Erntezeit birgt Gefahren für Wildtiere

Todbringender Mähdrescher

Ein Rehkitz versteckt sich in Ehingen am Ries bei Nördlingen (Bayern) zwischen den hohen Sträuchern einer Wiese.
Ein Rehkitze verstecken sich im Kleefeld - das kann fatale Folgen haben. © dpa / Matthias Balk
Von Stephanie Kowalewski · 01.08.2017
Dicht gewachsener hoher Klee, Mais- oder Getreidefelder - ein idealer Unterschlupf für Rehe, Hasen und Rebhühner. Doch sobald der Mähdrescher kommt, wird es lebensgefährlich für die Wildtiere, denn der Bauer kann sie nicht sehen. Es geht aber auch anders.
Auf dem Hof von Paul Küskens in Niederkrüchten am Niederrhein, kurz vor der holländischen Grenze, stehen 70 Kühe auf der Wiese. Auf seinen Feldern baut er Grünfutter für die Tiere an.
"Heute ist Kleemähen angesagt. Und damit uns da kein Wild reinkommt, habe ich einen sogenannten Wildretter, so einen Pieper. Und das Ding macht einen Höllenlärm. Ich mach mal eben an: Ton. Ist im Grunde eine Hausalarmanlage auf einer 9 Volt-Batterie, einfachste Technik. Und der kommt jetzt vorne an den Mäher und scheucht alles Wild auf, bevor ich da rüber fahre."
Denn anders als das dumpfe Motorgeräusch sorgt der schrille Ton in den meisten Fällen dafür, dass die Tiere sich nicht instinktiv wegducken, sondern fliehen.
"Wenn dieser Ton so auf die zukommt, dann springen die tatsächlich so zwei-drei Meter früher auf und das reicht aus, dass ich die sehe und noch abbremsen kann."
Die heute übliche intensive Landwirtschaft ist ein großes Problem für Wildtiere. So werden aus wirtschaftlichen Gründen schnellwüchsige Grassorten eingesetzt und mehr gedüngt, sagt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund.
"Das alles führt dazu, dass auch viel häufiger gemäht wird, also alle sechs bis sieben Wochen etwa. Die erste Mahd schon zur Osterzeit und das ist wirklich mitten in der Brut- und Setzzeit der Tiere, also wenn die Jungen zur Welt kommen. Die Mähwerke sind breiter. Wir haben eine höhere Mähgeschwindigkeit, dass es wirklich auch schon für die ausgewachsenen Tiere schwierig ist, vor dem Mähdrescher zu entkommen."
Wenn die Mähdrescher kommen, wird es für viele Wildtiere gefährlich, die sich im Feld verstecken.
Wenn die Mähdrescher kommen, wird es für viele Wildtiere gefährlich, die sich im Feld verstecken.© picture alliance / dpa / Brian Kersey
Wenn Mähmaschinen ohne solche Alarmanlagen aber mit einer Schnittbreite von bis zu zwölf Metern über Wiesen und Äcker fahren, kann das für Feldhasen, Rehe und Fasanen lebensgefährlich sein.
"Es gibt Schätzungen, dass bundesweit mehr als 500.000 Wildtiere bei der Mahd schwer verletzt oder auch getötet werden. Davon sind geschätzt etwa 100.000 Rehkitze und ungezählt natürlich die vielen Kleintiere: Schlangen, Frösche, Kröten oder Mäuse. Besonders betroffen aber, muss man wirklich sagen, die Rehkitze oder auch die jungen Hasen, weil sie sich bei Gefahr nach unten drücken, statt zu fliehen."
Um sie zu schützen, müssen bei der Ernte deshalb andere Maßnahmen eingesetzt werden, sagt die Tierschützerin Lea Schmitz.
"Man kann das Feld absuchen mit sogenannten Infrarotdetektoren. Da gibt es tragbare Varianten, die aussehen wie eine Stange, die sich der Landwirt umschnallt, etwa sechs Meter breit, mit der er das Feld abgehen kann. Und dann über die Wärmestrahlung, die die Tier abgeben, die Tiere wahrnehmen. Und dann kann man sie aus dem Feld rausholen. Das Ganze gibt es mittlerweile auch für Drohnen."
Doch das ist für die meisten Landwirte zu aufwändig und zu teuer. Immerhin kostet so eine automatisch fliegende Infrarotdrohne samt Software schnell mal 20.000 Euro.

Vor dem Mähen: Krach machen!

Paul Küskens setzt da lieber auf die Vergrämungsvariante und sorgt ein, zwei Tage vor dem Mähen für Krach und Unruhe im Feld: Er hängt knisternde Müllbeutel oder Flatterbänder am Feldrand auf und bittet die örtliche Jägerin, Bärbel Weinmann, das Feld mit ihrer Dackelhündin nach Wildtieren zu durchstöbern.
"Auf geht's. Voran. Such voran!
Sie springt wirklich hier durch das Feld und hat sichtbar Spaß. Wir stehen hier teilweise bis zum Oberkörper im Grün. Für so einen kleinen Dackel ist das schon eine ganz schöne Herausforderung.
Es ist zu hoch. Aber ich gehe ja mit durch. Also wir bringen Unruhe rein, damit die Ricken ihre Kitze möglichst rausholen, auch die Hasen Möglichkeit haben, zu fliehen."
Während Bärbel Weinmann und Dackel Kara sich durch den üppigen Klee kämpfen, erzählt sie, dass sie bei großen Feldern meist mit mehreren Jagdkollegen und deren Hunden versuchen, das Wild zu vertreiben.
"So, die untere Hälfte des Kleefeldes ist durchkämmt und wildtierfrei. Kara hat angezeigt, das was raus ist. Ich werd aber noch mal bis oben zum Rand gehen und da noch mal gucken, weil oft liegen die Wildtiere am Rand."
"Gut. Dann gehst du da oben nochmal den Rand ab, ich mähe hier unten den Rand zuerst und dann komme ich in der Mitte durch nach oben."
Paul Küskens mäht seine Felder von innen nach außen, damit die Tiere geschützt durch das hohe Grün oder Getreide fliehen können.

Mit der Mahd in der Mitte anfangen

Bei der traditionellen Mähweise von außen nach innen werden Rehe, Hasen und Co. hingegen regelrecht in die Enge und unter Umständen direkt unter das Mähwerkzeug getrieben.
"Wir fahren jetzt das erste Mal mitten dadurch. Und wenn wir jetzt dadurch fahren, müssen wir ein bisschen vorsichtiger unterwegs sein, weil jetzt rechnet noch keiner damit, von den Tieren, die eventuell da drin sind, das wir kommen. Da!"
"Oh ja. Ein Reh! Ja ein Rehkitz. Da haben wir es gesehen."
"Da!"
"Was war da? Oh ja. Auch eins. Also zwei Rehe haben wir jetzt schon entdeckt."
"Und die sind tatsächlich kurz vor mir aufgesprungen."
"Aufgeschreckt durch diesen so genannten Wildretter, durch dieses permanente Piepsen."
"Ja. Kann man so sagen."
"Und durch den Hund eventuell."
"Und durch den Hund. Ja, wir haben insofern Glück gehabt. Wir wissen jetzt: eines nach rechts, eines nach links. Müssen wir weiter vorsichtig unterwegs sein."
"Gutes Gefühl, wenn Sie sehen, dass die wegspringen?"
"Ja! Aber wir haben es ja noch nicht ab."
"Ok. Weiter geht's."
Um Frösche und Schlangen zu schonen, hat Paul Küskens obendrein die Schnitttiefe verringert, lässt die Halme also etwas länger stehen und hier und da hat er Blühstreifen an den Feldrändern angelegt, die gar nicht gemäht werden. Die Blumen und Wildkräuter darin sind für Feldhasen so attraktiv, dass sie ihre Jungen eher dort zur Welt bringen als mitten auf dem Acker.

Artenschutz lohnt sich für den Landwirt

Das alles bedeutet zwar etwas mehr Arbeit, sagt er, aber es lohnt sich – und zwar nicht nur für die Wildtiere und den Artenschutz. Denn kein totes Tier bei der Ernte bedeutet auch, kein Kadaver mehr im Futter. Und das rettet wiederum das Leben der Kühe, erklärt der Landwirt.
"In dem Kadaver, da bildet sich ein Toxin, Botulismustoxin. Und Rinder erkranken daran und das führt zum Tode."
So kann Wildtierschutz bei der Ernte ein Gewinn für alle sein, meint auch die Jägerin Bärbel Weinmann.
"Der Hund macht es gerne, bei dem schönen Wetter macht es dann auch noch Spaß – und von daher: Reicht ja schon, wenn wir nur einem Tier das Leben gerettet haben."
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