunächst bei seinen Eltern wohnen.

"Sie ist einverstanden, sie sagt auch, dass es vielleicht besser ist."

Oft helfen die Babylotsinnen ganz praktisch: Sie organisieren eine Haushaltshilfe und wenn es sein muss, auch eine Familienhebamme, die ein Jahr lang nach dem Rechten schaut. Sie lotsen weiter in bestehende Einrichtungen wie Familienzentren. Oder helfen bei Anträgen, wie bei der nächsten Wöchnerin.

Eine Oma im Haus
Vor zwei Tagen hat Pelin Akagünduz Zwillinge bekommen. Dicht an dicht liegen die beiden Jungen im extra Bett, auf die Hemdchen sind die römischen Zahlen Eins und Zwei geschrieben, damit sie niemand verwechselt. Namen haben sie noch nicht. Zwilling Nummer Eins hat die Windeln voll. Routiniert wickelt Mama Pelin ihren Sohn. Sie hat schon zwei kleine Jungs zu Hause. Die Babylotsinnen findet sie hilfreich.

Pelin Akagünduz: "Weil bei den ersten beiden Kindern waren wir schon etwas verlassen, bei den Behördengängen, hilft einem ja keiner, und man versucht sich durchs Internet zu wurschteln, was auch nicht hilft, oder beim Elterngeld, oder hier das Standesamt, das hat uns weitergeholfen, was wir bei den ersten beiden Kindern gar nicht wußten."

Nurina Nazmy ist beruhigt: Familie Akagünduz wird auch mit vier Kindern klarkommen. Zumal die Oma mit im Hause wohnt.

Um herauszufinden, ob "Babylotse plus" den Familien wirklich weiterhilft, werten die Mitarbeiter das Projekt gerade aus. Sie stellen 160 Kinder, die im letzten Jahr geboren wurden, 160 Kindern gegenüber, die sie begleitet haben. Deshalb auch das "plus" im Namen: es steht für "Praktisches Lotsen und Studie."
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