Eröffnung der Jil-Sander-Schau in Frankfurt

Ikone des modischen Purismus

Aus der Jil-Sander-Kampagne vom Frühling-Sommer 1996. Model: Guinevere van Seenus
Aus der Jil-Sander-Kampagne vom Frühling-Sommer 1996. Model: Guinevere van Seenus © Craig McDean
Von Anke Petermann · 03.11.2017
"Präsens" heißt die umfassende Werkschau über die "Queen of Less", die Königin des Weglassens, die Meisterin der strengen Schnitte und klaren Linien. Das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst zeigt die weltweit erste Einzelausstellung der norddeutschen Modedesignerin Jil Sander.
Eintritt in die Ausstellung durch Jil Sanders Backstage-Bereich. Eine Foto-Collage füllt die gesamte hohe Stirnwand. Kleinformate zeigen Fünfer- und Sechsergruppen von Models vor dem Auftritt: mal in Schwarz und Blutrot, mal in Chromgelb und Blau. Anzug und Rock, lang und kurz – jede Model-Folge für den Laufsteg-Auftritt mit einer künstlerischen Rhythmik und Farbgebung konzipiert. Als Leitfragen der Designerin stellt sich Grit Weber, Vize-Direktorin des Museums für Angewandte Kunst, vor:
"Ist das Bild bewegt genug oder ist es geschlossen genug, je nachdem was ich will, das entscheidet dann wahrscheinlich Jil Sander selber. Also, ich sehe diese Wand als fotografisches Skizzenbuch oder fotografisches Gedankenbuch, was kurz vor dem Laufsteg stattfindet."

Umfassender Geltungsanspruch

Das Entree macht klar: es folgt die Werkschau einer Designerin mit umfassendem Gestaltungsanspruch, bezogen nicht nur auf das einzelne Kleidungsstück aus edlem Material. Sondern auch auf den Auftritt ihrer Models, die Wirkung des Catwalks als farbliches und dynamisch-skulpturales Ensemble. Die bald 74-Jährige hat auch ihre eigene Ausstellung mitgestaltet, inklusive Soundtrack von Frédéric Sanchez, mit dem sie lange schon zusammen arbeitet. "Präsens" liefert eine distanzlose Darstellung von Jil Sander – das gibt Museumsdirektor und Kurator Matthias Wagner K unumwunden zu.
Aus der Jil-Sander-Kampagne vom Frühling-Sommer 2005
Aus der Jil-Sander-Kampagne vom Frühling-Sommer 2005© David Sims
"Sie hat komplett Einfluss mit genommen. Darum ging es auch. Es ging nicht darum, wir nehmen die Dinge und präsentieren sie, und dann kann sie sagen, 'finde ich gut oder finde ich nicht gut', sondern es waren anderthalb Jahre intensivster Teamarbeit und sie immer mittendrin und ganz vorn."

Von der Mode-Redakteurin zum eigenen Unternehmen

Insofern ist die Frankfurter Schau so etwas wie ein temporärer "Flagshipstore" – im lichtdurchfluteten Museumsbau von US-Star-Architekt Richard Meier wirkungsvoll inszeniert. Der Bau selbst und die Tatsache, dass das Museum für Angewandte Kunst ihrem Werk die komplette Ausstellungsfläche von 3000 Quadratmetern zur Verfügung stellte, waren wohl ausschlaggebend für die Entscheidung der umworbenen Avantgardistin für Frankfurt. Begonnen hat Jil Sander ihre Laufbahn als studierte Textil-Ingenieurin und Mode-Redakteurin, erst vor drei Jahren trat sie als Kreativ-Direktorin des eigenen Unternehmens ab.
Modedesignerin Jil Sander
Modedesignerin Jil Sander© Peter Lindbergh / Museum für Angewandte Kunst Frankfurt
Seit 1993 konzipierte die Designerin ihre Verkaufsräume mit führenden Architekten. Im Museums-Obergeschoss schaut man in den Pariser Vorzeige-Laden ihres Mode- und Beauty-Imperiums, ihren ersten überhaupt. Dessen Interieur gestaltete die Unternehmerin gemeinsam mit dem US-Architekten Michael Gabellini: die Wände laufen an den Rändern spitz zu, Chrom-Nickel umrandete Lampen verbreiten diffuses Licht – 'Mut zur Leere' fordert - und besitzt die Modemacherin. Den Werdegang der in Schleswig-Holstein geborenen Heidemarie Jiline Sander verfolgte die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig Ende der sechziger Jahre aus nächster Nähe:
"Ich bin in Norddeutschland aufgewachsen, bin ja gebürtige Hamburgerin und kenne natürlich ihre Boutique in Pöseldorf, seit ich klein bin. Diese schöne, junge, natürlich aussehende Frau – dieses Porträt begleitet meine Kindheit und Jugend. Insofern ist Jil Sander fast so etwas wie ein Mythos des Alltags für mich."
Eine Frau fotografiert in der Ausstellung "Jil Sander" im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt am Main die Exponate.
Die Ausstellung "Jil Sander" im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt a.M.© dpa/Boris Roessler

Schlaglichter ohne Bewertung

Hosenanzüge, gerade, klare, manchmal kastenartige Schnitte, viel Monochromes bekommt zu sehen, wer an den Modepuppen vorbei immer tiefer in die weitläufigen Ausstellungsräume vordringt. "Jil Sander befreite Frauen vom Dekors", sagt Matthias Wagner K. Noch hat niemand so umfassend rekapituliert und interpretiert, wie sich die Mode der gefeierten Puristin entwickelt hat. Auch die Ausstellung "Präsens" verzichtet darauf, sie wirft Schlaglichter auf die von Neuer Sachlichkeit und Bauhaustradition inspirierte Modernität der Jil Sander, aber sie erklärt und bewertet nicht. Der Besucher soll frei sein, zu erspüren, wie die "Queen of less" und ihr modischer Minimalismus auf ihn wirken – eine 'bewusste Entscheidung', so der Kurator.
Kulturdezernentin Ina Hartwig erklärt sich Jil Sander und deren Stil so:
"Sie ist inspiriert von der norddeutschen Schlichtheit, also keine Ornament, kein Schmuck, nicht überschminkt sein, das ist ja schon ein protestantischer Ansatz. So gesehen ist sie eine Norddeutsche, die aber hinausgegangen ist in die Welt und sich internationalisiert hat. Und es ist nicht von ungefähr, dass sie sich in Los Angeles begeistert hat für Jane Fonda und dort die fortgeschrittene und emanzipiertere Gesellschaft aufgesogen hat und mit nach Deutschland gebracht hat. Und somit auch eine ganz große Dynamik mit hineingebracht hat in das Frauenbild für Deutschland, für die Bundesrepublik."

Hier noch einige Impressionen von der Eröffnung der Ausstellung:

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