Eröffnung des Humboldt Forums

Die Bedeutung von Architektur missachtet

07:14 Minuten
Blick auf das Humboldt Forum am Schlossplatz Berlin
Imposante, historisch wirkende Fassaden, doch kein Schloss: Das Humboldt Forum in Berlin brauchte gut sieben Jahre Bauzeit. © imago / Jürgen Ritter
Nikolaus Bernau im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 16.12.2020
Audio herunterladen
Das Humboldt Forum in Berlin feiert seine Teileröffnung. Dort sollen Kulturen der Welt gezeigt werden. Beim Bau wurden historische Kontexte und Gebäudezweck ignoriert - zugunsten ästhetischer Kriterien, beklagt Architekturkritiker Nikolaus Bernau.
Liane von Billerbeck: Um Kolonialismus ist viel gestritten worden, wenn es um die Inhalte im Humboldt Forum geht, um die Exponate, genauso um Preußenidealisierung oder rückwärtsgewandte Architektur. Heute wird das Humboldt Forum in der Mitte Berlins nun teileröffnet, natürlich in dieser Situation nur digital.
Doch wie sieht diese Architektur eigentlich im Detail aus, wie hat sie sich entwickelt und vor allem, wie funktioniert sie? Darüber wollen wir jetzt mit dem Architekturkritiker Nikolaus Bernau reden. Gibt es in Berlin jetzt also wieder ein Berliner Schloss?
Nikolaus Bernau: Nein, überhaupt gar nicht, weil das, was dort entstanden ist, ist ja bis auf ganz, ganz kleine Teile – unter anderem einige originale Fragmente der Fundamente und einige originale Keller und vor allem einige winzige Teile von Skulpturen – vollständig ein Neubau. Wir dürfen wirklich nicht vom Berliner Schloss sprechen, das ist eigentlich glatte Geschichtsklitterung, wenn man so will. Das ist ein Neubau, der heißt eigentlich Humboldt Forum.
Man wird sich trotzdem an Berliner Schloss gewöhnen, einfach weil diese Fassaden so großartig und auch imposant sind und das Stadtzentrum doch neu formuliert haben, aber bis in die Grundrisse hinein und bis in die gesamte Baukonstruktion hinein ist das ein Neubau.
von Billerbeck: Mir geht das immer so, wenn ich da vorbeikomme, dass ich immer wieder überrascht bin. Es dauert einfach Jahre, bis man sich daran gewöhnt hat, dass da so ein großes Ding wieder steht.

Das Farbkonzept ist ahistorisch

Bernau: Man muss ja auch sagen, das hat 450 Jahre gedauert, bis es gebaut wurde, der Originalbau.
von Billerbeck: So gesehen ist das also nicht verwunderlich. Sind die neuen barocken Fassaden, die Sie da eben erwähnt haben, denn tatsächlich ganz genau nachgebaut worden?
Bernau: Nein, ganz genau ging das gar nicht, insofern ist das ein sehr bedingter Nachbau, und es ist vor allem überhaupt keine Rekonstruktion. Die drei barocken Fassaden zum Schlossgraben hin, zur Schlossfreiheit und zum Lustgarten, die sind wirklich mit bemerkenswerter Präzision gemacht worden, das, was eben möglich ist. Man muss einfach dazu wissen, dass ganz wenige Originalfragmente der Fassade erhalten sind, deswegen gibt es im Detail eben doch erhebliche Abweichungen.
Beispielsweise sind die Adlerskulpturen oben nach einigen ganz wenigen Modellen gestaltet worden, es sind die Bauteile, die standardisierbar waren, jetzt mit Maschinen gefräst worden und dann nur nachgearbeitet worden und nicht wirklich von vorneherein bildhauerisch gearbeitet worden. Vor allem ist das Farbkonzept, nach dem das Ganze gestaltet wurde und was ja auch ungeheuer beiträgt zur Wirkung dessen, was wir heute mal das Humboldt Forum nennen wollen, dieses Farbkonzept ist weitgehend frei entwickelt worden.
Ob das Schloss jemals so ausgesehen hat, ist sehr fraglich. Es gab einige Farbspuren am Schloss Charlottenburg, die interpoliert wurden auf die alten Gemälde und auf Zeichnungen vom Schloss, aber wie es genau ausgesehen hat, zu welcher Periode, kann man in dieser Form überhaupt gar nicht sagen. Das, was dort heute steht, ist das Farbkonzept, wie man es um 2010 als modern empfand und als barock in dem Sinne. Es ist aber völlig ahistorisch.

Auch dieses Schloss wurde mit Sklavenhandel bezahlt

von Billerbeck: Warum hat man eigentlich genau diese Fassaden nachgebaut?
Bernau: Na ja, das ist das Spannende: Es wurde ja ganz, ganz viel ausgeschlossen aus dem Projekt des Schlossfassadennachbaus, unter anderem die gesamten Renaissancefassaden und alle Umbauten, die unter Kaiser Wilhelm dem Zweiten passierten. Das heißt, man hat im Grunde genommen das Schloss reduziert auf eine Architektur, die der friedlichen Periode von Preußen entspricht, nämlich so zwischen 1700 und 1712 unter Friedrich III. und Friedrich I., der tatsächlich einer der relativ friedlichsten Könige war, die Preußen hatte, und Herrscher insgesamt.
Wobei man auch da sagen muss: Friedrich I. war wesentlich beteiligt am Sklavenhandel. Ich hab jetzt gerade einen Leserbrief bekommen, der sagte, ja, wieso, Preußen hat ja nur einige Zehntausend Leute verschifft. Ja, da muss ich sagen, jeder Sklave ist zu viel gewesen, weil auch im 17., 18. Jahrhundert es schon vehemente Opposition gegen den Sklavenhandel überhaupt gab. Insofern, das ist sehr problematisch, aber man muss eben im Hinterkopf haben, auch dieses Schloss ist bezahlt worden mit Sklavenhandel.

Skandalöse Inschrift unterhalb der Kuppel

Und die zweite Reduktion ist die auf Friedrich Wilhelm IV., den Künstler auf dem Thron im 19. Jahrhundert, der einerseits einer der ganz großen Reaktionäre in der deutschen Geschichte war und sich vehement gegen die Revolution von 1848 gewandt hat, aber jetzt rein ästhetisierend betrachtet wird, was dann eben dazu führte, dass man zum Beispiel dieses Kreuz oben auf die Kuppel wieder draufstellte, obwohl unter der Kuppel überhaupt keine Kapelle mehr ist, was das Kreuz sofort legitimieren würde.
Das umlaufende Schriftband an der Kuppel des Humboldt Forums, bei dem man nur einen Teil lesen kann, "im Namen Jesu zu Ehre Gottes"
Die Inschrift unterhalb der Kuppel war zu ihrer Zeit klar antijüdisch gemeint, sagt Nikolaus Bernau.© picture alliance / dpa /Fabian Sommer
Und vor allem, dass man die wirklich skandalöse Inschrift unterhalb der Kuppel wieder untergebracht hat, die die Unterwerfung aller Menschen unter den Willen von Jesus Christus fordert und damit aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts eindeutig antijüdisch war und heute gegen alle, die nicht Christen sind – und das am Humboldt Forum, das fast keine christliche Kultur zeigt, aber Kultur in der Welt - das ist schon ein ziemlicher Bruch.
Es ist auch eine ideologisch hoch problematische Entscheidung gewesen, die aber überhaupt nicht reflektiert wurde, weil man nur über Architekturformen nachgedacht hat, als wenn sie hübsch wären, und man hat nicht über die Bedeutung von Architektur nachgedacht.
von Billerbeck: Nun ist ja der größte Teil des Schlosses nicht historisierend, sondern in modernen Formen gebaut. Welche Bedeutung haben denn diese?
Bernau: Ja, das ist die große Enttäuschung, muss man sagen, beim ganzen Humboldt Forum. Die Pläne von Franco Stella sind sehr schematisch immer geblieben, sie haben sich seit dem Wettbewerb von 2006 nur sehr, sehr bedingt weiterentwickelt, an einigen Stellen schon. Die Realisierung ist deswegen, weil eben der Bundestag so einen straffen Kostendeckel eingezogen hat, wirklich sehr billig geblieben in vielen Bereichen.
Es gibt kaum Holzböden, sondern es gibt dann so Gussbetonböden. Die sind an sich sehr schön, die kann man schön schleifen und so weiter, aber die werden in den künftigen Jahren nicht gut alt werden, das wissen wir jetzt schon. Holz wäre viel praktischer gewesen.
Es gibt überall zwar Bronzegeländer und Bronzeklinken, also an jeder Tür ist das wirklich sehr aufwendig gemacht in der Beziehung, aber die hängen dann eben an ganz billigen Feuerschutztüren. Das sieht einfach nicht gut aus. Das merkt man an ganz vielen Details, dass eben doch überall gespart werden musste.

Manche Säle zu eng, zu hoch oder zu flach

von Billerbeck: Funktioniert es denn wenigstens für die Museen, die da einziehen?
Bernau: Eigentlich überhaupt gar nicht. Sie müssen halt in einem Gebäude leben, dessen Grundriss und dessen Struktur vollständig von außen her entwickelt wurde, von der Fassade. Das heißt, sie haben zu kleine Räume, sie haben zu enge Räume. Die großartige Boots- und Häusersammlung des Ethnologischen Museums hat einen Saal, der viel zu hoch ist einerseits, das ist kein großes Problem bei so großen Objekten, aber der viel zu eng ist, das heißt, sie können zum Beispiel diese Sammlung nicht vollständig zeigen.
Andere Säle sind einfach viel zu flach und werden, um jetzt eine bessere Proportion reinzukriegen, mit großen Vitrinen vollgestellt, die dann hauptsächlich bewirken, dass die sehr kleinen Objekte, die dort gezeigt werden, voraussichtlich fast verschwinden werden. Das müssen wir dann sehen, wenn das Humboldt Forum wirklich eröffnet wird. Aber es gibt überall den Konflikt in dem ganzen Haus dazwischen, was hat die Fassade nach innen für Folgen. Und das ist das Hauptproblem bei jedem Gebäude, wenn man zuerst die Fassade entwirft und dann den Grundriss und dann die Funktion.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema