Erst Aufklärung, dann Schafott

Von Jörn Florian Fuchs · 28.03.2009
2001 landete der schwedische Schriftsteller Per Olov Enquist mit "Der Besuch des Leibarztes” einen Bestseller. Hauptfigur ist ein deutscher Arzt, der im 18. Jahrhundert an den dänischen Hof berufen wurde. Er begeisterte das Königspaar für die Aufklärung. Als er die Königin schwängerte, landete er auf dem Schafott. Die Oper wird auf Dänisch gesungen.
Die Geschichte um den deutschen Arzt Johann Friedrich Struensee und seine Beziehung zum Kopenhagener Königshaus im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert gehört in Dänemark zur Allgemeinbildung. 2001 griff der schwedische Schriftsteller den Stoff auf und landete mit "Der Besuch des Leibarztes” einen Bestseller.

Die Handlung dreht sich um den (zu) jung ins majestätische Amt gekommenen König Christian VII., seine ebenfalls sehr junge Gattin Caroline Mathilde sowie den Arzt - und selbsternannten Aufklärer - Struensee. Aus Altona herbeigerufen, soll er dem jungen, verhaltensauffälligen König zu entsprechender dienstlicher wie privater Würde verhelfen. Der König bleibt jedoch infantil, ergeht sich in diversen Ablenkungen und sucht sexuelle Kontakte lieber bei einer einschlägigen Kurtisane als zu Hause bei Caroline Mathilde. Selbige lässt sich nach vielem Hin und Her mit Struensee ein, bekommt ein Kind und wird in Schimpf und Schande verjagt, während ihr Liebhaber dem Schafott anheim fällt.

Per Olov Enquist hat die verbürgten historischen Fakten mit einigen erfundenen Wendungen und Spekulationen angereichert. Enquist interessiert besonders die Doppelstruktur der Liebe zwischen Konventionserfüllung und transzendentaler Kraft. Und er denkt nach über das Problem einer einseitigen, areligiösen Aufklärung. Zunächst entzündet Struensee die Flamme des Rationalen und begeistert damit König wie Königin. Allerdings entgeistert er die wahren Machthaber, nämlich Hofschranzen, vermeintlich loyale Lakaien und sinistre Minister. Dies führt letztlich zum Ende mit Schrecken.

In sehr ästhetischen Bildern ziehen auf den Brettern von Kopenhagens schmuckem Opernhaus am Hafen die einzelnen Szenen vorüber, mit Videos bespielte Paravents sowie sanft hin und her verschobene Wandteile sorgen beständig für neue Räume. In diesen Räumen wird geliebt und intrigiert, wird getanzt - auch ein wenig regiert - und gestorben.

Die Protagonisten dieser Reise durch innere Seelenzustände und äußere Machtkonstellationen treten zwar in historischen Kostümen auf, sie wirken jedoch ganz nah und beinahe überzeitlich. Da ist die erste, sehr holprige Begegnung des Königs mit seiner un(frei)willigen Gattin. Zwei, die einfach nicht füreinander bestimmt sind und die plötzlich miteinander schlafen - und leben - sollen. Da ist das Lakaienpack, das sich lemurengleich und moralinsauer immer wieder einmischt und doch nur auf Tod, auf Verderben der anderen und auf die eigene Macht hofft. Da ist der Volksaufstand gegen die Unmoral zu Hofe, den die Königin durch rhetorisches Geschick aufzulösen versteht.

Und da ist schließlich Struensee, der Aufklärer im doppelten Sinne. Das mit der Königin scheint er nicht zu bereuen, aber kurz vor seinem Ende da zweifelt er plötzlich, ob der Rationalismus atheistischer Provenienz wirklich die Lösung aller Probleme ist oder ob damit nicht vielleicht doch der Weltenlenker mit dem (christlichen) Weihwasser ausgeschüttet wird.

So fließend in der Regie von Peter Oskarson die Szenen und Bilder ineinander übergehen, so pointiert und effektvoll jede einzelne Situation gearbeitet ist, so stark und bühnenwirksam klingt die Musik des Dänen Bo Holten. Kräftige Knalleffekte à la Schostakowitsch ertönen zur Untermalung der nervösen Volksseele oder bei finalen Vernichtungsschlägen, leicht parodistische Barockklänge samt einem brillanten Flötenkonzert schaffen Atmosphäre für Bälle und zarte Annäherungsversuche. Auch Einflüsse der Grand Opéra und betörend schöne Gesangslinien sind zu hören, dabei ist keine Note deplatziert oder überflüssig, alles fügt sich zu einem sinnfälligen Ganzen. Gesungen wird auf Dänisch, das man bisher als Opernsprache ja nicht unbedingt auf der Rechnung hatte, zu unrecht, da sich die zahlreichen Stoßlaute gesungen in geradezu galante Melismen verwandeln.

Das formidable Kopenhagener Opernorchester wurde vom Komponisten selbst geleitet, das gesamte Ensemble war bis in die kleinsten Rollen hinein vorzüglich besetzt. Johan Reuter gab Struensee vokal und gestisch überragend, Elisabeth Jansson stattete die jugendliche Königin mit zartem Verzweiflungsmelos aus, exzellent sangen außerdem Lars Waage, Sten Byriel und Gert Henning-Jensen.