"Erst kommt das Staunen, dann kommen die Bilder"

01.11.2007
Orte wie Mexico-City, Amsterdam oder Vilnius bilden die Folie seiner Verse. Für den 1976 in Gera geborenen Jan Volker Röhnert ist es bereits der fünfte Gedichtband. Er durchstreift die Städte dieser Erde mit einer sympathischen Haltung, die weder mondäne Attitüde noch eine Problematisierung seines Hierseins benötigt.
Mexico-City, Oaxaca, Amsterdam, Genua, New York, London, Vilnius. "Die Orte, an denen die Gedichte zwischen 1998 und 2006 entstanden, sind nur insofern wichtig, als sie den Hintergrund abgeben. Das ist schon viel, denn Orte und Zeiten sind nicht beliebig und austauschbar, wie das virtuelle Kurzzeitgedächtnis suggeriert.", schreibt Jan Volker Röhnert in einer Nachbemerkung zu seinem soeben im Hanser Verlag erschienenen Gedichtband "Metropolen". Es ist sein inzwischen bereits fünfter, doch was vor allem ins Auge fällt, ist jene kleine Notiz: "1976 in Gera geboren, unterrichtet zur Zeit in Jena und lebt in Weimar."

Und während man sich noch fragt, ob man Gedichte wirklich biographisch - oder in diesem Fall: geographisch – lesen dürfe, sind da jene südlich berückenden Zeilen aus "Vormittag am Meer": "Durch die eigene Anwesenheit zu gehen/ ist Stille. Die Leute, gegenseitig, stören nicht. Sie liegen da, aus/ gezogen, am Strand, blinzeln müde gegen die Wellen. Es ist nicht das Blau, / was von diesem Tag gesagt sein wird, / seinem Himmel, der See, es ist/ die Klarheit. Man spiegelt sich darin, wie in einer abstrakten/ Erinnerung an die ersten Stunden als sie, vor Jahren, das Kind/ zum Ufer führten."

Ist das nicht wunderschön? Und darüber hinaus - soviel literaturkritische Spekulation darf erlaubt sein – der Beginn einer ebenso unspektakulären wie freundlichen Welt-Ankunft. Gera, Jena, Weimar... So lange nämlich ist es noch nicht her, dass Menschen mit Geburts- und Arbeitsorten wie diesen der Zugang zu obigen Städten und Landschaften versperrt war, sogenannten "Bürgern der DDR", denen 1978 (also zwei Jahre nach Röhnerts Geburt) der in die Schweiz geflüchtete Vogtländer Bernd Jentzsch jenes "Stoßgebet" sandte: "Wenn einer wegwill und noch kein Greis ist, weder Dienstreisender noch Sportler, kein Kundschafter der heiligen Sache, dem stehe bei der Allmächtige der Vogelfreien..."

Die tatsächliche Gnade der späten Geburt hat unseren Dichter davor bewahrt, derlei wuchtige Schutzgeister zu benötigen, während ihm sein ruhiger, konzentrierter Blick Zeilen wie diese schenkt: "Erst kommt das Staunen/ dann kommen die Bilder, /dann denkst du dir eine fremde Zunge aus..."

Durch die Städte dieser Erde zu gehen, ist ihm von jener Selbstverständlichkeit, die weder mondäne Attitüde noch eine Problematisierung seines Hierseins benötigt. Die politische Spannung, mit der sich so manches Reisegedicht von Reiner Kunze oder Günter Kunert hatte herumschlagen müssen, fällt hier ebenso weg wie die geschichtsphilosophische Anstrengung, die so manch scheinbar weltläufiger Volker-Braun- oder Heiner-Müller-Lyrik etwas hochfahrend Verquältes injiziert hatte. Und schon gar nicht bietet dieser Band jene ranzige Zivilisationskritik, nach welcher "der Westen" angeblich flach und "der Osten" tief sei, jenes etwa noch bei der in den sechziger Jahren geborenen Kerstin Hensel wirkungsmächtige anti-urbane Ressentiment, dem Asphalt und Fassaden automatisch zu Chiffren für ein verfehltes, natürlich von der Werbung ruiniertes Leben werden.

Jan Volker Röhnert muss dagegen existentielle Ernsthaftigkeit nicht durch beleidigten Ton dokumentieren, im Gegenteil: Der souveräne Dichter, der seinen Ort in dieser Welt nicht durch Abgrenzung markiert, wagt in seinem Porträt eines italienischen "Mädchens hinter der Theke" sogar eine Art erzsympathisches Ciauo zum frühen Wolf-Wondratschek-Sound, wenn er schreibt: "Keiner (und sie lächelt schon) der/ Orangensaft jetzt haben will, keiner/ der endlich sagt, komm Baby, das Meer ist fünf Minuten weit."

Simple Wohlfühl-Verse sind das dennoch nicht, mitunter ist auch eher Kryptisches zu finden, doch dann gibt es wieder jene Leichtigkeit - Thüringen-untypisch, hätten wir, nun selbst in der Falle der Vorurteile, beinahe geschrieben – die schon deshalb einer freundlich ausgestreckten Hand ähnelt, weil das Selbstbewusstsein des Dichters niemals in vereister Pose daherkommt: "Take this longing, Leonard
Cohen: Morgens öffnetest du die Fenster, es ist/ schon dunkel. In der Nacht fiel dir die gestrauchelte/ Schönheit deines Lebens ein, in der Nacht/ konntest du nicht schlafen. Das ist für dich, schlaksiges/ Mädchen, das mich anstarrte, ein Augustmorgen/ als ich in der Bibliothek ein ähnlich langes Gedicht/ schrieb. Ich schickte es jemandem, von dem ich keine/ Antwort erhielt. (...) Take this longing, hier wie irgendwo, die Poesie,/ immer, irgendwie, ist unterwegs. Was ankommt/ sind die Rechnungen für Licht und Wasser, aber/ drehst du die Birne rein, tatsächlich,/ geht die Sonne auf/ über diesem Blatt." Noch einmal: Ist das nicht wunderschön?

Rezensiert von Marko Martin

Jan Volker Röhnert: Metropolen. Gedichte.
Hanser Verlag, München 2007, 108 S., 14, 90 Euro